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Ausgabe:

1917 Nr. 2

Spalte:

390-391

Autor/Hrsg.:

Hadorn, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Männer und Helden. Die schweizerische Reformation und ihre Segnungen 1917

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 20/21.

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volle Wahrhaftigkeit, mit der er der Macht des Böfen
bis in ihre Veräftelungen hinein ins Auge blickte, das
löfende Wort gefunden.' — Zum vollen Verftändnis aller
diefer Schriften follte man Rades Bericht über die Eife-
nacher allgemeine lutherifche Konferenz in der ,Chriftl.
Welt' Nr. 35 und 36 lefen; fie bettätigen ganz den Eindruck
, den Rade empfing: hier ift der hiftorifche Luther
noch am ftärkften lebendig, und man fpürt etwas von
feiner Kraft, auch wo man inzwifchen anders denken
gelernt hat.

Mit Lutherfeftfpielen ift es eine eigene Sache; der
hiftorifche Stoff ift gemeinhin zu bekannt, um fich die
poetifche Umformung gefallen zu laffen, und ohne eine
l'olche ift er etwas fpröde. So wird man in der Regel
mehr oder minder Unwahrfcheinlichkeiten in den Kauf
nehmen muffen. In Bubs ,deutfchem Lutherfpiel' find nun
leider die Unwahrfcheinlichkeiten oft genug zu Unrichtigkeiten
gefteigert. Einige Beifpiele: Spalatin, der Hofpre-
dinger, wird zum kurfächfifchen Kanzler, das ganze Volk
lieft und freut fich an den doch lateinifch angefchlagenen
95 Thefen, das Schelmenftückchen vom Raube des Tetzel-
fchen Ablaßkaftens auf Grund vorher erteilter Abfolution
wird als bare Münze genommen und die ganze Ablaßlehre
falfch als Sündenvergebung dargeftellt, Luther foll in feiner
Zelle ein Buch von Hus gelefen haben, Hutten erfcheint
auf dem Wormfer Reichstage und plant gemeinfam mit
Sickingen einen Gewaltftreich, wo er doch gerade damals
,zahm wie ein Lämmchen' geworden war. Alle diefe
Dinge hätten vermieden werden können, wenn man fich
nur die Mühe geben würde, fich um die Lutherforfchung
etwas zu kümmern. Wozu arbeitet denn diefe eigentlich r!
Von diefen Fehlern abgefehen, lieft fich das Lutherfpiel
ganz hübfch; es zerfällt in zwei Bilder: in Wittenberg
beim Thefenanfchlag, in Worms auf dem Reichstage.
Luther wird nur am Schluß redend eingeführt mit den
Worten: ich bin hindurchI

Schweizerifche Arbeiten.

Der Baller Privatdozent Ernfit Staehelin arbeitet an
einer Biographie des Reformators Johannes Oekolampad
und hat bereits verfchiedentlich Vorftudien zu feinem
großen Werke veröffentlicht. Dazu gehört auch die vorliegende
, nach Form und Inhalt fehr anfprechende
akademifche Antrittsrede1, die aus voller Sachkenntnis
heraus ein lebendiges Bild zu erzeugen vermag. Oekolam-
pads Wirkfamkeit auf die Romanen knüpft fich an feine
Tätigkeit als .Abteilungschef für das Neue Teftament' bei
Erasmus' Textausgabe von 1516 und feine Tjberfetzungen
der Kirchenväter, unter denen namentlich die des Chryfo-
ftomus und Theophylact die weitreichendfte, bis auf die
Gegenwart ausgedehnte Wirkung ausgeübt haben. Es ift
fehr lehrreich zu lefen, wie man Oekolampad verketzerte,
nur um ihn anonym weiterzudrucken. Seine Homilien
zum 1. Johannesbrief hat er felbft in Frankreich eingeführt,
Calvin lernte in Straßburg die Prophetenkommentare
kennen, Jean Crefpin veranftaltete in den fünfziger Jahren
des 16. Jhs. eine Gefamtausgabe aller Prophetenkommentare
und Vorlefungen des Baflers. Seine Schriften zum
Sakramentsftreit find bis nach Italien gedrungen, endlich
haben perfönliche Beziehungen, fei es durch Briefe, fei es
durch mündliches Wort, den Kreis von Meaux, die Reformation
in Montbeliard, die Waldenfer beeinflußt, und
Michael Servet fucht Fühlung mit Oekolampad, zu dem
er ,mehr Zutrauen hat als zu allen andern, die in der
Welt find'. So hat des .Erasmus Theseus' (fo nannte ihn
jener felbft) in der Tat ftark auf die romanifche Welt
gewirkt. —Die Vorlefung ift umrahmt von grundfätzlichen

1 Staehelin, Privatdoz. Lic. Ernfl: Oekolampads Beziehungen
zu den Romanen. Habilitationsvorlefg., geh. an der Univ. Bafel am 15.
Dez. 1916. (40 S.) 8°. Bafel, Helbing & Lichtenhahn 1917. M. I —

I Bemerkungen kirchen- und dogmenhiftorifcher Natur; fie
find zu knapp, um näher gewürdigt werden zu können.
Der Kirchengefchichte wird als eine Aufgabe zugewiefen,
,die Gefamtheit des menfchlichen Lebens in ihren Beziehungen
zu der gefchichtlichen Wirklichkeit der chriftlichen

1 Religion und ihrer Ausprägungen zu unterfuchen'. Dem
kann man, zumal die Worte durch den Zufammenhang
gegen Mißverftändnis gefchützt find, zuftimmen. Hingegen
habe ich gegen die Schlußgedanken ftarke Bedenken
. Es wird den Reformationskirchen .geradezu eine
Schuld' aufgebürdet, daß fie nicht ,den ganzen Offenbarungsinhalt
' fich aneigneten, und uns die Aufgabe geftellt,
,die Offenbarung nach ihrem ganzen Heilsinhalte neu
lebendig zu machen'. Da müßte man fich doch zunächft
darüber klar fein, was denn ,die Offenbarung' und ,der
ganze Heilsinhalt' ift. Es fieht aus, als ob St. darunter die
Bibel verftände, aber die ift keine Einheit, fondern eine
Summe fehr verfchiedener Gedankenkomplexe, daher fie
denn auch ganz verfchieden gewertet und angeeignet
wurde. St. meint, der Streit unter den Reformationstypen
wäre unterblieben, .wenn fie alle in der Glaubenserkenntnis
der vollen Offenbarung ftünden', aber er fagt uns
nicht, welcher Art denn diefe fein follte.

Die Schrift von Hadorn1 hat einen Sturm im Glafe
Waffer erzeugt und einen in jeder Hinficht unliebfamen
Schatten auf die Reformationsfeier der fchweizerifchen
Kirchen geworfen. Sie ift eine der beiden amtlichen, von
der Kirclienkonferenz befchloffenen Feftfchriften, follte
alfo der Einheit und der Weihe der Vergangenheit dienen;
ftatt deffcn ift fie zum Zankapfel geworden. Das hatte
verfchiedene Gründe. Es ift unleugbar, daß fie eine Anzahl
von Fehlern und Flüchtigkeiten enthält, die, erklärlich
bei der Überlaftung des Vf. durch das Doppelamt
des Pfarrers und Profeffors, erklärlich nicht minder
bei einer Volksfchrift, die nicht mit gelehrtem Apparat
belaftet fein darf, gleichfam aus demHandgelenkgefchrieben
werden muß, wobei dann den Autor nur zu leicht das
Gedächtnis täufchen kann, auf alle Fälle bedauerlich bleiben
und leicht hätten befeitigt werden können, wenn die Ober-
inftanz der fchweizerifchen reformierten Kirchenkonferenz
eine Überprüfung vorgenommen hätte.

Ich notiere Folgendes: Zu S. 14: es geht etwas zu weit, daß die
Unfchuld der Dominikanermönche im Jelzerhandel .einwandfrei' feft-
gcftellt fei; Haupt, Occhsli und Boffert nehmen eine Mitfchuld der Dominikaner
an. Zu S. 20: der Gegenfatz zwifchen den italienifchen Huma-
niften als Freidenkern und den deutfehen als ernfthaften Gelehrten killt
lieh in diefer Schärfe nicht mehr halten. Reuchlin war der Großonkel
Melanchthons. Zu S. 23: bei der Erwähnung des Tetzelfprüchleins ift
überfehen, daß es lieh nur auf die Erlöfung der Seelen der Verdorbenen
bezieht; die Bedrohung Luthers durch Tetzel mit einer Anklage beim
Papfte ift nicht richtig, vgl. N. Paulus: Joh. Tetzel S. 48. Zu S. 27:
Das ,Ein Würtlein kann ihn fällen' kann nicht auf das Wort: Glaube
bezogen werden, vgl. Steinlein in: Hannov. Paftoral-Korrefpondenz 1917
Nr. 5. Zu S. 30: Die Sendung von Miltitz ift nicht richtig gewertet;
vgl. Kalkoffs Forlchungcn. Zu S. 33: Das .Tafchenfpielcrkunftftückchen'
Samfons ift irrig, offenbar nach dem Gedächtnis wiedergegeben; vgl.
Bullinger:Reformationsgefchichte I, 16. Zu S. 36: Die .Erlernung der
griechifchen Sprache, um das N. T. in feiner Urfprache lefen zu können'
ift für Zwingli zu früh angefetzt. Zu S. 38: kann man den bekannten
Brief an Heinrich Utinger mit dem Eingcftändnis feiner Verfehlung
wirklich .demütige Selbfterkenntnis' Zwingiis nennen? Er fucht doch
deutlich die peinliche Sache als nicht fo fchlimm hinzuftellen. Zu S.
48: Die .Prophezei' hat nicht ihren Namen daher, ,weil man Abfchnitte
des A. T. behandelte', fondern nach Zwingiis Deutung des TiQO(pijXtV(tv
als Sprachenauslegung 1 Cor. 12. Zu S. 50: Kcffler ift nicht ,zur Weihnachtszeit
des Jahres 1522' mit Luther in Jena zufammcngetrofl'en, fondern
zur Faftnachtzeit, wohl am 3. März. Zu S. 74: Der Untervogt
heift Wirth, nicht Wirtz. Zu S. 79 : Die Erzählung von Zwingiis Äußerung
über den Kometen auf dem Friedhof ift Legendel vgl. ZKG. Zu
S. 92: daß Calvin die Rede für den Rektor Cop verfaßte, ift nicht ganz
ficher. Zu S. 111: die Ausführungen über die Ehe, insbefondere der
Satz: ,man duldete die Ehe als ein trauriges Übel, weil die Kirche doch
nicht ausfterben durfte' wird dem Katholizismus nicht gerecht. Auch

1 Hadorn, Pfr. Prof. D. Wilh.: Männer und Helden. Die fchwei-
zerifche Reformation und ihre Segnungen. Zum Reformationsjubiläum
dem reformierten Schweizervolk dargeboten v. der Schweizer, ref. Kirchenkonferenz
u. in ihrem Auftrag verf. (112 S. m. Abbildgn.) 8". Bern,
Dr. G. Grünau 1917. Geb. M. 2 —