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Ausgabe:

1917 Nr. 1

Spalte:

15-16

Autor/Hrsg.:

Hobbes, Thomas

Titel/Untertitel:

Grundzüge der Philosophie. 1. Teil. Lehre vom Körper 1917

Rezensent:

Scholz, Heinrich

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 1.

16

ihre ftarke foziale Prägung fowie ihre Verankerung in
den religiöfen Überzeugungen, endlich auch für das Verlangen
nach vermehrter Schätzung und Pflege der päda-
gogifchen Aufgaben der Schule an den Univerfitäten
bin ich R. dankbar. — Die andern Abfchnitte muß ich,
fo wertvoll fie an fleh find, hier übergehen. Wie viel
Interefiantes auch fie enthalten, darf ich wenigftens andeuten
, indem ich einige Verfaffer nenne: Dernburg,
Gertrud Bäumer, Dietrich v. Oertzen, Bachem, Naumann
, Heine (Soz.), Rohrbach, Cohen (Deutfchtum
und Judentum).

Selbftverftändlich haben die Mitarbeiter diefes Buches
auf keinem der behandelten Gebiete eine Löfung der
Probleme oder eine volle Verftändigung der Streitfragen
erzielen können. Das wird ein Verftändiger auch nicht
erwarten, vielleicht nicht einmal wünfehen. Aber daß
hier auf allen ftrittigen Gebieten von den Vertretern der
ftreitenden Parteien gemeinfam gearbeitet ift mit dem
Willen zur Selbftkritik und zum Verftändnis auch für
den Gegner, das ift das Erfreuliche, das ift der Weg
zum inneren Frieden. Möge er weiter begangen werden.

Anhangsweife erwähne ich noch den Auffatz des Leipziger
Pfarrers J. Herz, Arbeiterfchaft und Kirche nach
dem Kriege. H. ftellt feft, daß vor dem Kriege durch
große Unterlaffungsfchuld der Kirche dies Verhältnis mit
verfchwindenden Ausnahmen gleichgültig oder geradezu
feindfelig war. Doch lagen die Haupthinderniffe nicht
in religiöfen Zweifeln, fondern in politiieher Verbitterung.
Der Krieg hat zwar keine religiöfe Erneuerung der Arbeiterfchaft
, auch kein pofitiv befferes Verhältnis zur Kirche
gebracht; aber eh hat den nationalen Sinn der weit
überwiegenden Mehrzahl bezeugt, und Staat und Gemeinde
haben daraufhin die Arbeiter als Staatsbürger anerkannt
. Das bedeutet für die Kirche Möglichkeit und
Pflicht, auch ihrerfeits ein neues pofitives Verhältnis zur
Arbeiterfchaft anzubahnen. Die Schilderung der prakti-
fchen Wege enthält einen ernften Aufruf an das Gewiffen
der Kirche. Möge er gehört und beherzigt werden.

Hannover-Kleefeld. Schuft er.

Hobbes, Thomas: Grundzuge der Philofophie. i.Tl. Lehre
vom Körper. In Auswahl überf. u. hrsg. v. MaxFrifch-
eifen-Köhler. (Philof. Bibl. 157. Bd.) (VI, 210 S.) 8°.
Leipzig, F. Meiner 1915. M. 5—; geb. M. 5.80

In der Gefchichte der Staatswiffenfchaft nimmt Hobbes
eine hervorragende Stellung ein; hier hat er fich felbft
durch feinen Leviathan ein dauerndes hiftorifches Denkmal
gefetzt. In der Gefchichte der Philofophie wird er
dagegen durch das hellere Licht, das Descartes und
Spinoza ausgeftreut haben, fo fehr verdunkelt, daß er in
den üblichen Darftellungen merklich hinter beiden zurücktritt
. Dilthey ift der erfte gewefen, der die prinzipielle
Bedeutung von Hobbes erkannt und durch eine an-
fchauliche Zergliederung feiner Syftematik erhärtet hat.
Die naturaliftifche Staatslehre Hobbes' ift nicht nur eine
charakteriftifche Einzelleiftung für fich, fondern der
Schlußftein eines Gewölbes, das auf den Prinzipien eines
konfequenten Naturalismus aufruht. Die kalte, rechne-
rifebe Denkart, die Machiavell in die politifche Begriffsbildung
eingeführt hat, ift durch Hobbes zum erften Mal
auf das ganze Gefüge der Wirklichkeit übertragen und
dadurch zum Syftem erhoben worden. Man kann Hobbes
von feiner Höchftleiftung aus geradezu als den Syfte-
matiker des Machiavellismus bezeichnen. Die Struktur
feiner Syftematik ift diefe, daß die exakte, d. i. die von
allen ideellen Motiven und Unberechenbarkeiten losge-
löfte Staatslehre auf eine im gleichen Sinne exakte naturaliftifche
Pfychologie geftützt wird, die ihrerfeits wieder
auf den Ergebniffen der Phyfiologie und Phyfik aufruht.
Eine Erkenntnistheorie von ftrengfter Nüchternheit, im
Sinne eines pofitiviftifchen Rationalismus, der fich auf
die Erleuchtung des zwangsläufigen Wirkungszufammen-

hanges der Erfcheinungen einfehränkt, liefert die metho-
difche Grundlegung des Ganzen.

Die Einficht in diefen Zufammenhang zu erwecken
und damit die fyftematifche Bedeutung von Hobbes
durch Erfchließung feiner Plauptwerke einzufchärfen, ift
der Zweck der vorliegenden Überfetzung, die mit der
Darbietung der Lehre vom Körper das Grundlegungsbuch
der Hobbesfchen Philofophie zum erften Mal ins
Deutfche übertragen hat. Die Überfetzung ift gut gelungen
und gehört zu den beften, die die philofophifche
Bibliothek in den letzten Jahren herausgebracht hat. Die
klare und knappe Einleitung in die zeitgefchichtlichen
Bedingungen des Hobbesfchen Syftems, die der Über-
fetzer vorangefchickt hat, wird allen Lefern willkommen
fein.

Berlin. Heinrich Scholz.

Lasson, Paft. Georg: Was heißt Hegelianismus? (Philofophifche
Vorträge, veröffentlicht v. der Kantgefellfchaft.
Nr. 11.) (36 S.) 8°. Berlin, Reuther & Reichard 1916.

M. — 80

Der Vortrag des bekannten Hegelianers und Herausgebers
mehrerer Neudrucke von Hegelfchen Schriften
charakterifiert den Hegelianismus, im Ünterfchiede von
der Lehre des befonderen hiftorifchen Hegel felbft, als phi-
lofophifches Prinzip, wie man etwa den Kritizismus im Ünterfchiede
vom hiftorifchen Kant auf feine allgemeine Idee
bringt. Es ift eine der vielen Repriftinationen, zu denen
unfere Epigonenphilofophie neigt. Der Verfaffer erwartet
vom Weltkriege, daß auch das Werk Hegels in
feinem bleibenden Gehalte wieder fruchtbar werde. Eines
der vielen erwarteten Munera Martis! Die bleibende
Idee wird von dem Verfaffer in den drei Hauptpunkten
zufammengefaßt: Die abfolute Deckung von Sein und
Vernunft oder abfolute Rationalifierung des Seins, die abfolute
Deckung von Bewegung oder Veränderung mit
logifch notwendigem Prozeß und die abfolute Koinci-
denz des menfehlich-animalifchen mit dem göttlichen
Denken. Befonders intereffiert hätte hier der Raum, den
Hegel trotzdem dem Zufälligen, Irrationalen, Individuellen
einräumt. Allein darauf geht der Verfaffer mit keinem
Worte ein. Statt deffen hebt er die abfolute Rationalifierung
oder Logifierung der Wirklichkeit hervor, die diefe
Philofophie für den naiven Menfchen vorausfetzt und für
den philofophifchen begreift. Auch legt der Verfaffer
Wert darauf, gerade in diefer Rationalifierung die Konfe-
quenz des echten Kantifchen Denkens zu fehen, das
allerdings rationaliftifch-fyftematifcher ift und mehr meta-
phyfifche Vorausfetzungen und Folgerungen enthält, als
man meiftens zugibt. Allein gerade die Trennung von
Denken und Sein und die bei aller Apriorität doch anthro-
pologifch-fubjektive Haltung der durch Erkennen aus der
Erlebniswirklichkeit zu formenden und dadurch erkannten
Gegenftändlichkeit unterfcheidet doch allen Kritizismus
ftreng von Hegels Identifikation des göttlichen undmenfeh-
lichen Geiftes, von Denken und Sein. Er läßt eben die
ungelöften Rätfei offen und arbeitet unter der Voraus-
fetzung ihres Offenbleibens lediglich vom logifchen Subjekt
her. Für meine Perfon fehe ich in Hegels Über-
fteigerung des Kantifchen Aphorismus zu einem kosmifchen
logifchen Notwendigkeitsfyftem gerade diejenige Richtung
, welche den Aphorismus und Rationalismus in der
unglücklichften Richtung fteigert und ebendaher die
Welt nicht geftalten, fondern nur begreifen d. h. für
dialektifch notwendig halten kann. Gerade der Kant
und Hegel gemeinfame Rationalismus ift für mich das
Problem, das freilich nicht durch den biologifch-pfycholo-
giftifchen Empirismus oder Pofitivismus aufgelöft werden
kann, das aber beweglicher und produktiver gemacht werden
muß. Gerade diefes letztere tut die Dialektik nur
fcheinbar, in Wahrheit verkleinert gerade fie den grund-
fätzliehen Rationalismus. Auch die KantifcheMehrfpältig-