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Ausgabe:

1917 Nr. 13

Spalte:

270-272

Autor/Hrsg.:

Jatho, Carl

Titel/Untertitel:

Briefe 1917

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 13.

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auch diefes im Texte zahlreiche Bilder gleichzeitiger Maler,
Kupferftecher und Holzfchneider und allerlei Reproduktionen
von Handlchriften. Aber die Hauptfache ift hier,
daß uns der Sammler und Herausgeber ein Quellenbuch
zur Reformationsgefchichte vorlegt, in dem er aus
gleichzeitigen Schriften charakteriftifche Ausfchnitte —
lateinifche Texte in Verdeutfchung — auswählt. Der
1. Teil, ,Das Zeitalter Kaifer Maximilians', zeigt fchon in
den Kapitelüberfchriften: Reformationsfehnfucht, Kaifer
Maximilian, das Rittertum, die Städte, die Bauern, der
Humanismus, wie weit er den Rahmen auch kulturgeschichtlich
gefpannt hat. Wohl gibt er kurze Einleitungen
zu den einzelnen Kapiteln, aber die Hauptfache
ift doch die Auswahl von Quellenftücken, die er uns
vorlegt. Z. B. über die Leipziger Difputation wählt er
Luthers Brief an Spalatin vom 20. Juli 1519 aus, daneben
Ecks Bericht vom 23. Juli im Briefe an Hochftraten,
Mofellans Befchreibung der Hauptperfonen der Difputation
und endlich Sebaftian Fröfchels Erzählung vom
Verlauf der Difputation. Zum Wormfer Reichstage erhalten
wir zunächft Butzbachs und Spenglers Schilderung
des Lebens auf dem Reichstage, dann des Coch-
läus Bericht vom Reichstag, charakteriftifche Stücke aus
Aleanders Depefchen, darauf die Vorladung Luthers und
den Geleitbrief, Warbecks Bericht über Luthers Einzug in
Worms, dann wieder große Stücke aus Aleanders Berichten
; den Bericht über die Verhandlungen aus einer
zeitgenöffifchen Flugfchrift, Hermann Bufchs Brief an
Ulrich von Hutten vom 5. Mai, das Wormfer Edikt
und endlich eine Stimme zum Wormfer Edikt aus einer
Flugfchrift von 1527. Man muß die ausgebreiteten Kennt-
niffe des Herausgebers bewundern, der auch entlegenfte
Literatur für feine Sammlung zu verwerten gewußt hat
und z. B. auch in Mitteilungen aus zeitgenöffifchen Liedern
und Dichtungen Charakteriftifches herauszuheben
verftanden hat. Daß er unter anderem auch aus den
Dunkelmännerbriefen Proben mitteilt, wird ja vielen lieb
fein, die den Namen wohl gehört, aber von dem Inhalt
keine rechte Vorftellung haben. Freilich ift keine Über-
fetzung imftande, den Eindruck wiederzugeben, den das
entfetzliche Latein diefer Briefe auf den macht, der fie
im Original zu lefen imftande ift. Die überaus reichhaltige
Auswahl von Quellenftücken macht das Buch
auch für den Sachkenner wertvoll, und daß dabei nicht
nur das Intereffe des Theologen Berückfichtigung gefunden
, fondern daß die Reformationszeit hier nach den
verfchiedenften Beziehungen zur Darfteilung gelangt.

Berlin. Kawerau.

Spinoza's Briefwechfel und andere Dokumente. Ausgewählt
u. übertr. v. J. Bluwftein. (XXIII, 353 S.) 8n. Leipzig,
Infel-Verlag 1916. M. 5—; geb. M. 6 —

Nach der ausgezeichneten, vollftändigen Überfetzung
des Briefwechfels Spinozas von C. Gebhardt (I9I4) wird
die Veröffentlichung einer Auswahl ihr Recht zu er-
weifen haben. Weggelaffen find (nach Gebhardts Zählung)
die Briefe 15. 25 f. 39. 41 f. 62. 66. 84, im Ganzen von 84
zehn, zumeift kurze Schreiben; das einzig ausführliche
(Gebh. 42) von L. van Velthuyfen an J. Oftens [Bluwft.:
Ooften; f. aber Gebh. p. XXVIII] vermißt man ungern,
da diefe Kritik am Theol. polit. Traktat die Vorlage zu
Spinozas Antwort an Oftens (Gebh. 43 = Bluwft. 72)
bildet. Außerdem find in einzelnen Briefen namentlich
mathematifche und phyfikalifche Ausführungen z. B.
Bluwft. 6. 7. 66. übergangen worden; auch die für Spinoza
fo bezeichnenden Zeichnungen zu phyfikalifchen Experimenten
(Gebh. S. 26 ff. 173ff.) fehlen meiftens. Aus
bloßer Nachläffigkeit erklärt fich die wiederholte Weg-
laffung des Datums z. B. Br. 28. 29. 32. 34. 67. S. 34 L
1663 ft. 64; S. 154: H ft. 8 Sept.; S. 177: loft. 19. Juni.
S. 241: 1674(1. 1677 (Gebh. S. 360 zu 210, 36). Auch
die Adreffaten find Br. 28 [vgl. Gebh. p. XXIV] und

70 ungenau wiedergegeben. Störende Mißverftändniffe
zeigen S. 37 Z. 5, wo .Machtvollkommenheit' keinen Sinn
gibt (vgl. Gebh. S. 139); S. 170 Z. 8 v. u., wo .Ihre Eltern'
chronologifch unmöglich ift (Gebh. 365 zu 284, 36); S. 206,
Z. S f. vgl. Gebh. 362 zu 248,4 fr.; S. 245 Mitte L Atheiften
ft. Theiften; S. 173 unten hat Bluwftein ohne nähere
Begründung (s.S. 340) eine unmögliche Konjektur Menders
aufgenommen (f. Gebh. 287 und 365). Die Überfetzung
lieft fich im Ganzen glatt. Der Plural .Religionstugenden'
S. 54. 56 verfchiebt den Sinn von religiosa virtus; S. 117
kann ad essentiam nicht mit .einem Wefen' wiedergegeben
werden. S. 183 lieft man: ,So fpreche ich mit
Ihnen Abwefenden abwefend'.(I). — Die .Dokumente'
bringen auf S. 253—322 .ergänzende Stellen' aus allen
Werken Spinozas. Sie wollen die Anmerkungen S. 323—48
entlaften. Ich fürchte aber, daß fie keinem Lefer genug
tun werden, wenn er einen Blick in die Reichhaltigkeit
von Gehhardts Anmerkungen geworfen hat. Endlich erwähne
ich, daß Bluwftein von der chronologifchen Reihenfolge
der Briefe wieder zu der Anordnung nach Adreffaten
zurückgekehrt ift, die in ungebührlicher Weife die Bedeutung
diefer zumeift unwichtigen Perfonen fteigert, zuweilen
auch eng Zufammengehöriges unnütz trennt, z. B.
Br. 56 von Br. 48, und dem Lefer die Einheit des zeitlichen
Hintergrunds für Spinozas Stimmung vorenthält.
Nach Allem kann ich einen Vorzug diefer Auswahl vor
Gebhardts Überfetzung nirgends herausfinden.

Gießen. S. Eck.

Jatho, Carl: Briefe. Hrsg. v. Carl O. Jatho. Mit 6 Porträts
u. 3 Fakfimiles. (XXXVII, 406 S.) 8°. Jena, E.
Diederichs 1914. M. 7—; M. 8.50

Für diefe Brieffammlung, die durch einen Lebensabriß
eingeleitet und durch zahlreiche Anmerkungen, darunter
eine genaue Darfteilung des (Falles Jatho' erläutert ift,
müffen weitefte Kreife, nicht nur Theologen, nicht nur
Jathos Anhänger, aufrichtig dankbar fein. Denn diefe
Briefe find, rein menfclilich genommen, von Anfang bis
zu Ende lefenswert. Ich habe den ftarken Band ganz
vorgelefen, und wir haben mit lebhaftefter, wenn auch ver-
fchieden begründeter Anteilnahme dies Lebensbild und
diefe Lebensäußerungen in uns aufgenommen.

Man kann nicht ermüden, denn Jatho ift ein Meifter
des Stils. Schon die anfehauliche fprühende Schilderung,
die der junge Aachener Kandidat und Religionslehrer von
der Aachener Heiligtumsfahrt (1874) gibt, bezeugt das.
Ein geradezu klaffifches Stück epifcher Erzählungskunft
ift der Bericht über feine Teilnahme an einer großen
Kirchenvifitation in P Iinterpommern (Sommer 1895). Auch
in all feinen fonftigen Reifebriefen, zumal aus der oft mit
Liebe befuchten Schweiz, leuchtet diefe auf inniger Naturliebe
beruhende Schilderungskunft. Seine Gabe zum
Brieffchreiben offenbart fich aber in feiner ganzen Korre-
fpondenz mit Alt und Jung, mit Männern und Frauen,
in langen feelforgerlichen Briefen, oder in kurzen Poft-
und Vifitenkarten (manchmal in Verfen). Und ihre Quelle
ift feine nie verfiegende, nirgend verfagende Menfchen-
liebe. Er liebt die Menfchen und glaubt an fie (,In der
Tat, der Glaube an Menfchenwert und Menfchenglück ift
die höchfte Religion, der feftefte Halt im Leben' S. 201);
daher verfetzt er fich mit feinem Herzen in ihre Lao-e
und Anliegen, daher hat er, trotz ungeheurer Beanfpruch-
ung, Zeit und Ruhe für fie. Daher diefe reiche Fttfle der
verfchiedenften Briefe über religiöfe, theologifche, künftle-
nfche (R. Wagner), philofophifche (Nietzfche) und perfön-
liche Dinge.

Natürlich feffelt uns am meinen das aus diefen Briefen
fprechende Bild Jathos als frommen Menfchen und Theologen
. Die Briefe beginnen unter Übergebung der Schulzeit
, des P'eldzuges 70/71, den J. als kriegfreiwilliger Kanonier
mitmachte, und der elften (Marburger) Studicn-
femefter, mit dem Leipziger Studium. Dort erlebte er feine