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Ausgabe:

1917 Nr. 2

Spalte:

35

Kategorie:

Religiöse Kriegsliteratur, Kriegspredigten, Kriegspädagogik

Autor/Hrsg.:

Hellwig, Albert

Titel/Untertitel:

Weltkrieg und Aberglaube. Erlebtes und Erlauschtes 1917

Rezensent:

Titius, Arthur

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35 Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 2. 36

richten, und durchaus nicht verfchwiegen werden die
Schattenfeiten des oftpreußifchen und ruffifchen Gefindels
und auch mancher Flüchtlinge. Der Ton der Berichte
ift fehr verfchieden, nur feiten abfichtlich erbaulich, meift
frifch erzählend, oft tagebuchartig, mitunter mit novelli-
ftifcher Tendenz, verhältnismäßig feiten (in der zweiten
Sammlung) objektiver hiftorifcher Bericht. Der Reiz des
unmittelbar Erlebten, des Ungewohnten, nicht feiten
Schrecklichen haftet ihnen an, fo daß fie fich fpannend
lefen wie ein Roman. Sehr verfchieden find die Bilder,
die fie zeichnen. Anders verhalten fich die Ruffen in
größeren Städten, anders auf dem platten Lande, verfchieden
die Eliteregimenter und die Kofaken; auch das
Maß der gegenfeitigen Verftändigungsmöglichkeit ent-
fcheidet viel. Vor allem find fie ein beredtes Zeugnis
für den oftpreußifchen Pfarrerftand und für die Tüchtigkeit
der Bevölkerung. Kabinettftücke für fich find die
Schilderungen von Sptd. Kittlaus aus Tapiau (wohin die
Ruffen nicht gekommen find) und die ,Kriegserinnerungen
aus dem Zuchthaus' (Infterburg) von P. Lenkeit, deren
Lektüre jedem, der mit Strafgefangenen zu tun hat, empfohlen
werden muß.

Hellwig31, kein Neuling auf feinem Gebiete, ver-
fucht eine Betrachtung der Kriegsaberglaubenkomplexe
nach ihren pfychologifchen und fozialen Zufammenhängen,
wobei ihm außer literarifchen Hilfsmitteln auch feine per-
fönlichen Erfahrungen an der Front zu gute kamen.
Neben religionspfychologifch fehr beachtenswerten Ausführungen
über Art und Motive des Aberglaubens und
fpeziell auch Amulettglauben (27 ff) werden eingehende
Mitteilungen über Himmelsbriefe (35—52) und über
Prophezeiungen gemacht. Auch heute blühen Aftrologie
(65—76) und Zahlenfpielerei (76—85), daneben kommt
die Ausdeutung der Johanneifchen Apokalypfe (85—88)
und der Weisfagung des Noftradamus in Betracht (88—97).
Pfychologifch fein motiviert wird der Glaube an Weis-
fagungen (53—62), namentlich aber an ihre Erfüllung,
evtl. durch Umdeutung (97—122) und Prolongierung (bis
140). Mit lehrreichen Ausführungen über das Wahrfage-
unwefen (betr. des Gefchicks der einzelnen Mitkämpfer)
und die Wege zu feiner Bekämpfung fchließt das internerem
zu bemerken, daß die Schiffahrt fich bei den
Semiten fchwerlich zuerft als Seefchiffahrt entwickelt
haben dürfte, obwohl es ja in Phönizien - Paläftina
immerhin denkbar wäre. Nun begegnet aber malahu in
Babylonien als das gewöhnliche Wort für ,Schiffer', und
dort hat die Schiffahrt mit der ,Sa!zflut' nur fehr wenig
zu tun. Weiter zeigt fich, daß fchon bei den Sumerern
das Wort ma-lah .Schiffer' bedeutet; hier erweift es fich
auf Grund von Schrift und Fitymologie als ein Kompo-
fitum aus ma .Schiff und Iah .führen' alfo .Schiffsführer'.
Dadurch erledigen fich alle andern Etymologien von
felbft: die femitifchen Nomadenflämme haben das /Wort'
von dem Volke übernommen, bei dem fie das ,Ding' zuerft
kennen lernten, den Sumerern.

Leider liegt die Sache nur bei wenigen Wörtern fo
klar wie bei nVa. Das verkennt der Verf. der hier zu
befprechenden'Schrift keineswegs: er wiederholt immer
wieder, daß auch er bei vielen Wörtern die vorgefchlagne
Ableitung aus dem Sumerifchen nur als eine Möglichkeit
betrachten will, der größere oder geringere Wahrfchein-
lichkeit beizumeffen ift. Direkte Entlehnungen aus dem
Sumerifchen find m. Fl. nirgends anzunehmen, obwohl
das Sumerifche bis zum Untergang des babylonifchen
Schrifttums in den Priefterfchulen gepflegt wurde — nicht
nur bis Kyros, wie L. (S. 3) annimmt (vgl. die Reifner-
fchen Texte aus der Seleuzidenzeit, ferner die aus gleicher
Zeit flammenden Vokabulare, z. T. fogar mit griechifcher
Transkription des Sumerifchen). Die Vermittler find die
femitifchen Babylonier und Affyrer gewefen, und in
zweiter Linie die Aramäer. Da das Sumerifche als
lebende Sprache bereits vor 2COO v. Chr. erlofchen war,
hätte eine direkte Herübernahme nur durch Vermittlung
der Priefterfchaft gefchehen können, und diefer Gedanke
ift zu abfurd, als daß man ihn weiter verfolgen dürfte.

Die Flauptkapitel der Unterfuchung bilden Kap. 3
bis 6. In Kap. 3 behandelt L. .Sumerifches Sprachgut
in biblifchen Eigennamen', wobei es fich im Wefentlichen
um babylonifche Namen handelt, wie 1'HP, TP"!S (m- M.
Eri-Aku, der Bruder des Rim-Sin von Larfa, mit deffen
Namen aber in Gen. 14 die Taten des letzteren fälfch-
lich verbunden find), 1P733 (wohl fich er = Nimurt(a),

effante Büchlein. dem Namen des bab. Kriegs- und Jagdgottes, deffen
Göttingen Titius ! richtige Lefung jetzt durch ein Vokabular erwiefen wird;
_°___'_ 1 früher Ninib gelefen), "30 (in Namen wie 3"nn3D = Sin-

Landersdorfer, Dr. P. S., O.S.B.: Sumerifches Sprachgut j a^;vba -Sin gib Brüder', nicht Sin hat die BYüder ver-
.„ ',. . ' . , ., ,.r . , .. , "W ,. ! mehrt', wobei ich an der von mir ZDMG 62, 721 ff. vor-
im Alten Teftament. Eine bibhfch-lexikal. Studie. j gefchlagenen Lefung fchon aus fachlichen Gründen gegen,
(Beiträge zur Wiff. vom A. T., Heft 21.) (VIII, 118 S.) j über Torczyner fefthalten möchte). In Kap. 4 werden
gr. 80. Leipzig, J. C. Hinrichs 1916. .Sichere bzw. wahrfcheinliche Entlehnungen aus dem

M 4_; geb. M. 5— Sumerifchen' behandelt, wie "OttJSt, 33i|rj NÖ3 (Grundbe-

„. ... w , . . , , .... ' t -1 u- ; deutung .Stuhl', nicht .Thron'),'-13 u. a. Kap.'5 behandelt
Die altere Methode der hebraifchen Lexikographie, Unfichere Entlehnungen aus dem Sumerifchen' und Kap 6

.Vermutliche Wurzelentlehnungen aus dem Sumerifchen',
wo wenigftens S'fipri mit einiger Wahrfcheinlichkeit auf
fum. balag ,Leier'' zurückzuführen ift (aber gegen S. 104

jedes Wort aus einer abftrakten niemals lebendig ge
wefenen Wurzel abzuleiten, ift jetzt wohl allgemein als
verkehrt anerkannt worden: die einzelnen Wörter, mögen
fie nun Subftantiva, Verba, Adverbia oder etwas anderes
fein, haben ein viel zu reges felbftändiges Leben geführt,
als daß fie fich in einen logifchen Schematismus einzwängen
ließen. Bequem war die alte Methode, das läßt fich
nicht leugnen; mit Hilfe etlicher, namentlich arabifcher,
Wörterbücher ließ fich jede etymologifche Frage vom
Schreibtifch aus leicht erledigen. Die neue Methode muß
fich größeren Mühen unterziehen und führt oft genug
nicht einmal zum Ziele. Daß fie aber gegenüber der
älteren allein Berechtigung hat, möge wenigftens durch
ein Beifpiel illuftriert werden. prVa .Schiffer' (lammt nach
der alten Methode natürlich von der Wurzel nbü, von
der auch nbp ,Salz' herkommt, bedeutet alfo den ,Salzmann
', d. h. den .Befahrer der Salzflut'. Von lautlichen
Schwierigkeiten abgefehen, ift dagegen fchon von vorn-

31) Hellwig, Amtsrichter Dr. Albert: Weltkrieg und Aberglaube.
Erlebtes u. Erlaufehtes. (VII, 159 S.) kl. 8°. Leipzig, W. Heims 191.6.
M. 2.40; geb. M. 3 20

auf dem Umwege über akk. balaggu).

Auf FÄnzelheiten einzugehen, ift hier leider ganz unmöglich
. Daß der Verf. fich bemüht hat, Etymologien
auf Grund des Sumerifchen auch dann anzuführen, wenn
der Grad ihrer Wahrfcheinlichkeit fehr gering ift, was
befonders ftark bei bloß erfchloffenen fum. Wörtern hervortritt
, wird uns nicht zu Vorwürfen veranlaffen; höch-
ftens hätte man gewünfcht, daß er fich gewiffen Erklä-
rungsverfuchen gegenüber fkeptifcher verhalten hätte, als
dies der Fall ift, da der im Sumerifchen unerfahrene
Hebraift zu leicht auf unfichere Wege zu verlocken ift;
ich erinnere befonders an Abfchnitte wie 333,33 (S. 24),
Ö^'»3 (S. 24), Tip (S. 28), bna (S. 40), ül (S. 71; a-ab-ba
ift nie jabba gefprochen worden), 3313 (S. 73), T3B©i{ (S. 98).

Wenn auch die Ausführungen des Verf. oft zum
Widerfpruch reizen, wie das in der Natur des behandelten
Materials liegt, und wenn ihm auch gelegentlich Irrtümer
unterlaufen, fo ift einerfeits die Sammlung diefes Materials