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Ausgabe:

1917 Nr. 14

Spalte:

294

Autor/Hrsg.:

Hindringer, Rudolf

Titel/Untertitel:

Das kirchliche Schulrecht in Altbayern von Albrecht V. bis zum Erlasse der bayrischen Verfassungsurkunde 1550 - 1818 1917

Rezensent:

Sehling, Emil

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 14.

294

fönlich dem Einfluß der deutfchen Frömmigkeit verdankte,
in der auf ihn zurückgehenden kirchlichen Gemeinfchaft
noch nachwirkt' H. bejaht fie, mit Berufung auf Bifchof
Nuelfen, einen angefehenen methodiftifchen Theologen der
Gegenwart, und feine Angaben über die methodiftifche
Predigt Die fechfte Vorlefung gilt den .Neueren Freikirchen
', befonders den Baptiften, Irvingianern und Dar-
byften, auch der Heilsarmee. Sie alle haben ja auch in
Deutfchland und mit Erfolg für fleh geworben. In der
fiebenten Vorlefung fprichtH. vom .Kirchlichen Vereins-
wefen' in England und bei uns, Bibel- und Traktatgefell- |
fchaften, Mifüonsgefellfchaften, Diakoniffentum, überhaupt
der Innern Miffion. Hier ift teils Deutfchland, teils England
vorangegangen. .Gerade auf diefem Gebiete zeigt
die jüngfte Vergangenheit, wie wertvoll und fruchtbringend
der geiftige Austaufch zwifchen den verfchiedenen
Völkern und den verfchiedenen Kirchen ift.' Die achte 1
Vorlefung bringt noch einen .Blick auf die Gegenwart'. ;
H. ceht davon aus, daß das neunzehnte Jahrhundert (und
war clas zwanzigfte bisher) gegenüber dem achtzehnten
fn auffallender Weife ein Auseinandergehen der Völker
und auch der Kirchen in Bezug auf ihre eigentlichen
Ideale zeigt. In der Zeit der Aufklärung hatten ,die
Völker der Kulturwelt gleiche Ideale; fie dachten nicht
nur fondern fie fühlten auch in gewiffem Maße gleich'.
Das ift gar anders geworden. H. beleuchtet die Entwicklung
des deutfchen Proteftantismus an der Herausbildung
neuer, unterfchiedlicher und doch gleichartiger Ver-
faffungen der Landeskirchen, auch an der Geftaltung der
Theologie, auch hier trotz alles Streites der .Schulen'
eine im Grunde gleich gerichtete Art erkennend. Und er
meint zufammenfaffend urteilen zu dürfen, der deutfehe
Proteftantismus werde .immer evangelifcher.' Dem gegenüber
fieht er in England eine deutliche Hinwendung zum !
Katholizismus, nicht dem römifchen, aber zum .altlcirch- J
liehen'. Die Freikirchen feien in England im Niedergang, !
die Staatskirche und in ihr die .hochkirchliche' Richtung
(in Folge bzw. in Fortwirkung der Oxforder Bewegung)
im Vordringen. Deutfchland und England verftünden fich '<
in kirchlichen Dingen, je näher zur Neuzeit, je weniger. Zwar I
in der Theologie begegne man fich vielfach. Aber die j
Theologie fei eine Wiffenfchaft und als folche interna- '
tional; ihre Bedeutung fei, wie die aller Wiffenfchaft, nur
eine befchränkte im praktifchen Leben, Gefellfchaft, Staat,
Volksleben, auch Kirchenleben, werde von ihr wenig be- |
einfloßt. Ich glaube, daß man nüchterner Weife zuftim-
men muß.

H.s Thema enthält eine Begrenzung, die mir bei der j
Lektüre ganz deutlich wurde. H. handelt nur im wörtlichen
Sinne von den kirchlichen Beziehungen' zwifchen i
Deutfchland und England, d. h. von Beeinfluffungen oder
Abftoßungen in Plinficht der kirchlichen Organifationen I
und Autoritäten. Was H. kaum (beim Methodismus
gefchieht's einmal, fonft höchftens nebenbei mit leichteftem
Fingerzeig) berührt, ift die eigentliche Frömmigkeit.
Ich vermute, daß er es bedenklich gefunden hat, darüber
zu fprechen. Er hat recht daran getan, diefes innerfte
Gebiet des Kirchenlebens bei uns und unferm dermaligen
grimmigen Feinde zu meiden. Hier konnte er kaum erwarten
, auch im freundwilligften Auslande ganz verftan-
den zu werden. Aber da liegen doch die eigentümlich-
ften Gegenfätze und bedenklichften Nebenbeziehungen
der Kirchen der beiden Länder gerade im 19. Jahrhundert
, fpeziell in der letzten Generation. Und es handelt
fich zugleich um Auswirkungen der ideellen Grundlagen
der Reformation drüben und hüben. Darf ich andeuten, j
wo ich fo etwas wie einen Mangel bei H. fehe, fo ift
es am eheften, daß er den Independentismus des 17. Jahrhunderts
, infonderheit Oliver Cromwell und den Einfluß I
feiner Perfön, bzw. feines Kreifes im weiteren Sinne, auf
die Geftaltung des englifchen Lebens und Fühlens über- j
gangen hat. Aus jener Zeit flammt u. a. der englifche j
(auch in Amerika zur Herrfchaft gekommene) cant. Staats- ;

kirche und Freikirchen hegen ihn. Ich denke mir, daß
H. durch fein Schweigen der Tatlache hat Rechnung
tragen wollen, daß kaum eine Periode der Neuzeit
wiffenfchaftlich noch fo viele Rätfei im einzelnen bietet als
die der letzten Geftaltungen des Puritanismus, des verzweigten
.Seekertums'.

Halle. F. Kattenbufch.

Hindringer, Dr. Rudolf: Das kirchliche Schulrecht in Altbayern
von Albrecht V. bis zum Erlaffe der bayrifchen
Verfaffungsurkunde 1550—1818. (Veröffentlichungen
der Görres-Gefellfchaft 27. Heft.) (XV, 176 S.) gr. 8°.
Paderborn, F. Schöningh 1916. M. 5.60

Der Verfaffer liefert in feinem .kirchlichen Schulrecht
in Altbayern' nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Ge-
fchichte des Schulwefens in dem engbegrenzten Territorium,
welches etwa die heutigen bayerifchen Regierungsbezirke
Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz umfaßt, fondern
zugleich einen höchft bemerkenswerten Bauftein für eine
Gefchichte des Schulwefens in Deutfchland überhaupt.
Mit einem wahren Bienenfleiß hat er ein großes Material
zufammengetragen und in gefchickter, üb er fichtlicher
Weife verarbeitet. Mit befonderer Gründlichkeit unter-
fucht er dabei den Einfluß der Kirchen auf das Schul-
wefen und den Kampf zwifchen Staat und Kirche um
diefes. So rollt fich denn vor den Augen des Lefers
zugleich ein reiches Bild aus der Gefchichte des Verhäit-
niffes von Staat und Kirche ab, welches der Verfaffer
bei aller Betonung feiner Überzeugung von dem Rechte
der Kirche auf die Schule doch immer objektiv zu zeichnen
bemüht ift. Die gelehrte Erftlingsarbeit verdient alle
Anerkennung.

Erlangen. Sehling.

Janentzky, Priv.-Doz. Chriftian: J. C. Lavaters Sturm und
Drang im Zufammeniiang (eines religiöfen Bewußileins.

(VIII, 375 S.) gr. 80. Halle a. S, M. Niemeyer 1916.

M. 12 —

Das Belle, was wir über Lavater befaßen, waren
die Abhandlungen in der Züricher Denkfchrift von 1902,
vor allem die von Schultheß-Rechberg und Hr. Maier.'
Diefe find durch die Schrift Janentzkys nicht antiquiert,
für den Theologen nicht einmal überflüffig gemacht. Und
doch bietet Jan. die reichhaltigfte, ja die erfte vollftän-
dige Darfteilung der Gedankenwelt L.s. Das aber heißt
bei einem L. feine ganze Entwicklung fchildern; mit
vollem Recht wählt Jan. die chronologifche Form der
Darfteilung und führt uns durch die ftets neuen Impulfe
und Widerfprüche, Freundfchaften und Feindfchaften L.s.
Dabei ift in bis jetzt unerreichtem Maße der handfehrift-
liche Nachlaß benutzt und auf mehrere Perioden, z. B.
auf die philofophifchen Verfuche der letzten Zeit und
ihr Verhältnis zu Jacobi, klareres Licht gefallen.

Die Arbeit ift von literarhiftorifchen Gefichtspunkten
aus unternommen, aber doch ift das Bild, das fie bietet,
für den Theologen fall noch wichtiger, da die Stellung
L.s innerhalb der theologifchen Richtungen feiner Zeit
zwar nicht im wefentlichen anders, aber in allen Einzelheiten
genauer als bisher gezeichnet wird. Es ift ein
Grundgedanke der ganzen Schrift, daß L. in den Grundlagen
feiner Weltanfchauung von Leibniz beftimmt fei.
Vielleicht ift hierin Jan. zu weit gegangen, die Allgemeinheit
diefer .Leibnizfchen' Prinzipien (Individualität,
Spontaneität, teleologifche Entwicklung, Harmonie des
Univerfums u. a.) fuhrt nicht eindeutig auf den großen
Meifter der deutfchen Aufklärung zurück, auch fleht das
Angeführte meid an der Peripherie der Gedankenwelt L.s.
Weit näher, auch näher, als Jan. felbft bereits annimmt,
fleht L. doch dem Pietismus (trotz des von Stephan,
Herder in Bückeb. S. 55 gegen Hettner und von Jan.