Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1917

Spalte:

305-307

Autor/Hrsg.:

Otto, Rudolf

Titel/Untertitel:

Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen 1917

Rezensent:

Haering, Theodor

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Schürer und Adolf Harnack

Fortgeführt von Professor D. Arthur TitiUS und Professor Lic. Hermann Schuster

Jährlich 26 Nm. Verlag: J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung, Leipzig Halbjährlich IO Mark

Manufkripte und gelehrte Mitteilungen find ausfchließ 1 ich an ,. 101*7

42. JahrS". Nl? 15. Profeffor D. Titius in Gottingen, Nikolausberger Weg 66, zu fenden. 451, JU.ll lyi/

Rezenfionsexemplare ausfchließlich an den Verlag.

Otto; Das Heilige (Haering). I Jahrbuch für die ev.-luth. Landeskirche Bayerns,

Rahlfs, Verzeichnis der griechifchen Hand- | 16. Jahrg. (Schornbaum).

fchriften des Alten Teftaments (Preufchen). Aus Polens kirchlicher Vergangenheit 5. Jahrg.

Kittel, Jefus und die Rabbinen (Bifchoff). (Wotfchke).

Harris: Boanerges (Titius). j Wolgaft, Die rechtliche Stellung des schles-

Mulert, Chriftentum und Kirche in Rußland wig-holfteinfchen Konfiftoriums (Sehling).

und dem Orient (Kattenbufch). j Windelband,Gefchichtsphilofophie(Troeltfch).

Loferth, Johann v. Wiclif und Guilelmus Pe- v. d. Pfordten, Religionsphilofophie (Scholz).

raldus (Kattenbufch). j Niebergall, Jefus im Unterricht (Schuller).

Hcrgenröther-Kirfch, Handbuch der all- ! Schümer, Schulandachten (Bornemann).

gemeinen Kirchengefchichte 5. Aufl. Bd. 3 i Behrendt, Strome des lebendigen Waflers

und 4 (Krüger). (Schian).

Eckhof, De Negerpredikant Jacobus Elifa Jo- Referate: Dirichl et, De veterum macarismis.

annes Capitain (Rodert). — Strack, Das Institutum Judaicum Bero-

linense. — Palladius, Histoirc lausiaque.

— Schmidt, Zur Erinnerung an Kahnis.

— Quellenfammlung für das geltende Kirchenrecht
. — Bonin, Die Beftimmungen über
das Bekenntnis der Kinder. —Eucken und
v. G r u b e r,Ethifche und hygienifche Aufgaben
der Gegenwart. — Burckhardt, Die Alkoholfrage
im Religions- und Konfirmandenunterricht
. — Strunz u. Grunwald, Empor
die Herzen. — Steiner, Hundert Jahre
Miflionsarbeit,

Mitteilungen: 6. Deutfche Bücherei in Leipzig
. — 7. Preisaufgabe der Wiener Urania.

Wichtige Renzenfionen. — Neuefte Literatur.

Otto, Prof. Rudolf: Das Heilige. Über das Irrationale in
der Idee des Göttlichen u. fein Verhältnis zum Rationalen
. (IV, 192 S.) gr. 8°. Breslau, Trewendt & Gra-
nier 1917. M. 2.40

Der ftarke Eindruck diefes Buches ift der, daß in
ihm nicht wieder einmal allerlei geiftreiche Gedanken über
Religion vorgetragen werden, ohne daß man zur Gewißheit
kommt, ob fie von wirklicher Religion handeln.
Otto kennt das Schleiermacherfche ,Atmen des Geiftes
in ihr* und hat unter allerlei Schickfalen des Lebens,
auch auf einer .religionsgefchichtlichen Weltreife', gelernt
, andern von dem Wefen der Religion Kunde zu
geben. Die Gabe der religiöfen .Ahndung' ift in ihm befonders
entwickelt, die der .Divination', von der einer
der fchönften Abfchnitte des Buchs handelt. Das Wort
.Ahndung' möge nicht einem fchnellfertigen Beurteiler
ein ,alfo Fries'fche Schule' entlocken. Bekanntlich gehört
der Verfaffer ihr an. Aber der wichtigfte Inhalt
der Unterfuchung ift davon unabhängig, der religions-
pfychologifche und religionsgefchichtliche vom religions-
philofophifchen. Zum Teil auch diefer letztere; Otto's
Ausführungen über die religiöfe .Anlage' und namentlich
feine nachdrückliche Warnung vor leichtfertigem Gebrauch
des Entwicklungsbegriffs, vor dem Wahn, als ob das
Eigenartigfte im religiöfen Vorgang überhaupt aus den
anderen feelifchen Kräften fich reftlos .erklären' ließe,
werden von allen beherzigt werden, die es nicht unter
der Hypnofe des Entwicklungsbegriffs leicht nehmen,
aus Nichts etwas werden zu laffen. Aber das Befte des
Buchs ift die reine Beobachtung, wie fie von jener ftar-
ken divinatorifchen Kraft geleitet ift.

Die .rationalen' Prädikate der Gottheit, wie Geift,
Vernunft, Wille, fo unentbehrlich fie find, erfchöpfen,
fagt Otto, die Gottesidee fo wenig, daß fie gerade nur
von einem .Irrationalen' gelten. Diefes völlig Spezififche,
wie es in der eigentümlichen Kategorie des .Heiligen'
fich ausdrückt, will Otto ,zu Gefühl bringen' (das Wort
.heilig' nicht in feinem übertragenen Sinn = .abfolut fittlich'
verftanden, fondern gerade als Bezeichnung des ,Über-
fchuffes' darüber). Er fchlägt hierfür den Ausdruck ,das
Numinofe' vor. Es ift wie jedes primäre Datum nicht
definibel im ftrengen Sinn, fondern nur erörterbar: der
Hörer ift zu dem Punkt feines eigenen Gemüts zu leiten,

wo es ihm felbft bewußt werden muß, unterftützt durch
Vergleichung und Entgegenfetzung anderer Gemüts-
fphären. Als die erfte Reflexwirkung diefes Numinofen
im Selbftgefühl bezeichnet O. das .Kreaturgefühl' (vgl.
Gen. 18, 27), in feiner Auseinanderfetzung mit Schleiermachers
,abfolutem Abhängigkeitsgefühl'. Genauer ift
diefes .numinosum' .myfterium tremendum' und .mysterium
fascinosum', d. h. (tremendum) ebenfo fernhaltend fchauer-
voll, majeftätifch, energifch-lebendig, wie (fascinosum) wundervoll
anziehend — beides bis zur höchften Stufe hinauf
,Gott ift gegenwärtig . . .' ,du vergnügft alleine'. Myfterium
aber ift diefes tremendum und fascinosum als ,das
ganz andere': es gibt keine Übergänge vom natürlichen
Befremden zum dämonifchen; als das .Übernatürliche'
und .Überweltliche' wie als das .Überfchwängliche' ift es
begrifflich nichts Pofitives, aber das Allerpofitivfte —
nun eben für das religiöfe Gefühl. Eine Fülle treffender
Beifpiele aus allen Religionsgebieten erläutert die Grundgedanken
. Befonders wertvoll ift dann der Nachweis,
wie in dem .sanctum' gegenüber dem .profanum', auch
wo die höhere fittliche Betrachtung erreicht wird, jenes
Numinofe der religiöfe Grundton bleibt, wie erft dadurch
der religiöfe Gedanke der Sünde und der der Bedeckung
j und Sühne erfaßt werden kann (nur ,in den Tiefen des
Irrationalen gibt es ein quanti ponderis sit peccatum').
Der Gott des N. T. ift nicht weniger .heilig' als der des
A., fondern mehr; daß er fich nahbar macht, ift die ungeheure
Paradoxie. Der Abfchnitt .Ausdrucksmittel des
Numinofen', befonders auch in der Kunft, ift gleichfalls
reich an Beobachtungen, die in die Sache eindringen; fo
ift das .Incarnatus est' der H-mollmeffe und das Schweigen
bei der .Wandlung' durchaus nicht künftlich verwertet
. Auf das Numinofe im A. T., im N., bei Luther
kann nur hingewiefen werden. Überall ift aus dem
Vollen gefchöpft und nur das Charakteriftifche dargeboten
. (,In Johannes faugt das Chriftentum aus den konkurrierenden
Religionen „Licht" und „Leben" in fich, mit
Recht, denn erft bei ihm kommen fie nach Haufe; und
faugt fie damit aus, nach dem Recht des Stärkeren'.)

Gerne würde man von dem Herrn Verf. noch genauere
Auskunft bekommen, in welchem Sinn er von
der Entwicklung des Irrationalen in der Religion redet,
: ob nicht diefe fich aus der Höherentwicklung der andern
I geiftigen Lebensgebiete, des intellektuellen, äfthetilchen

305

306