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Ausgabe:

1917 Nr. 2

Spalte:

420-421

Autor/Hrsg.:

Mutius, Gerh. v.

Titel/Untertitel:

Die drei Reiche. Ein Versuch philosophischer Besinnung 1917

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 22/23.

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an. — Erich Förfter's Betrachtungen über die fittliche ,
Entlüftung nehmen ihren Ausgangspunkt in den grundlegenden
Anfangsparagraphen der Ethik Herrmann's. — j
Zwei Auffätze weifen auf Herrmanns Artikel in der j
Chriftlichen Welt hin: ,Die Türken, die Engländer und .
wir Deutfchen Chriften* 1915. Stephans Skizze möchte j
andeuten, wie etwa im Anfchluß an die von H. vertretene i
Theologie eine religiöle Würdigung der Religionsgefchichte
erwachten könnte: in jener Gelegenheitsfchrift habe H. :
deutlich bekundet, wie weit und tief er trotz feines fcharf- I
bewußten Chnftentums in der religiöfen Anerkennung des
Islams zu gehen vermag. Aus jenem Effay entlehnt auch ;
Heermann (Grundfätzliches zur Mohammedaner-Miffion)
das Programm diefer Miffion, fofern es gilt ,den Beken- j
nern des Islams zu zeigen, daß in der Überlieferung des |
Neuen Teftaments die Erfcheinung einer geiftigen Macht
zu finden ift, die für jeden, der fie wirklich fieht, das j
mächtigfteErlebnis werden kann; dann kann ihnen durchaus
das ein Evangelium werden, daß Jelus Chriftus in die Welt
gekommen ift' (122). ,Beim Islam hüten wir uns vor
aller aus der augenblicklich politifchen Lage entfprunge-
nen Schönfärberei' (S. 36), ob bei diefen Worten die genannte
einfeitige, gegen die Engländer höchft ungerechte
Schrift H's der Verfafferin des Beitrags ,Der Glaube an
Gott und die Wiffenfchaft unferer Zeit im Religionsunterricht
' vorfchwebte, mag dahin geftellt bleiben; 1 ic. Carola
Barth hat dort H'fche Anregungen, vorzüglich aus der
Schrift ,Der Glaube an Gott und die Wiffenfchaft unferer
Zeit' 1905 in geiftvoller Weife praktifch verwertet und
an konkreten Beifpielen, namentlich an der Frage des Gebets
, recht anfchaulich zu machen gewußt. — Die ,Ge-
fchichte der Beurteilung der Myftik' läßt Heuffi in eine
Darftellung der Pofition Herrmann's auslaufen, die der-
felbe nicht klarer ausfchreiben konnte als dadurch, daß
er ihren Gegenfatz zur Myftik fcharf hervorarbeitete und
die eminent gefchichtlich-ethifche Religion des Chriftentums
der alten Naturreligion gegenüberftellt (171—172). —
Das Verfügungsrecht der Dogmatik über die Gefchichte
weift Rade in einer Skizze nach, die das behandelte
Thema an dem Verhältnis von H's Verkehr des Chriften
mit Gott zum Chriftentum Luther's andeutend exemplifiziert
. — Auch Mulert (Das Individuelle und der notwendige
Widerfpruch im religiöfen Denken in feiner Bedeutung für
die Glaubenslehre) wandelt in Herrmann's Spuren, der fehr
nachdrücklich davor warnt, aus der Dogmatik ein Joch zu
machen, das man auf der Chriften Hals legt, indem fie uns
zumute, in den Gedanken des Glaubens übereinzuftimmen;
fie follen uns vielmehr anleiten, uns deffen voll bewußt
zu werden, was Gott uns, jeden in feiner Weife, erleben
läßt. — In dem Beitrag Mahling's (Ift die Kirche eine Be-
kennergemeinfchaft oder eine Bekenntnisgemeinfchaft?)
wird die Bejahung des erften Gliedes der Frage wefent-
lich im Sinne H's begründet, der fich zwar nirgends
ausführlicher im Zufammenhang über das Wefen der
Kirche ausgefprochen, aber doch Gefichtspunkte eröffnet
hat, die Mahhng leinerleits geltend macht und in dankenswerter
Weife beftätigt (175. 177. 187. 188). — Unter häufiger
Bezugnahme auf H's Ethik (9. 14 17. 18) unterfucht
Bachmann den Begriff der Perfönlichkeit bei Schleiermacher
und in der Gegenwart, indem er befonders Eucken's
Grundgedanken heranzieht. — Cohen's Schrift, Der Begriff
der Religion im Syftem der Philofophie 1915 gab Bornhaufen
Anlaß, das Problem von der Wirklichkeit Gottes
in feiner verfchiedenen, durch C. und H. verfuchten Ausprägung
zu erörtern. — Auch des Feldgeiftlichen Lic.
W. rrefenius zu beherzigende Worte über Gottesglaube
und Heimatgefühl ftehen unter dem Zeichen H'fcher Gedanken
.— In Auffätzen, die dem Arbeitsgebiet H's ferner
liegen, wie die Ausführungen Frankenberg's über den
Krieg in der Religion der älteren Propheten, oder Bult-
mann's über die Bedeutung der Eschatologie für die Religion
des Neuen Teftaments, läßt fich eine Orientierung
an H's Formulierungen und Frageftellungen nicht verkennen
(83. 86—87. 112) — Direkter an H. knüpft Sieg-
mund-Schultzes umfichtige, das Für und Wider abwägende
Darftellung, in welchem Sinn und Umfang von
einer Internationalen Ethik die Rede fein kann (258—259):
das Urteil über O. Baumgartens Schrift ,Politik und Moral',
die der Verf. eine ,unglückliche Kriegsverirrung'nennt, verdient
befonders hervorgehoben zu werden (252). — In
deutlicher Fühlung mit H's Werk ftehen auch die Beiträge
von Scholz (Die Religion im Syftembegriff der
Kultur) und von Wobbermin (Die religionspfychologifche
Methode in der fyftematifchen Theologie): jener beantwortet
die von ihm aufgeworfene Frage dahin, daß der
Ausfchluß der Religion aus dem Syftem der Kultur einem
Kulturbegriff entfpringt, der feinen Anfpruch vor diefer
felbft bei genauer Prüfung nicht durchzufetzen vermag;
diefer bewegt fich in Auseinanderfetzungen mit Traub,
die ihn in dem Maße von H. abführen, als er fich felbft
von Traubs Definitionen entfernt. — Ganz abfeits liegt die
rein hiftorifch gehaltene Arbeit Sippel's: Zur Frage nach
dem Urfprung des Pietismus, die eine dankenswerte Ergänzung
, bezw. Richtigftellung unferer Kenntniffe von
den Anfängen des reformierten Pietismus bietet.— Dagegen
muß es ganz in der Ordnung erfcheinen, daß auch
eine Predigt (J. Naumann, Pfingftpredigt über 1 Corinth.
12,3—7) in diefem Bande eine Aufnahme gefunden hat:
ift doch diefe Tatfache ein typifcher Beleg für die homi-
letifche und praktifche Verwendbarkeit der von H. vertretenen
Glaubensgedanken. — Selbft aus diefen ganz
lummarifchen Andeutungen dürfte erhellen, welch reichen
Inhalt die H. gewidmete Feftfchrift in fich fchließt. Es
zeigt, in der Tat, ,die Verfchiedenheit der Stimmen,
die aus diefem Buche tönen, finnbildlich die Fülle der
Wirkungen, die H's Arbeit auf den verfchiedenften Gebieten
mittelbar oder unmittelbar gefchenkt worden find'.
So wird auch die große Schar aller, die fich durch H's
Lebensarbeit gefördert wiffen, dem Wunfch der Herausgeber
aus aufrichtigem Herzen beipflichten, daß ,Gott ihn
noch lange unter uns wirken laffe als den treuen Eckart,
der um eine tiefere und reinere Erfaffung ihres religiöfen
Befitzes ringenden Theologie'.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Mutius, Gerh. v.: Die drei Reiche. Ein Verfuch philofoph.
Befinnung. (227 S.) 8°. Berlin, Weidmannfche Buchh.
1916. M. 4 —

Der Zugang zu diefem Buch wird dem Lefer nicht
gerade leicht gemacht: einzelne Auffätze enthält es über
mannigfache Gegenftände, in einer Sprache, die bei aller
Schönheit doch viel reicher und fchwerer ift, als wir es
zumeift von philofophifchen Liebhabern gewöhnt find;
I dazu: kein Zitat, keine Anknüpfung, keine .Schule' und
! kein Syftem: man muß fchon mit dem Buche ringen,
I wenn man fich den Eingang verfchaffen will. Gelingt
das, dann ift man freilich reich belohnt. Sein Titel weift
1 tatfächlich auf feinen innerften Gehalt hin. Es ift kritifch
begründete Wertphilofophie, die es bietet. Über dem
: Reich der Natur erhebt fich zuerft das zweite Reich des
fittlichen Handelns, darüber aber fleht das der reinen
Innerlichkeit. Immer wieder macht der Verf. diefen
Unterfchied klar: das dritte Reich liegt jenfeits des durch
die praktifche Spannung hervorgerufenen Gegenfatzes
vom Subjekt und Objekt; es ift zweckfrei wie die Natur,
fo daß es mit ihr dem Zweckhandeln des zweiten Reiches
gegenüberfteht; es ift das reine Werterlebnis, da es die
| Qualität bedeutet, die nur felbft einfam vom Menfchen
i erlebt werden kann; es ift die freie Lebendigkeit, die fich
nach unferm eigenen Gefetze von innen her fchöpferifch
entfaltet; es ift endlich das Reich der Freiheit, das
als der höchfte abfolute Wert über dem Reich der Mittel
und Zwecke und dem Bereich des Toten fleht, wo die
Lebensmittel zum Lebenszwecke werden; wer von feinem
Selbft gelchieden und zu jener innern Lebendigkeit ge-