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Ausgabe:

1917 Nr. 2

Spalte:

380-381

Autor/Hrsg.:

Walther, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die ersten Konkurrenten des Bibelübersetzers Luther 1917

Rezensent:

Risch, Adolf

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379

Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 20/21.

380

wenn man erfährt, wie gleichgültig frühere Zeiten gegen
diefe reliquiae Lutheri gewefen find, es ift aber doch
zu erfehen, daß noch anfehnliche Stücke durch neuere
Forfchung wieder bekannt gemacht werden konnten.
Über Luthers Handfchrift felbft handelt O. Brenner. Er
beftätigt die fchon früher ausgefprochene Anficht, daß
L. für deutfche und lateinifche Schrift fich des gleichen
Duktus bedient, weift aber doch auf Grund genauer Prüfung
nach, daß fich gewiffeBuchftabenformen bei ihm nur
einftellen bei latein. Texten. Man muß bedauern, daß diefe
minutiöfe Unterfuchung nicht durch eine vergleichende
Tafel beider Alphabete veranfchaulicht wird. Ein zweiter
Beitrag Brenners behandelt die Streitfrage, was die Worte
,und kein Dank dazu haben', in ,Ein fefte Burg' bedeuten.
Er geht dabei von dem Ausdruck .ohne feinen Dank' =
,ohne feine Zuftimmung, Gutheißung ,Willen' aus und fieht
in der Wendung .keinen Dank dazu haben' nur eine
vollere, vielleicht zunächft aus rhythmifchem Empfinden
für das Lutherlied geprägte, dann mehrfach bei L. wiederkehrende
Form, im Sinne von ,ob fie wollen oder
nicht'. ,Dank' für fich allein habe nicht die Bedeutung
von Wille, Zuftimmung; diefe gewinne das Wort erft durch
das ,ohne meinen Dank'. Zur Gefchichte Luthers bringt der
Beitrag Kr okers Klärung über die alte Überlieferung, daß
eine Unterredung Käthe von Boras mit Amsdorf Luther zu
feiner Verlobung mit ihr den erften Antrieb gegeben habe.
Für diefe bisher nur durch Scultetus im 17. Jhrh. überlieferte
Unterredung hat Kr. in einer Wiener Tifchredenhandfchrift
die alte Quelle aufgefunden. Er ftellt dabei durch forg-
fältige Unterfuchung feft, daß zwar Amsdorfs Bericht in der
Hauptfache Glaubwürdigkeit beanfpruchen darf, daß aber
die mißgünftige Kritik, die er dabei an Käthes fpäterem
Verhalten zu Luther übt, durch die Tatfachen als ge-
häffige Entftellung erwiefen wird. Köhler behandelt
den Ausbruch des Abendmahlsftreites mit Rückfichtnahme
auf W. Walthers bekannten Auffatz über die Taktik,
die reformierterfeits in diefem geübt fei. Er plädiert für
eine wefentlich günftigere Beurteilung der Schweizer; er
zeigt, daß fie aus den früheren Äußerungen Luthers die
Auffaffung gewinnen konnten, als ftimme L. mit ihnen
überein, und daß fie noch längere Zeit im Unklaren geblieben
, welches eigentlich feine Meinung jetzt fei. Diefer
Auffatz wird neben dem Waltherfchen ernfte Beachtung
beanfpruchen dürfen. Buchwald ftellt aus den neuerdings
bekannt gewordenen Predigten L.'s zufammen, was
fich daraus über außerhalb Wittenbergs gehaltene Predigten
und damit über Reifen L.s lernen läßt. Freilich
handelt es fich dabei meiftens um Fahrten in die Nach-
barfchaft, nach Kemberg, Jeffen, Niemeck, Schweinitz,
Lochau ufw.; aber für ein gefichertes Itinerarium, für die
Datierung der Briefe und dgl. find auch diefe kleinen
Dinge von Wichtigkeit. — Zwei Beiträge bezeugen, daß
die Verfaffer, obgleich fie im Felde ftehen, in unfrer
Feftfchrift nicht fehlen wollten, obgleich fie nicht imftande
waren, zur Zeit an der Lutherforfchung fich zu beteiligen:
O. Clemen bringt aus Mitau die Reifetagebuchnotiz
eines Kurländers über feinen Befuch des Grabes Luthers
vom J. 1785, zu der Barge die erforderlichen Erläuterungen
geliefert hat. Karl Drefcher aber teilt nach einer
in Florenz genommenen und ihm übergebenen Abfchrift
den Brief des Kardinals Giovanni Salviati an feinen Kollegen
in Ravenna mit, der harmlos von dem Gedanken
fpricht, Luther durch Erteilung der Kardinalswürde zu
gewinnen und unfchädlich zu machen. Auf nähere
Unterfuchung namentlich auch der Frage, ob der Brief
1519 oder 1539 zu datieren fei, muß er verzichten und
fich mit einfacher Bekanntgabe des Textes genügen
laffen.

Die Mitarbeiter hoffen, ihre .Lutherftudien' werden
fich als des Charakters der W. A. würdig erweifen und
als Bereicherung der Lutherforfchung anerkannt werden.

Berlin. G. Kawerau.

Walt her, Prof. D. Wilh.: Die erften Konkurrenten des Bibel-
überfetzers Luther. (III, 77 S.) 8". Leipzig, A. Deichert
1917. M. 1.80

Sehr große Verdienfte um die Aufhellung der Vor-
gefchichte der deutfchen Bibel hat fich Prof. D. Walther
in Roftock erworben. Seine .Deutfche Bibelüberfetzung
des Mittelalters' (1889 — 92) hat quellenmäßig nachge-
wiefen, von wie Vielen vor Luther eine Verdeutfchung der
Bibel, allerdings nur aus der Vulgata, vielfach ohne genügende
Lateinkenntnis, meift ohne deutfches Sprachgefühl
verrucht worden ift. An diefe Unterfuchung fchließt
fich auch die neuefte Veröffentlichung an, die als Vorarbeit
eines größern Werkes über die Lutherbibel entftanden ift.
Bis jetzt waren uns eigentlich die Männer, welche fich
gleichzeitig mit Luther an eine Verdeutfchung der bib-
lifchen Bücher gewagt haben, nur dem Namen nach bekannt
. Walther hat ihre Arbeiten aus dem Staube der
Büchereien ausgegraben, fie gründlich unterfucht und beurteilt
und läßt die Lefer in ausgehobenen Proben felbft
einen Einblick in die Art ihrer Überfetzung tun. Wir
erhalten in ihren Arbeiten einen wertvollen Maßftab für
die alles überragende Größe der Lutherfchen Bibelver-
deutfchung.

Es werden uns acht Überfetzer, drei ohne Namen, vorgeführt
. Ihre Arbeiten fallen faft alle zwifchen 1520—25,
ein Beweis wie lebhaft damals das Bedürfnis empfunden
wurde, dem Volke das Bibelwort in deutfcher Sprache
nahe zu bringen. Aber keiner reicht auch im entfernte-
ften an Luther heran. Die einen, wie Böfchenftain
und fein Schüler Amman, die gründliche Kenntnis der
Grundfprachen befaffen, ließen dem Geift der deutfchen
Sprache kein Recht. Sie beide wollten mit ihren alttefta-
mentlichen Bruchftücken durch ftreng wörtliche Übertragung
Anfängern ein Hilfsmittel bieten, fich ins Hebrä-
ifche einzulefen. Alle andern zeigen, mit Ausnahme
von Lang und einem Anonymus, gutes deutfches Sprachgefühl
; aber fie können nicht aus dem Grundtext überfetzen
; fie find keine Hebräer, manche nicht einmal Griechen
. Nachtgall legt bei feiner in flüffigem Deutfch ge-
fchriebenen Pfalmenverdeutfchung (152.ff.) die Septuaginta
zugrunde. Eine von ihm felbft aus dem Grundtexte
zufammengeftellte deutfche Evangelienharmonie (1525)
ift fo frei, daß man fie kaum noch eine Überfetzung nennen
kann (f. Proben S. 28). Luther bleibt bei aller kühneu
Freiheit doch der peinlich gewiffenhafte Überfetzer. Der
fruchtbarfte Bibelüberfetzer ift Krumpach, der 1522 rafch
hintereinander die Petrusbriefe, die Briefe an Timotheus
und Titus und das Johannesevangelium mit Anmerkungen
in evangelifchem Geifte herausgab. Seine Verdeutfchung
lieft fich gut, aber auch er fchöpfte nicht aus dem Grundtext
, fondern aus des Erasmus lateinifcher Überfetzung
des Neuen Teftaments. Luthers bekannter Freund und
Studiengenoffe Lang gibt 1521, von Luther dazu be-
glückwünfcht, einen aus dem Grundtext verdeutfchten
Matthäus heraus. Aber er klebt zu fehr an feiner Vorlage
und wagt nach dem Erfcheinen des Lutherfchen
Neuen Teftamentes keine Fortfetzung. Alle Genannten
haben es nie zu einem Ganzen gebracht, es bleibt alles
Stückwerk. Aber das Volk begehrte eine Bibel. Unternehmende
Buchhändler haben darum Stücke verfchiedener
Verfaffer zufammengeftellt und Ergänzungen dazu von
andern anfertigen laffen. So befitzen wir ein Vierevangelium
mit Längs Matthäus, Krumpachs Johannes und
einem anonymen Markus und Lukas, den man, wie Walther
S. 60 nachweift, mit Unrecht Krumpach oder Lang zu-
gefchrieben hat. Ein zweites Vierevangelium bei Grimm
in Augsburg .bringt wieder eine andere aber völlig unbefriedigende
Überfetzung derfelben Evangelien, kindlich
macht uns Walther noch mit einer fehr gewandten freien
Verdeutfchung des Galaterbriefes bekannt, der die Vulgata
zugrunde liegt. Sowie Luthers Neues Teftament
erfchienen war, wurde keine diefer Überfetzungen mehr