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Ausgabe:

1917 Nr. 26

Spalte:

465-466

Autor/Hrsg.:

Ecke, D.

Titel/Untertitel:

Unsere Glocken 1917

Rezensent:

Knoke, Karl

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Seite 1

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465

Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 26.

466

Ecke, Geh. Konfift.-R. Prof. D.: Unferc Glocken. Ein Ab-

fchiedsgruß. (Erw. S.-A. a. d. Reichsboten.) (35 S.)
8°. Bonn, A. Falkenroth 1917. M. —80

Brehme-Hormersdorf, Pfr.: Uber den kirchlichen Gebrauch
der Glocken, m. befond. Berückficht, des Kirchenkreifes
Stollberg. Vortrag bei der37.Verfammlung desKirchen-
chor-Verbandes in der Ephorie Stollberg am 11. Oktbr.
r9i6. (30S.) 8°. Zwönitz i. Sa., C.B. Ott 1917. M. —80

Unter Bezugnahme auf die Arbeiten von Otto (Glok-
kenkunde 1858/84), Boeckeler (Beiträge zur Glockenkunde
1882), Walter (Glockenkunde 1913) und Biehle (Theorie des
Kirchenbaus... mit einer Glockenkunde 1913) ftellt Löb-
mann beachtenswerte Theorien über Glockentöne an, die,
zum Teil unabhängig von den genannten Vorarbeiten ent-
ftanden, in wefenthcher Übereinftimmung mit jenen ftehen.
Mit Recht weift er auf die mancherlei Schwierigkeiten
äußerer und innerer Art hin, die fich bei der Unterfuch-
ung der einzelnen Glocke und mehr noch eines Glockengeläutes
auf ihren mufikalifchen Wert hin ergeben. Vielfach
macht fich dabei ein bedauernswerter Dilettantismus
geltend, und noch öfter gibt bei der Beftellung neuerGlocken
eine determinierte Behauptung des Glockengießers den
Ausfchlag für die Bewertung einer Kirchenglocke. Demgegenüber
bietet der Verfaffer eine Reihe wiffenfchaft-
licher, auf Beobachtung und mufikalifchen Grundfätzen
beruhender Ratfchläge, die forgfame Erwägung und Beachtung
verdienen. Dahin find u. a. namentlich die informativen
Abfchnitte über die Beiklänge S. 19—21, über
Terzenreinheit S.21—25, überharmonifchesGeläutS.31—35,
über melodifches Geläut S. 35—37 zu rechnen. Es ift
nicht möglich, in diefer kurzen Anzeige den Reichtum
wertvoller Gedanken auch nur annähernd wiederzugeben,
den die kleine Schrift enthält; nur durch eigne Lektüre
wird man Kenntnis davon gewinnen können und dabei
fich bald davon überzeugen, daß man von einem kundigen
Führer durch ein erft feit verhältnismäßig kurzer Zeit
angebautes Feld verwickelter Fragen geleitet wird, Fragen,
die in mancher Hinficht bereits eine befriedigende Löfung
gefunden haben.

Die Schrift von Biehle berührt fich in ihrem Inhalte
mehrfach mit derjenigen von Löbmann z. B. in dem Abfchnitte
, der von dem harmonifchen und dem melodifchen
Geläute handelt S. 16 ff. Auch aus ihr gewinnt man einen
Einblick in die Sorgfalt, mit welcher in der Gegenwart bei
der Abnahme neuer Glocken und der Unterfuchung der
Tonverhältniffe älterer und ältefter Glocken verfahren wird.
Als Beweis dafür können u. a. die photographifchen Abbildungen
angeführt werden, welche einen Einblick in das
Laboratorium des Verfafiers zur Unterfuchung des Glockenklanges
S. 31 gewähren bzw. die Kurve des Gefamtklanges
einer Glocke S. 32 zur Anfchauung bringen. Der Haupt-
wert der Biehlefchen Schrift liegt aber in den darin gemachten
Vorfchlägen über den liturgifchen Gebrauch der
Glocken, über welche die einzelne Kirchengemeinde verfügt
. Was dabei über die Verwertung der Glocken zu
Feftge'.äuten, zum Geläute am Sonntage, am Bußtage, bei
Nebengottesdienften, bei Taufen, Trauungen, Beerdigungen
oder zur fogen. Betglocke empfohlen wird, mag in Einzelheiten
anfechtbar fein, verdient aber der mehr oder weniger
prinziplofen Praxis gegenüber, der man in unfern Gemeinden
nur zu oft begegnet, ficherlich den Vorzug.

In der dritten Schrift gibt D. Ecke zunächft einen,
wie es fcheint, vollftändigen Überblick über die ein-
fchlägliche Literatur, die feit Ottos ,Glockenkunde' er-
fchienen ift, und macht fodann mit den wichtigften Glok-
ken und Glockengeläuten bekannt, die im Mittelalter
fowie fpäter bis zum 30jähr. Kriege und dann wieder in
den letzten Jahrzehnten entftanden find, indem er zugleich
die Namen der betreffenden Glockengießer benennt, fo-
weit diefe bekannt find. Mit Recht begrüßt er es, daß

beim Einfchmelzen der vorhandenen Glocken für die
Zwecke des jetzigen Krieges Ichließlich das mochmolo-
gifche gegenüber dem mufikalifchen Intercffe zurückgetreten
ift, und gibt die Lofung aus, bei der nach dem
Friedensfchluffe in Angriff zu nehmenden Ergänzung des
Glockenbeftandes in den einzelnen Gemeinden müffe das
kultifch-mufikalifche Prinzip den entfcheidenden Ausfchlag
geben. Die inhaltreiche Brofchüre, die ein erweiterter
Abdruck eines Zeitungsartikels ift, flammt aus der Feder
eines Sachkundigen, der fchon als eben konfirmierter
Knabe fich durch perlönlichen Augenfchein eine Kenntnis
der 74 Glocken auf den 27 Türmen feiner Vaterftadt
Erfurt zu verfchaffen wußte. Sie verdient Beachtung
bei den Predigern und Kirchenvorftänden in evangelifchen
wie in katholifchen Gemeinden.

Der Vortrag von Brehme ift gehalten, um in dem
Kirchenkreife Stollberg (Kgr. Sachfen) tunlichft eine Einheit
und Gleichheit im Gebrauche der Glocken anzubahnen.
Aus dielem Grunde gibt der Vortragende einerfeits eine
Statiftik der dort in den einzelnen Gemeinden vorhandenen
Glocken und ihrer mufikalifchen Stimmung, fowie
des herkömmlichen Gebrauches derfelben bei den ver-
fchiedenen Anläffen, und macht andrerfeits genau formulierte
Vorfchläge über deren künftige, einheitlich geregelte
Verwendung. In letzterer Beziehung richtet er fich
durchgängig nach den Grundfätzen, welche von Biehle
(vgl. vorftehend) aufgeftellt find, deffen Ausführungen in
feiner .Glockenkunde' auch die im Eingange des Vortrages
vorgetragenen Erörterungen über Glockentöne der einzelnen
Glocke und über den beften Zufammenklang mehrerer
Glocken einer oder auch mehrerer benachbarten Gemeinden
entnommen find. So hat der Vortrag wefentlich
nur eine Bedeutung für einen beftimmten kirchlichen In-
fpektionskreis. Grundfätzlich Neues bringt er nicht. —

Schriften wie die zuerft genannten von Löbmann und
Biehle find erfreulicheBeweife der Ausdehnung kirchenmufi-
kalifcher Furfchungen auf ein Gebiet, welches für viele
Kirchenmänner leider eine terra incognita bedeutet. Daß
diefe Forfchungen heute fchon zu endgültigem Abfchluß gekommen
feien, wird man freilich noch nicht fagen können
. Man richtet z. B. feine Aufmerkfamkeit auf die Beobachtung
der Nebentöne, die mit dem Haupttone der
einzelnen Glocke mitklingen, und hebt aus ihnen namentlich
als folche die Oberterzen hervor, die der Glocke, je
nachdem in ihr die kleine oder die große Terz anklingt,
den Charakter einer Moll- oder einer Durglocke geben; aber,
worin das Geheimnis der individuellen Klangfarbe, welche
bei jeder Glocke beobachtet werden kann, feinen Grund
hat, hat man bisher noch nicht ermitteln und feftftellen
können, und doch würde diefe Ermittelung für die litur-
gifche bzw. harmonifche Verwendung einer einzelnen
Glocke wie eines aus mehreren Glocken beftehenden Geläutes
von großer, ja oft von entfcheidender Bedeutung
fein können. Das Geheimnis der Glockenklangfarbe ift jedoch
noch nicht entfchleiert.

Der Krieg hat von unfern Gemeinden die Hingabe
vieler Glocken gefordert; leider find dabei nicht immer
die tonlich wertlofern, fondern nur zu oft die tonlich weit-
vollen zum Opfer gefallen, weil die Entfcheidung darüber,
welche einzufchmelzen feien, von folchen zu treffen war,
denen es an den richtigen Maßftäben für eine zutreffende
Entfcheidung fehlte, wie fie die Wiffenfchaft der
Glockenkunde bietet. Es kann nicht dringend genug empfohlen
werden, daß alle, die fich demnächft mit der Her-
ftellung und Wiederanfchaffung von Kirchenglocken zu
befaffen haben, fich fchon jetzt eingehend mit dem Studium
der Glockenkunde befchäftigen. Die drei vorftehend zuerft
befprochenen Schriften find zur erften Einfuhrung in
dasfelbe fehr zu empfehlen.

Göttingen. K. Knoke.