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Ausgabe:

1917 Nr. 14

Spalte:

287-289

Autor/Hrsg.:

Kern, Fritz

Titel/Untertitel:

Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie 1917

Rezensent:

Bonwetsch, Gerhard

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 14.

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Auguftus, die Anrufung feines Genius beim Eid, die Darbringung
von Opfern und Gelübden, die Einfügung feines
Namens in das Gebetsformular der Salier verträgt, hat
Sch. in dem kurzen Abfchnitt, der diefer wichtigen Frage
gewidmet ift, nicht klar gemacht. Im letzten Grund
hängt freilich die Beurteilung an dem Maß von Glauben,
das man den eignen Ausfagen des Auguftus über die Gefetz-
lichkeit feines Vorgehens beimißt. Wer davon ausgeht,
wie Sch. tut, daß Auguftus fein Herz auf der Zunge getragen
habe, wird diefe Ausfagen anders bewerten als der,
dem Octavian als der klug abwägende und feine Mittel
forgfam wählende Politiker ericheint. Darüber, daß der
Druck forgfältiger fein dürfte, wäre es unbillig, in diefer
Zeit einen Vorwurf zu erheben; daß aber Sch. die eingehende
Darfteilung von v. Domaszewski, foweit ich fehe,
nirgends benutzt, ift nicht zu entfchuldigen.

Die kurze aber bedeutungsvolle Zeit der orienta-
lifchen Kaifer (211—235) in Rom hat in Bihlmeyer einen
forgfältigen Darfteller gefunden, der gewiffenhaft den
Stoff ausbreitet. Die Literatur ift in weiteftem Umfang
benutzt; in der Zufammenftellung S. 1 Anm. vermiffe ich
Poehlmanns geiftvolle, an neuen Gefichtspunkten reiche
Darfteilung in der von Pflugk-Harttung bei Uilftein herausgegebenen
Weltgefchichte II, S. 507 ff. Daß diefe auf
alles gelehrte Beiwerk verzichtet und danach ftrebt, all-
gemeinverftändlich zu bleiben, mindert in Nichts ihren
Wert und ihren Reiz. B. entwirft zunächft eine knappe
Schilderung der Zeitverhältniffe und befpricht dann die
einzelnen Herrfcher aus dem Haufe des Severus, befon-
ders eingehend Alexander (S. 68—166), und bei ihm
wieder, dem Thema des Buches entfprechend, am ein-
gehendften feine Stellung zum Chriftentum (S. 103—163).
Diefe höchft unerfreuliche Periode der römifchen Kaifer-
gefchichte, der man nur unter dem religionsgefchichtlichen
Gefichtspunkt einigen Gefchmack abgewinnen kann, erfordert
einen Darfteller, der über die Kunft zu fchildern
in dem Maße verfügt, wie fie etwa Hausrath befaß. B.
ftrebt nicht danach, eine glänzende Schilderung zu geben,
fondern nur nach gewiffenhafter Verwertung des Stoffes.
Daher ift auch nicht viel Neues aus ihm zu lernen. Wer
aber eine zuverläffige Einführung in diefe Zeit wünfcht,
wird gerne nach feinem Buche greifen.

Hirfchhorn a. N. E. Preufchen.

Verfaffer die Schwierigkeit, ,die rechtlichen Grundbegriffe
des abendlichen Staatswefens in ihrer allgemein gültigen
Geftalt heraustreten' zu laffen (Vorwort).

Die Art der Aufgabe hat in merkwürdiger Weife auf die Form
des Buches gewirkt: es befteht zum größeren Teil aus Anmerkungen.
Die ausführlichften unter ihnen find auf den letzten 146 Seiten an-
hangsweife vereinigt worden und bilden eine wertvolle Sammlung kriti-
fcher Spezialunterfuchungen. Aber auch die übrigen nehmen allzuoft
die größere Hälfte der Seite in Anfpruch, fo daß die Lektüre des Buches
einigermaßen erfchwert wird.

Zu löfen war die Aufgabe nur unter Verzicht auf
die eingehende Berückfichtigung der ,Befonderheiten einzelner
Staaten oder Staatslenker'. Das ift nicht ganz
unbedenklich. Denn gerade infolge der fchwach entwickelten
Syftematik der Staatstheorien kommt diefen ,Befonder-
heiten' eine große hiftorifche Bedeutung zu. Allein fie
entfprechend werten, hieße eine Verfaffungsgefchichte des
früheren Mittelalters fchreiben. Was Kern aber geben
will, ift ein Kapitel Geiftesgefchichte: die Einwirkung der
verfchiedenen Weltanfchauungen (kirchlicher, germanifcher
und antiker Herkunft) auf die Bildung der Staatstheorien.
Das Durcheinander diefer Anfchauungen und ihre gegen-
feitige Befruchtung hätte vielleicht noch deutlicher herausgearbeitet
werden können. Kern läßt es zurücktreten
zugunften der Überfichtlichkeit und konzentriert das Problem
in dem Anfpruch des Königs auf höhere Emficht
auf der einen, dem Verlangen der Untertanen nach Schutz
gegen eine Mißregierung auf der anderen Seite.

Die Herkunft der Formel Dei gratia ift unlängft von
Schmitz aufgewiefen worden (vgl. diefe Zeitfchrift 1916
Nr. 8). Kern legt allen Nachdruck auf den Anfpruch,
der von vornherein bei ihrer Aufnahme in das Formular
der Königsurkunde zum Ausdruck gekommen ift (ausführlich
begründet in Anm. 164). Es verbindet fich in ihr die
durch die kirchliche Weihe mitgeteilte Kraft mit der Vor-
ftellung einer befonderen überirdifchen Kraft, die fchon nach
germanifchem Geblütsrecht der stirps regia (zunächft noch
nicht der Einzelperfönlichkeit) innewohnt. Dadurch aber,
daß an Stelle der Volkswahl unter den Mitgliedern des
Königshaufes in allmählicher Entwicklung ein Erbrecht tritt,
wird der Anficht der Weg geebnet, daß die Fortpflanzung
der göttlichen Gnade von Einzelperfönlichkeit zu Einzelperfönlichkeit
fleh vollzieht. Darin liegt doch eine unverkennbare
Analogie zu der Traditionstheorie der Kirche.

Dadurch rückt aber die Übernahme der Pormel Dei gratia
aus dem Formelfchatz der Impft- refp. fränkifchen Bifchofs-
urkunde, die Schmitz nachgewiefen hat, in ein helleres
Licht, als es bei Kern gefchieht. Es ift klar, daß gerade
hier für die Kirche als Vermittlerin aller göttlichen Gnade
die Handhabe gegeben war, einen nicht genehmen Herrfcher
aus diefem befonderen Verhältnis zu Gott herauszudrängen
. Wie diefer kirchliche Anfpruch zufammen-
wirkt mit der germanifchen Anfchauung von dem Treuverhältnis
, in dem Herrfcher und Volk zu einander flehen,
und von der überragenden Kraft des Rechtes, dem auch
der König fleh zu fügen hat, wie andererfeits die chrift-
liche Lehre vom Gehorfam gegen die Obrigkeit eine ab-
folutiftifche Theorie zum elften Mal auftauchen läßt, die
dann durch römifch-rechtliche Lehren eine ungeahnte

Kern, Prof. Fritz: Gottesgnadentum und Widerftandsrecht im

früheren Mittelalter. Zur Entwicklungsgefchichte der
Monarchie. (Mittelalterliche Studien Bd. I, Heft 2.)
(XXXII, 445 S.) 8°. Leipzig, K. F. Koehler 1915. M. 9.50

G. von Below hat kürzlich den ftaatlichen Charakter
des mittelalterlichen Deutfchen Reiches mit Entfchieden-
heit herausgearbeitet (Der deutfehe Staat des Mittelalters,
Lpzg. 1914). Die gleiche, viel angefochtene und leider
auch heute noch nicht durchweg anerkannte Anfchauung
liegt dem Werke Kerns zugrunde. Denn das Staatsinte-
reffe ift es letzten Endes, aus dem das Problem heraus-
gewachfen ift, wie das Verhältnis der Untertanen zu dem
Herrfcher fleh zu geftalten hat, wenn die vollkommene
Harmonie zwifchen beiden geftört ift. Ein Problem, das ! Kräftigung empfängt, wie fchließlich folchen Tendenzen
fich freilich im Augenblick des Auftauchens in eine Pulle | gegenüber die demokratifche Lehre von der Volksfouve-
von Unterfragen auflöft, die ihrerfeits wieder durch eine I ränität, die in dem Herrfcher nur den Beauftragten des
Reihe von Vorausfetzungen hiftorifcher, volksrechtlicher I Volkes fleht, hervorwächft, das alles kann hier im einzel-
und kirchenrechtlicher Natur bedingt werden. Dem frühe- [ nen nicht erörtert werden. Man fleht, wie von diefen
ren Mittelalter ift die Syftematik in der Weltanfchauung j mittelalterlichen Theoretikern alle Fragen der modernen
und befonders in der Staatstheorie noch fremd. Sie ift Staatstheorien angerührt, wenn auch noch fehr unvoll-
vielmehr erft durch die philofophifch gefchulten Denker I kommen beantwortet werden. Das Eigentümliche des
der zweiten Hälfte des Mittelalters gefchaffen worden, j früheren Mittelalters ift eben, daß alle diefe Auffaffungen
In der Zeit bis zum 13. Jahrhundert wirbeln die Theorien , durcheinander beliehen. Es findet zugleich, wenn auch
durcheinander, jede einzelne mafflv, z. T. von grotesker j wohl noch nicht in der Klarheit, in der es Kern zu bePlumpheit
, aus naturwüchfigem Empfinden erwachfen und I merken glaubt, die Synthefe von Königsrecht und Volks-
daher gar nicht fo fehr einander ausfchließend, wie es auf I recht in der konftitutionellen Monarchie, zunächft in der
den erften Blick den Anfchein hat. Darin lag für den j Form einer Mitentfcheidung und Mitverantwortlichkeit des