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Ausgabe:

1917

Spalte:

312-313

Autor/Hrsg.:

Loserth, Johann

Titel/Untertitel:

Johann von Wiclif und Guilelmus Peraldus 1917

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 15.

312

tüchtiges Werkchen wenn man nicht den unbilligen An-
fpruch erhebt, .Neues' über den Gefchichtsgang, in
welchem Often und Welten fich kirchlich getrennt haben,
und über den allgemeinen Charakter, daneben die Haupt-
inftitutionen der Kirche des Oftens zu erfahren. Ich habe
nirgends etwas gefunden, dem ich zu widerfprechen hätte.
Es ift ja erfreulich und ein hoher Lohn für die Arbeit,
die die Forfchung auf diefem Gebiete feit Ritfehl (dem
das Verdienft gebührt, zuerft darauf aufmerkfam gemacht
zu haben, daß das orientalilche Chriftentum durch und
durch .kultifch' geartet fei), alfo in den letzten dreißig
Jahren geleiftet hat, daß fo große Übereinftimmung des
hiftorifchen Urteils gewonnen ift. Im Grunde lehren wir,
die wir die Konfeffionskunde an den Univerfitäten betreiben
, alle das Gleiche. Auch die katholifche Theologie
geht, foweit fte die orientalifche Kirche hiftorifch zu erraffen
fucht, keine andern Wege. Sie verteilt die Lichter
etwas anders, als wir Proteftanten es tun, aber neue
Gefichtspunkte hat fte nicht aufzuftellen gewußt. Ich
urteile u. a. nach der neueften katholifchen Arbeit, der
vonEhrhard, Die orthodoxe Staatskirche, in Süddeutfche
Monatshefte, Juli 1915: .Rußland von Innen'. Faft möchte
ich wünfehen, daß mal jemand wagte, die Grundidee, die
uns alle leitet, wieder anzutaften. Ein junger griechifcher
Theolog hat fich fchon entrüftet über die Triefe, daß das
Chriftentum feiner Kirche nur noch ein ,Kult' fein folle.
,Nur' — das hat ja nun freilich auch keiner gefagt. Aber
vielleicht ift wirklich mehr über die fittliche Bedeutung,
den fittlichen Gehalt des örtlichen Kirchentums zu fagen,
als uns, die wir meift nur literarifche Quellen zu benutzen
vermögen, erfchloffen ift. Wir müßten, um ficher urteilen
zu können, unzweifelhaft mehr unmittelbare Anfchauung
vom.Leben'der Völker haben, die vomGeifte diefes Kirchentums
zehren, müßten vor allem mehr Kenntnis von der
Kultur befitzen, innerhalb deren es zur Zeit fleht bzw.
in die es nach der byzantinifchen Zeit eingetreten ift und
die es doch auch beeinflußt haben wird. Ich drücke mich
vorfichtig aus, weil ein vollbegründetes Urteil über das
Maß noch keinem zufteht. Holl hat eine feine, untüchtige,
doch die Frage nicht fo konkret, wie mir nötig Rheinen
will, anfallende Studie über die Bedeutung der Kirche für
die Kultur Rußlands geboten. Möchten andere in feine
Fußftapfen treten und uns aus eigener genügend langer
Beobachtung das ruffifche Kulturleben (Formen der
Gefellfchaft, Staatsverfaffung, Kunft, Philofophie etc.), unter
dem Gefichtspunkte, wie weit das .orthodoxe' Chriftentum
darin wirkt, verdeutlichen! Aus den ruffifchen Romanen
ift fehr viel zu entnehmen. Aber, was da gefchildert wird,
ift oft unmeßbar im Verhältnis zu den großen, gar den dauernden
Gebilden, den wirklich typifchen Formen. Es ift in j
Romanen zu vieles dichterifch individuell, hiftorifch zufällig
geartet. Rußlands Kultur ift natürlich nicht die {
einzige, die man zu beachten hat, die der Balkanvölker
ift ebenfo belangreich! v. Harnack hat in einer neueren
Abhandlung der Berliner Akademie den ,Geift'der morgen-
ländifchen Kirche erörtert. Er nennt ihn den des 3. Jahrhunderts
in einer Art von Verfteinerung. Ich habe je
länger je mehr den Eindruck, daß es wohl eine Art von
fchlafendemVulkan fei, den das.verfteinerte' Kirchentum des
Oftens infonderheitRußlands darfteile. In fachlich hiftori-
fcher Formulierung habe ich in einem Vortrag über die .Kirchen
des Oftens', der in .Deutfch-Evangelifch' 1917 er-
fchienen ift, geurteilt, diefe Kirchen feien das religiöfe
Erträgnis der Verbindung des chriftlichen Glaubens und
des helleniftifchen Wefens in der Form, die das byzan-
tifche Reich herausgearbeitet hat, und in der Übertragung
auf B a u er n vö 1 ker-— denn das find die Völker der Balkan-
halbinfel und auch Rußlands immer noch beinahe ganz. Was
wird und kann daraus werden, wenn diefe Völker einmal
aufhören bloß .Maffen' zu fein und .Individuen' zu erzeugen r!
Für Rußland ift aus Mafaryks Werk außerordentlich viel
zu entnehmen: wunderfame Phantasmagorien treten einem
da vor die Seele. Und man denke an Solowjew, der

als Philofoph .orthodox' fein wollte und war. ,Helleniftifch'
an der orientalifchen Frömmigkeit ift die Luft an, das
Verlangen nach .Schauen', .Gnofis'l Ich verftehe den
Ausdruck Gnofis im Sinne der Forfchung Nordens, Reitzen-
fteins u. a. Das Moment der .Erkenntnis' ift ja darin nicht
ausgefchaltet, aber eingebettet in eine Unmittelbarkeit
der Herannäherung an das Objekt (Gott), die der .Weiten'
kaum fo kennt. Die .Myftik' des Oftens ift Sache der
Phantafie. Das ift die des Weftens nicht. Jene fucht
bunte Bilder, lebendige .greifbare' Formen, darum ift
fie kultifch ,myfterienmäßig'. Auch was der Often an Philofophie
zu erzeugen begonnen hat, ift .gnoftifch' (Tolftoi,
Solowjew). Doch ich komme von Mulerts kleinem in feiner
Art fehr nützlichen, nur eben naturgemäß nicht weiterführenden
Büchlein auf Gedanken, denen genauer nachzugehen
nicht hier der Ort ift.

Halle. F. Kattenbufch.

Lolerth, }.: Johann v. Wiclif u. Guilelmus Peraldus. Studien
zur Gefchichte der Entftehg. v. Wiclifs Summa
Theologiae. (Sitzungsberichte d. k. Akad. d. Wifl. in
Wien. Phil.- hift. Kl. 180. Bd., 3. Abh.) (101 S.) gr.8°.
Wien, A. Holder 1916. M. 2.30

Noch einmal eine Vorftudie Loferths zu der von ihm
geplanten, in dreißigjähriger Arbeit vorbereiteten Wiclif-
biographie. Dem Werke Wiclifs Summa Theologiae hatte
er fchon im 156. Bande der Wiener Akademie eine
Studie gewidmet, die insbefondere den Umftänden und
der Zeit der Entftehung desfelben galt. Nun traf ihn
die Bitte F. D. Matthews, von ihm ftatt feiner die beiden
Bücher, die noch ungedruckt find, kritifch bearbeitet
herauszugeben, und er glaubte feinem Freunde folgen
zu follen. Er hat die Aufgabe in gewohnter Sorgfalt
aufgegriffen und bietet nunmehr ein erftes Refultat der
Unterfuchung der Quellen, deren Wiclif fich bedient
hat. Im erften Buche, De Mandatis Divinis, hat W.
ficher den Wilhelm Perault (Guilelmus Parisiensis) reichlich
benutzt. Dem Nachweis, daß das gefchehen, fchickt
Loferth Mitteilungen bzw. Forfchungen über Peraldus
voraus. Die erften 34 Seiten gelten diefem, S. 35—77
dann erft Wiclifs Verhältnis zu ihm.

Peraldus ift wenig bekannt. PRE3 berührt ihn gelegentlich
(zwei Mal), nennt aber in dem Art. .Schola-
ftik', nirgends auch nur feinen Namen. Das Kath.
Kirchenlexikon widmet ihm auch bloß einen kurzen, nur
das Äußerlichfte berührenden Artikel. So ift e? fehr
willkommen und auch geradezu notwendig, daß Loferth
zunächft auf ihn und feine Schriften eingeht. Peraldus
war ein Zeit- und Ordensgenoffe des Thomas von Aquino,
doch ift weder fein Geburts- noch fein Todesjahr bekannt,
KKL meint fagen zu dürfen, er fei jedenfalls vor 1270 ge-
ftorben'. Er hat eine Reihe von Werken verfaßt, die aber
in den Handfchriften oft andern, zumal feinem berühmteren
Namensvetter, dem andern Guilelmus Parisiensis =
Wilhelm vonAuvergne (71249), zugefchrieben worden find.
L. bringt nun 1. .Allgemeine Bemerkungen über Wilh. Peraldus
und feine Werke', die aber wefentlich nur feftftellen,
daß man von feinen Lebensumftänden wenig weiß; doch
fei er einer der .beliebteften Schriftfteller feinerZeit' gewefen,
noch jetzt feien wohl Hunderte von Handfchriften feiner
Werke in den Bibliotheken vorhanden (z. B. in Wien 22,
in Prag 23, in München gar 35). In vier weiteren Abfchnitten
handelt L. dann von denjenigen Werken, die Wiclif benutzt
hat, nämlich 2. von der Summa Virtutum ac Vitiorum (das
bei weitem meiftgelefene, aber gewöhnlich dem Arvernus
zugefchriebene Werk des Peraldus), 3. vom Liber Erudi-
tionis Religiosorum, 4. De Professione Monachorum, 5.
De Eruditione Principis (früher allgemein dem Thomas
von Aquino zugefchrieben). Schließlich kommt L. noch
auf 6. die .Sermones des Peraldus'. Er gibt kurze gute
Charakteriltiken der einzelnen Werke und tritt vor allem
den Nachweis an, das fie wirklich dem Peraldus gehören.