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Ausgabe:

1917 Nr. 1

Spalte:

6-7

Autor/Hrsg.:

Ganzenmüller, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Das Naturgefühl im Mittelalter 1917

Rezensent:

Strunz, Franz

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 1.

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behandelt. Er redet gern von den .meiften Kritikern',
.mehreren Auslegern', .vielen Exegeten', und ähnlich.
Kaum ein paar Arbeiten werden, in höchft unzureichender
Weife ohne Angabe der Auflage und meift auch der
Seite, zitiert. Aber, da es nicht weniger als dreimal (S. 7.9.19)
lautet: Bardenhever (mit v), Gefch. der altchriftlichen
Literatur, wobei, da nur eine Jahreszahl genannt ift, die
Meinung zu beftehen fcheint, das Werk umfaffe nur einen
Band, ja fogar Holtzmann, Handb. z. N. Teft. (S. 21,) und
Namenfehreibungen wie Loyfi vorkommen, bleiben ernft-
liche Zweifel beftehen, ob Gr. auch nur die von ihm namhaft
gemachten Bücher wirklich gelefen hat. Sollte aber
derartiges — und dafür könnten zahlreiche andere Flüchtigkeiten
fprechen — nur ein Mangel an Akribie bekunden
, fo bleibt gleichwohl bedauerlich, daß fich Gr. fo
belaftet an ein Problem gewagt hat, dem wie dem fyn-
optifchen nur ganz exakte Forfchung etwas abzugewinnen
vermag.

Göttingen. Walter Bauer.

Harnack, Adolf v.: Porphyrius ,Gegen die Chriften', 15

Bücher. Zeugniffe, Fragmente u. Referate. (115 S.) Lex.
8°. Berlin, G. Reimer in Komm. 1916. M. 5.50

Sowohl in feiner Dogmengefchichte als namentlich in
feiner Miflionsgefchichte befchäftigte fich v. Harnack ziemlich
eingehend mit dem Kampf des Porphyrius gegen
das Chriftentum, wobei befonders der ungenannte Gegner
bei Makarius von Magnefia den Stoff lieferte. In feiner
Schrift ,Kritik des Neuen Teftamentes von einem griechi-
fchen Philofophen des 3. Jahrhunderts' (Texte und Ünterff.
Bd. 37, 4. 1911) aber führte er den, wie ich glaube, gelungenen
Nachweis, daß Makarius wirklich porphyrianifche,
freilich durch einen Exzerptor vermittelte Sätze und Gedanken
wiedergibt und widerlegt, und er gab diefe zugleich
griechifch und deutfeh mit einem Kommentar heraus.
Nunmehr verbindet er mit den Porphyrfragmenten des
Makarius die übrigen, dem Werke .Gegen die Chriften'
entflammenden Fragmente — Äußerungen des Porphyrius
über Chriftus und Chriftliches in andern Schriften
find nicht aufgenommen — zu einer feine Vorgänger
(Lardner und Crafer) übertreffenden, vollftändigen Sammlung
. .Viel Neues habe ich trotz jahrelangen Suchens
nicht gefunden, aber doch manches Entdeckte aber Ver-
fteckte und einzelnes Neue' (S. 14).

Die Einleitung befaßt fich mit der religiöfen Stimmung
des Porphyrius — H. läßt die Nachricht, daß er
einftmals der Kirche (als Katechumene) angehört habe,
gelten —, der Zeit der Abfaffung feines umfangreichen
Werkes, deffen Beftreitung und Überlieferung und feinem
formellen Charakter. Beilage I gibt eine Überficht über
die wichtigften Übereinftimmungen (und die Verfchieden-
heit) der Makariusfragmente des Porphyrius mit den übrigen
, Beilage II. weift Crafers Hypothefen über die Fragmente
bei Makarius ab. Geffcken ftimmt (in feiner Anzeige
der Harnackfchen Veröffentlichung, Deutfche Litztg.
1916 Nr. 39 Sp. 1637 ff.) für Jamblich. Allein die von
ihm aufgedeckten Fäden dürften zu dünne fein. Und
vor allem ipricht gegen diefe Hypothefe das abendlän-
difche Neue Teftament der Fragmente, da von Jamblich
ein Aufenthalt im Abendland nicht bekannt ift. Die Ausgabe
felber beginnt mit den .Zeugniffen' (29 Nummern).
Dann kommen die .Fragmente und Exzerpte, Referate
und Abgeleitetes', 97 Nummern, geordnet nach folgenden
Gefichtspunkten: Wahrfcheinlich aus der Vorrede
(Nr. I.). I. Kritik des Charakters und der Glaubwürdigkeit
der Evangeliften und Apoftel als Grundlegung der Kritik
des Chriftentums (Nr. 2—37). II. Kritik des Alten Te-
ftaments (Nr. 38—47). III. Kritik der Taten und Sprüche
Jefu (Nr.48—72;Nr.66—72 fpeziell zumJoh.-Ev.). IV. Dog-
matifches (Nr. 73—94). V. Zur kirchlichen Gegenwart
(Nr. 95—97)- Dabei werden die Varianten verzeichnet
und wird auf die Übereinftimmung mit den Gedanken

und der Sprache des Porphyrius, fowie auf befonders bemerkenswerte
Stellen hingewiefen. Den Schluß bilden
forgfältige Regifter: Stellenregifter, Eigennamen, Sach-
regifter, Wortregifter, Verzeichnis der Fragmente (kurze
Inhaltsangabe für jedes einzelne Fragment).

An Druckverfehen habe ich bemerkt: S. 32 Z. 2 v. o. yEi/xuivog
ft. ytigSivog, S. 98 Z. 20 vsygovg ft. vEXQoiq, S. 99 Nr. 90 a Z. 11 ßan-
z/GZrjq ft. ßanziazrjg, S. 75 N. 48 Z. 4 ift in xMvvov das t ausgefallen.
(Wenn fich nur der Verlag der Akademie der Wifienfch. zu anderen grie-
chifchen Buchftaben entfchlöfie! Diefe dünnen Majuskeln — der Sperrdruck
ift womöglich noch dünner — erfchweren ganz unnötig Lefen
und Verftändnis). S. 22 muß es im Titel der Abhandlung von Loefche
.Polemiker' heißen ftatt .Platoniker', S. 29 Duchesne, De Macario Magnete
ft. Magno., S. 81 Nr. 56 Z. 3 physicae dispositionis ignarus ft.
disputationis. S. 45 Nr. 1 Z. 10 ift der Begriff 9-eo/iayovvzEg beachtenswert
: er gehört zu den Vorwürfen, die zwifchen Chriften und Heiden
hinüber und herüber gingen. In dem Scholion zu Lucian S. 41 Nr.
XXIX kann ich nicht fo unbedingt eine ausdrückliche Auslage finden,
daß Porphyr von Haufe aus Heide gewefen fei. Der Satz lautet: ovöi'v
te aloyvriXEVZEg fl nd/.iv xvvbg zgbnov int zb l'Siov dneXSuv arcEga/xa,
01 /isv xal ndvzi] zigbq z!jv aoyaiav anoxXlvavzEq ÖEiotbaitiovIav
big o'ux FLocxpvQioi b 'I'vlvitg, 01 dh xal ngbq zb ötäazgotpov zijq xa9-
hfiät änEVEyßi'vziq Ogi/axslag big'£2giybvrig b Alyvnzioq. Die dgyala
ÖEioiäaiiiovta kann auch allgemein das Heidentum als die ältere Religionsform
gegenüber dem Chriftentum bezeichnen, und das vielgebrauchte
Schriftwort vom Hund und feinem Auswurf darf nicht gepreßt werden,
da es ja auch für Origenes gilt, der ficher nicht als ein von der Härefie
Bekehrter und zu ihr Zurückgekehrter bezeichnet werden foll.

.Dort, wohin Porphyrius den Streit zwifchen religions-
philofophifcher Wiffenfchaft und Chriftentum verfetzt hat,
liegt er noch heute; auch heute noch ift Porphyrius nicht
widerlegt, und er ift überhaupt nur zu widerlegen, wenn
man ihm zunächft recht gibt und demgemäß das Chriftentum
auf feinen Kern zurückführt'. Ich habe mich entfetzt
, als ich vor Jahren erftmals diefe Sätze in Harnacks
Miffionsgefchichte las. Inzwifchen habe ich mich von ihrer
Richtigkeit überzeugt. Porphyr, der alte Gegner des kirchlichen
Chriftentums, ift auch der modernlte, und nicht
wenige feiner Ausführungen trotzen noch heute der Dialektik
der kirchlichen Apologeten.

München. Hugo Koch.

Ganzenmüller, Wilhelm: Das Naturgefühl im Mittelalter.

(Beiträge zur Kulturgefchichte des Mittelalters u. der
Renaiffance. Bd. 18.) (IV, 304 S.) gr. 8°. Leipzig,
B. G. Teubner 1914. M. 12 —

Diefes Buch bringt Wefentliches und Neues zur
mittelalterlichen Naturbetrachtung, die bis jetzt meift
ohne tiefere Kenntnis der mittelalterlichen Frömmigkeit
und ihrer theologifchen Ausdrucksformen dargeftellt
wurde. Das gab felbltverftändlich ein ganz unrichtiges
Bild. Ganzenmüller dagegen zeigt uns diefes Naturgefühl
nicht durch Vergleich mit dem des Altertums und der
Neuzeit, fondern von innen heraus, aus dem geiftigen
Sonderleben, aus der Perfönlichkeit und der Anthropologie
des Mittelalters. Es kommen die religiöfen Motive
diefer Naturbetrachtung zur Sprache und die ganze
I volkstümliche Metaphyfik, die am Anfang diefer mittel-
I alterlichen Welt fteht. Ich bin in meiner ,Gefchichte der
1 Naturwiffenfchaften im Mittelalter' (Stuttgart 1910) ähnliche
Wege gegangen und kann nur mit Freude begrüßen,
daß der Verfaffer mit fo viel Erfolg die Gefchichte des
Naturgefühls bearbeitet. ESr fleht aller Unterfuchung
; den Grundgedanken mittelalterlicher Weltanfchauung
i voran: die Religiofität. Von und zu Gott find alle Dinge.

Die Natur ift kein Selbftwert, fondern hat Wert nur
| durch Beziehung auf Gott, nur als Ausdrucksmittel ewiger
j Wahrheiten. So ergibt fich die Problemftellung: Welches
Verhältnis beftand im Mittelalter zwifchen Menfch und
Natur, und wie hat es fich in der Literatur ausgeprägt?
Es handelt fich fomit um ein Formproblem. Der Verfaffer
zeigt nun diefes an den drei Elementen, aus denen
die mittelalterliche Kultur befteht: am Neuen Teftament,
an der Antike und am Germanentum. Immer wieder
tritt damals die Anfchauung als eine Gewißheit hervor,
den abfoluten Wert in Gott und der menfehlichen Seele