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Ausgabe:

1917 Nr. 16

Spalte:

348-384

Autor/Hrsg.:

Mack, Eugen

Titel/Untertitel:

Die kirchliche Steuerfreiheit in Deutschland seit der Dekretalengesetzgebung 1917

Rezensent:

Sehling, Emil

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 16 17.

34«

Wernle, Prof. D. theol.Paul: EvangelitchesChrittentum in der alle Gabe des Glaubens ftets den Aufgabencharakter des
Gegenwart. Drei Vorträge. (VIII, 118 S.) 8°. Tübingen, j Lebens aus fich entbindet. ,Eben darum ift Jefu Evan

J. C. B. Mohr 1914. M. 2.50; geb. M. 3.50

Die drei Vorträge, die ich längft angezeigt haben
follte, behandeln: 1. Chriftentum undEntwicklungsge-
danke, 2. Was haben wir heuteander Reformation?,

gelium auch das Evangelium der Hoffnung, weil es immer
vom nicht erreichten Ziele ausgeht, die Porderung höher
und höher Hellt, von keiner Zufriedenheit und Behaglichkeit
etwas willen will, fondern in jedem Menfchen, den es erfaßt
, die Sehnfucht weckt'. Leicht ziehen fich von hier

3. Die Forderungen der Bergpredigt und ihre die Linien zur Frage nach der Bedeutung der Reforma
Durchführung in der Gegenwart. Der zufammen- tion für die Gegenwart. Denn die Sehnfucht foll doch
faffende Titel foll nur befagen, daß in der Behandlung J jeine Sehnfucht auf feftem Grunde fein, eine Lebenswelt
der drei Probleme eine beftimmte Auffaffung vom Wefen j des Kindes, das fich an der Hand des Vaters weiß, aber
des Chriftentums fich zeigen wird. Diefe Einheit ift mir | nur immer näher an ihn und an die Brüder heran möchte',
vom dritten Vortrag aus am deutlichften geworden, j Offen redet Wernle von den Schwierigkeiten, die Bibel-
Wernle zeigt an der Gefchichte, wie die Forderungen ; glaube, Welt- und Gefchichtsbild der Reformatoren uns
der Bergpredigt die chriftliche Frömmigkeit in Spannung : bieten, ebenfo von den Schwächen und Schäden, die fich
mit menfchlicher Natur und weltlicher Kultur und Moral j an ilftem Werk aufweifen laffen. Aber von der Unerbitt-
unausgefetzt befchäftigt haben. Auf drei Hauptwegen Uchkeit der fittlichen Forderung aus haben fie den Weg
ift auf das Ziel hingearbeitet worden. Innerhalb der zu der vergebenden Liebe Jefu gefunden, damit aber ein
katholifchen Weltkirche vertritt das Mönchtum die ideale Fundament, auf dem fie mutig die fchwerften Aufgaben
Ethik Jefu, während die Maffen einer Kompromißmoral der Liebe, das Chriftuswerden für die Brüder, angreifen
überlaffen werden; im Grunde flehen die Hillen Täufer ! können. Erfcheinen diefe Aufgaben in der Gegenwart
und all ihre Gefinnungsgenoffen auf gleichem Standpunkt, ! _ W. redet noch vor dem Kriege — von faft unlösbaren
nur daß für fie die Welt vollends dem Verderben ge- ; Verwicklungen umklammert, fo tut uns nichts fo dringend
weiht erfcheint. Die andere Gruppe der Täufer, aber j not, wie ein kraftvolles Befinnen auf ,die Realitäten,
mit ihnen im letzten Ziel einig Zwingli und Calvin, lehnen [ welche die Reformation errungen hat',
jede Zweiteilung ab und wollen in chriftlichem Staat und „. „ „ ,

chriftlicher Rechtsordnung das Reich Gottes wirklich in weisen. s.. ück.

der Welt durchfetzen; aber es gelingt nur, indem ,ein---

unendlich gröberer, härterer, weltlicherer Geift' fich Mack Prieft> Dr Eugen: Die kirchliche Steuerfreiheit in
.vom Ideal der Benrpredigrt bis zum Vergeffen' entfernt. -. .. .. . r .. , ^ , . , r . , „ , ..

Zwilchen diefen Gegenfäfzen fleht Luther in einfamer Deutichland feit der Dekretalengefetzgebung. Gekrönte
Größe: er verlegt die Spannung in die Seele des Chriften; Preisfchrift. (Kirchenrechtliche Abhandlungen. 88.
Jefu und der Welt Reich bleiben ihm für immer gefchie- Heft.) (XII, 218 S.) gr. 8°. Stuttgart, F. Enke 1916.
den; aber der Chrift ift durch die Liebe genötigt, beiden jyj_ 11,40

anzugehören: der Glaube und Friede des Gotteskindes
machen es ihm zur Pflicht, in die Not und Sünde der Brü

der hinabzufteigen, fie ermöglichen es ihm, die fchwere
Laft diefes Doppellebens zu führen. Nachdem fchon
Brandenburg (M. Luthers Anfchauung vom Staate und
der Gefellfchaft. Ver. f. Ref. Geich. 70, 1901) die ein-
fchlagenden Gedankengänge Luthers fcharf beleuchtet
hatte, war ihnen Troeltfch (Soziallehren 479ff) in einer
Weife nachgegangen, die fofort Wernles Widerfpruch wachgerufen
hatte (Z. Th. K. 23, 1913, 24fr). Er ift hier auf
eine rückfichtslofeZuftimmung zu Luthers Grundgedanken
auch für die chriftliche Gegenwart hinausgeführt. Wernle
fieht .nirgends, an gar keinem Punkt der menfchlichen

Der Verfaffer behandelt die Gefchichte der kirchlichen
Steuerimmunität, das ift der Freiheit der Kirche, ihrer
Perfonen und Güter, von jenen Abgaben und Leiftungen
an die öffentliche Gewalt, welche von diefer auf Grund der
hohen Gerichtsbarkeit gefordert werden und die Kirche
in ihrer Aufgabe als Heilsanftalt, fo wie die kirchlichen
Perfonen in ihrer Berufserfüllung behindern. Und zwar
nur auf deutfchem Gebiete. Die Perfonen und die Einkünfte
des Klerus, und das ganze Kirchengut follen fteuer-
frei fein. So verlangt es die Kirche. Im erften Teile
werden die kirchlichen Vorfchriften feit dem c. 19 des 3.
Laterankonzil von 1179 über die Steuerfreiheit klar geEntwicklung
, ein höneres f.ttliches Ideal aufleuchten als i und analyfiert und weiter dki Anerkennung der kirchlichen
Forderungen durch das Reich behandelt.

In der Praxis kam letzteres allerdings nicht in Betracht
, da es felbft keine Steuern erhob. Wohl dagegen
die Einzelftaaten. Und fo geht denn der zweite Teil auf
diefe im Einzelnen ein; nach den Territorien (Bayern,
die altöftereichifchen Erblande, die thüringifch-wettinfchen
Lande, die Kolonifationsgebiete [Brandenburg, Mecklenburg
, Schlehen], Braunfchweig-Lüneburg, Jülich und
Berg), kommen die Städte an die Reihe und in gedrängter
aber zugleich gründlicher Form werden hier die tatfäch-
lichen Zuftände gefchildert und die Einfchränkungen und
Umgeftaltungen nachgewiefen, welche die kirchlichen F orderungen
in der Praxis erfahren haben. Der dritte Teil
behandelt die Befchränkung des kirchlichen Erwerbes,
vor allem auch die Amortifationsgefetzgebung.

DieUnterfuchungführt tief in dieVerfaffungsgefchichte,
in die Rechts- und Wirtfchaftsgefchichte des Mittelalters
hinein, in die Profan- und die Kirchengefchichichte, in das
kanonifche, wie in das weltliche Recht. Überall offenbart
der Verfaffer gediegene Kenntniffe und tüchtiges Wiffen,
gutes Verftändnis für die hiftorifchen Zufammenhänge
und eine erfreuliche Kunft zufammenfaffender Darfteilung.
Alles in Allem, eine ausgezeichnete deutfche Gelehrtenarbeit
.

das der Bergpredigt' (107). Aber feine Durchführung ift
in der Gegenwart vollends erfchwert durch die Zertrümmerung
aller Gemeinfchaftswerte, die Atomifierung des
Individuums, die Mechanifierung aller Verhältniffe. Diefer
Lage gegenüber fordert er, daß die drei bisher be-
fchrittenen Wege auch in diefer neuen Welt weiter gegangen
werden. Aber fein Herz gehört dem einen, den
Luther weift, auf dem die Perfonalunion zwifchen dem
Kinde des Friedens und dem Menfchen des Kampfes
fich vollziehen foll. Er empfände ,es als Schande, die
anderen in den Krieg ziehen zu laffen und felber die
Frucht ihrer Gefahren und Drangfale zu ernten', er müßte
.mitkämpfen, wenn das Vaterland ruft'. Die fo handeln,
wären dennoch Friedenskinder und blieben auch im
Kampf in der Liebe (115. 95. 93.)

Das Problem der Bergpredigt und feine Löfung letzt
fich fo in eine unendliche Aufgabe der Gefchichte
wie des einzelnen Menfchenlebens um. Damit ift der
Einheitspunkt für die drei Vorträge gefunden. Denn
auch alle Schwierigkeiten des Entwicklungsgedankens löfen
fich in der Einficht, daß mit ihm kein neues Dogma oder
eine fertige Weltanfchauungsformel, fondern eine unab-
fehbare Aufgabe aller Wiffenfchaft bezeichnet ift. Dem
aber begegnet, daß auch der fittliche Gedanke, das Gute,
uns immer nur in der Form der Aufgabe gegeben ift,

Erlangen. Sehling.