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Ausgabe:

1917 Nr. 2

Spalte:

37-38

Autor/Hrsg.:

Denk, Joseph

Titel/Untertitel:

Die altlateinische Bibel in ihrem Gesamtbestande vom 1.-9. Jahrh.; Der neue Sabatier und sein wissenschaftliches Programm 1917

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 2.

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recht dankenswert, und andrerfeits wird die erneute Erörterung
der hiermit zufammenhängenden Fragen zur
Aufhellung mancher Schwierigkeit der hebräifchen Lexikographie
beitragen können.

Jena. A. Ungnad.

Denk, Ffr. Jofeph: Die altlateinilche Bibel in ihrem Ge-
famtbeftande vom 1—9. Jahrb.. (Sabatier redivivus.)
Probelieferg. (enth. Ruth- und Judasbrief). (19 S.) Fol.
Nebft Denk: Der neue Sabatier u. fein wiffenfchaft-
liches Programm. (32 S.) gr. 8°. Leipzig, Buchh. G.
Fock 1914. Für das Gefamtwerk M. 400—;

nach Erfcheinen M. 500 —

Eine Neuausgabe des Riefenwerks von P. Sabatier
unter Verwertung des ungeheuren Zuwachfes an Hand-
fchriftenmaterial für die altlateinifchen Bibeltexte und bei
Vervollftändigung der in den Vätern zerftreuten, von Sabatier
keineswegs ausreichend herangezogenen Bibelzitate
wäre eine gar nicht hoch genug zu fchätzende Freude
für jeden Bibelforfcher und Patriftiker, aber auch Philologen
und Hiftoriker haben ein Intereffe an dem Gelingen
. Um dies zu erweifen, bedarf es keines Programms,
wie Pfarrer Denk es in dem Heft vom März 1914 vorlegt;
die Darfteilung der Sachlage dort hat etwas fehr Dithy-
rambifches und läßt faft befürchten, daß der Verfaffer,
der zu Weilmachten 1915 fchon den ganzen neuen Sabatier
in 4 Bänden, iooo Seiten Reichsformat, fertig vorlegen
will, Unmögliches verfpricht; ob eine erfchöpfende Sammlung
der Titel aller biblifchen Bücher und vollends ein
ex plenissimus Italae et Vulgatae in wiffenfchaftlicher
Anordnung' — d. h. nach Wölftlins Idee bloß Regifter
der einzelnen Wortformen! — in den neuen Sabatier
gehört, mag man billig bezweifeln, auch wenn man beide
Sammlungen für wertvoll, ja auf die Dauer unentbehrlich
hält. Daß Pfarrer J. Denk mit enormem Fleiß die
Vorbereitungen für fein Werk getroffen hat, unterliegt
keinem Zweifel.

Mit feinem Probeheft hat eraber keinen glücklichen Griff
getan. Es enthält die neuen Sabatier-Texte von Ruth
und Judasbrief: infofern imponierend, als er hier durch
Handfchriften und Zitatfunde Reichtum präftieren kann
an Stellen, wo der alte Sabatier erfchreckend arm er-
fchien. Aber das fchwerfte Problem der Neuausgabe
ift die Gewinnung von Überfichtlichkeit in den biblifchen
Büchern, wo handschriftliche Texte faft in Mafien und noch
mehr und noch ftärker voneinander abweichende Zitate vorliegen
. Wie Denk diefer Schwierigkeit Herr werden wird, zeigt
er uns in der Probe nicht. Im Gegenteil: wenn fo eng hintereinander
wie hier Vers um Vers nicht bloß 2 oder 3
fondern 60 und 150 Zeugen oder Zeugniffe abgedruckt
werden, fo wird man fich nach den Kurzzeilen des alten
S. zurückfehnen. Denks Hoffnung, er werde durch Gruppierung
nach Überfetzungs-Typen Ordnung fchaffen, muß
trügen, fobald diefe Überfetzungs-Typen — und das wird
leider faft die Regel fein! — in einem Bibelvers fich ineinander
verwirren, im erften Wort z. B. Ambr. mit Vulg.
gegen Aug. und Fulgentius, im andern Aug. mit Vulg.
gegen Ambr. und Fulg. fleht. Schlechthin unbegreiflich
ift mir, wie D. mit den 3 Columnen LXX, trans-
latio vetuS und translatio nova z. B. beim Pfalter und bei
den Evangelien auszukommen gedenkt.

Aber feine Probe erweckt noch andere Zweifel. Ich
fehe davon ab, ob es fich empfiehlt, beim A. T. Tifchendorfs
Text der LXX wegen feiner ,konfervativen Textbehandlung
' zugrunde zulegen. Mir fcheint die Beigabe des LXX-
Texts ohne Varianten, gleichviel welchen Text man wählt,
eher fchädlich als vorteilhaft. Das dürfte für den Vulgata-
Text, zwar in befcheidenerem Maße, auch noch zutreffen.
Die Sorgfältigkeit des Textabdrucks in der Probe darf
man rühmen, wenn auch gleich auf der erften Seite v. 4
y.axömßav, v. 6 avrov, v. 9 ömrj und fpäter im Vulgata-

Text Ruth 2, 11 illa ftatt ille zu verbeffern wären. Um fo
wunderlicher aber ift die Treue, mit der D. als Itala-Text
einen einfachen Abdruck von Bergers erfter Publikation
des Itala-Ruth-Textes aus dem Codex Complutensis mit
Haut und Haaren liefert, bis auf jede Marotte der Interpunktion
, Orthographie und Abkürzung hinaus. 4,12 erfpart
er uns nicht einmal senine ft. semine; nur 4, 17 hat er ver-
lehentlich das richtige dicentes für discentes der Hand-
fchrift eingefetzt. Die fklavenhafte Abhängigkeit von
Berger, der andere Pflichten als Denk zu erfüllen hatte,
reicht foweit, daß D. bei Ruth 2,5 f. und 2,8 f., wo Berger die
Ziffer für den neuen Vers zu fpät eingeftellt hat, nun aus
der Itala neben v. 5 und 8 des Griechen und der Vulgata
fchiebt, was dort feine Parallele erft in v. 6 und 9 findet.
Ja 4,2 lefen wir bei ihm: et sederunt ,der Codex beginnt
v. 3 mit' et sederunt. Et dixit u.f.w. Muß der Benutzer
nicht glauben, das et sederunt ftünde im Codex doppelt
und vor dem zweiten ftünde eine Versziffer? In Wahrheit
hat nur Berger die 3 hinter sederunt ftatt davor
gefetzt. Verdienen folche minimalen Verfehen des Herausgebers
im Sabatier verewigt und gar dem Codex zuge-
fchrieben zu werden? Berger — andererfeits — verftän-
digt den Lefer darüber, daß der Text der Handfchrift in
'< Kap. 4 teilweife ausgelöfcht und ein Erfatz von einer Hand
; des 13. Jhdts. nachgetragen war: auf den erften Blick fieht
' man, daß der fpäte Schreiber, wo er nichts mehr lefen
[ konnte, Vulgata-Text zuhilfe holt. Im neuen Sabatier
erfährt man von diefer Sachlage, die den unfinnigen Wortlaut
von v. 4,15 16 uns ernft zu nehmen ja erfpart, nichts.
Nun bedarf aber auch der echte Text des Complutensis
aus dem 9. Jhdt. der Verarbeitung; er enthält Schreibfehler
, eine ganze Menge von Lücken per homoioteleuton
und aus andern Gründen, Dubletten (z. B. 2,18 aus 2,17,
4,1 sede hinc vor sede hic und vielleicht das zweite ad
pedes eius in 3,7. Wer wird ibis et venies 3,4 für griechifches
I ixtl xcti iXevajj anders abdrucken als ibi[s] et venies, wer
J wird uterque 1,19 und 4,11 nicht als Verfchreibung für
utreque ft. utraeque erkennen? Das neue Wort decino,
das Denk ftolz in der Index-Probe für den Thesaurus ftiftet,
verfchwindet hoffentlich noch fchneller als famis ft. fames
im Abgrund, denn Ruth 1,13 kann decinemini neben dem
griechifchen xazaaxtO^otolrs doch nur eine Form von
detinere fein und dürfte urfprünglichem detine(bi)mini
entfprechen, wie mici einem mihi oder elebabit einem eleva-
vit, nur daß dort nicht bloß eine Abweichung der Aus-
fprache den Fehler bewirkt hat. .mortuus (= moratus)'
! follte D. Ruth 1,7 auch nicht fchreiben, wenn Berger dem
falfchen mortuus die Anmerkung zufügt: Lisez:moratus.
Ich vermute, daß das nicht einmal zutrifft, fondern der
vielfach flüchtige Schreiber der Vorlage des Complutensis
v. 4 et mortuus est durch Abirren des Auges auf
den Anfang von v. 3 wiederholt hat, um nachher aller-
! dings im richtigen Text fortzufahren. Auch bei den Zitaten
werden orthographifche Varianten wie bethlemft.bethlehem
notiert: darf fich ein Itala-Forfcher bei Wiederherftellung
des Alten den Raum, der wahrlich koftbar ift, mit Auf-
fpeicherung der Schreibfehler mittelalterlicher Abfchreiber
füllen laffen?

Wir warten auf die fchwierigeren Abfchnitte und
hoffen, daß ein gewaltiger Fleiß und entfprechende Ge-
lehrfamkeit nicht an einem falfchgeftellten Ideal von ,Treue'
fcheitern. Die Ausftattung des Probehefts verdient Lob.

Marburg a. d. L. A. Jülicher.

Schermann, Thdr.: Die allgemeine Kirchenordnung, frühchrift-
liche Liturgien und kirchliche Überlieferung 2. TL Früh-
chriftliche Liturgien. (Studien z. Gefch. u. Kultur d.
Altertums. 3. Erg.-Bd.) (X u. S. 137—573.) gr.8°. Paderborn
, F. Schöningh 1915. M. 18 —

Den erften kürzeren Teil diefes Werkes habe ich in diefer
Zeitung 1915 Nr. 22 angezeigt und der Spannung Aus-