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Ausgabe:

1917 Nr. 13

Spalte:

267-268

Autor/Hrsg.:

Walther, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Luthers Charakter. Eine Jubiläumsgabe der Allg. Ev.-Luth. Konferenz 1917

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Seite 1

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267

Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 13.

26S

gewachfen, in lebendiger, bilderreicher, anfchaulicher und
anziehender Sprache den Stoff zur Darftellung zu bringen.
Man lieft feine Schrift mit Vergnügen. Das Buch ift mit
guten, alten Vorlagen entnommenen Bildern gefchmückt.
In ftiliftifcher Beziehung vergreift er fich nur feiten, wie
z. B. auf S. 35 ,Eck hüpfte triumphierend nach Rom';
mitunter ift nach meinem Empfinden die Bilderfprache
etwas zu reichlich angewendet. Daß er auf S. 63 Luthers
Wort an Zwingli ,ihr habt einen andern Geift als wir' ohne
jede Einfchränkung als das treffende Wort bezeichnet,
mit welchem Luther die Gemeinfchaft mit den Schweizern
ablehnte, ift für den Standpunkt des Verfaffers charak-
teriftifch. Aber Ausftellungen diefer Art können mein
Urteil, daß esfich hier um einen glücklichen Wurf handelt,
doch nur wenig beeinträchtigen.

Die andre Schrift, wiffenfchaftlichen Charakters, verdanken
wir der Feder Wilhelm Walthers2, des Ro-
ftocker Profeffors. Sie behandelt das wichtige Thema
über Luthers Charakter, in den Abfchnitten über Offenheit
und Wahrhaftigkeit; Seibftlofigkeit, Demut und Selbft-
bewußtfein; Mut, Selbftändigkeit und Optimismus; Leiden-
fchaftlichkeit und fchließlich Gemüt. Walther ift längft
bekannt durch feine Gefchicklichkeit, gegenüber den rö-
mifchen Angriffen auf Luther als Apologet des Reformators
in die Schranken zu treten. Einzelnes, was er
in dem neuen Buch behandelt, finden wir daher auch
fchon in andrer Form in feinen antirömifchen Schriften.
Zum Apologeten befähigt ihn feine außerordentlich gründliche
Kenntnis des Stoffes und eine nicht geringe dia-
lektifche Begabung, mit der er fcheinbar fich Wider-
fprechendes in Luthers Wefen durch genaue Analyfe
und Begriffsbeftimmung klarzumachen und die innerliche
Einheit des Charakters aufzuweiten verfteht. Alle, deren
Kenntnis Luthers fie nicht befähigt, das Material voll-
ftändig zu überfchauen, werden mit großem Nutzen aus
Walthers Buch viele Aufklärung empfangen und Luther
beffer verliehen lernen. Es find ganz vortrefflich gelungene
Abfchnitte hier zu finden, für die man dem Ver-
faffer aufrichtig dankbar fein muß. Die ,Germania' hat
das abfprechende Urteil gefällt, er habe hier Luther
,kanonifiert'. Das ift in diefer Form natürlich falfch,
da er auch für Luthers Mängel Verftändnis zeigt und
fie gelegentlich deutlich anerkennt. Aber freilich, es
wäre zu wünfchen, daß er das Menfchliche und Allzu-
menfchliche an ihm noch etwas kräftiger zum Ausdruck
gebracht hätte, denn der Gefamteindruck, den man von
der Lektüre empfängt, ift der eines fo hochftehenden
und fo in fich gefchloffenen, alle feine Zeitgenoffen weit
überragenden chriftlichen Charakters, daß die Schatten
faft verfchwinden. Ich will nur ein paar Punkte hervorheben
, bei denen m. E. die Schattenlinien an feinem
Bilde kräftiger gezogen werden müßten. Haben wir nicht
doch fo manche Stelle in feinen Schriften, wo das Scheltwort
ins Schimpfwort übergeht, und wo dann dies
Schimpfwort feine groben Waffen einem Gebiete entlehnt
, das uns nicht nur äfthetifch Widerwillen erregt,
fondern wo wir auch um ein fittliches Bedenken nicht
herumkommen? Da genügt es durchaus nicht, wenn
hervorgehoben wird, Luther fei darin auch als Mann
ein Kind geblieben, daß er von den niederen Funktionen
des menfchlichen Körpers harmlos und unbedenklich rede.
Denn hier handelt fich's um die Verwendung des Schimpf-
worts zur Verunglimpfung des Gegners. Ein andrer
Punkt ift, daß er im Kampf mit feinen Gegnern der
Verfuchung nicht entgeht, ihre Lehrabweichungen zu
Sünden zu ftempeln und daß er mit unfehlbarer Sicherheit
zu fagen weiß, aus welchem religiöfen oder fittlichen
Defekt als aus der giftigen Wurzel, ihre Lehrabweichung
erwachfen fei. Das ift mir z. B. das Schmerzliche

2) Walther, Prof. D. Wilhelm: Luthers Charakter. Gezeichnet
von W. Eine Jubiläumsgabe der Allg. Ev.-Luth. Konferenz. (VI, 213
S.) 8°. Leipzig, A. Deichert 1917. M. 3.80; geb. M. 4.80

an feiner Polemik gegen Zwingli, daß er deffen Lehre
nur aus Ehrgeiz und Hochmut abzuleiten weiß. Wie

hat er damit die theologifche Polemik vergiftet! Die
Lehrftreitigkeiten im eignen Lager der Lutheraner liefern
dafür hernach die erfchreckenden Beifpiele. Wenn
er nach Zwingiis Tode erklärt, es fei beffer und ficherer,
Zwingli für verdammt als für feiig zu erklären, ob man
ihm damit gleich Gewalt tue, denn fo fei es nützlich
zur Abfchreckung andrer, fo ift damit die Ungerechtigkeit
gegen den Gegner für erlaubt erklärt um des
guten Zweckes willen. Wie ift Luther ferner der Verfuchung
ausgefetzt, wenn er einmal mit einem Menfchen
fertig geworden ift und fein Urteil über ihn abgefchlof-
fen hat, nun aber auch alles, was er von ihm hört oder
lieft, mit mißtrauifchem Herzen aufzunehmen, und wie
kann er dann in harmlofe Äußerungen arge Plinterge-
danken eintragen! Es ift fehr unangenehm, als warmer
Verehrer Luthers auf dunkle Flecken hinweifen zu müf-
fen, aber die Gerechtigkeit fcheint es mir zu fordern. Ich
meine, Walther hätte der Sache, die er vertritt, einen
guten Dienft geleiftet, wenn er da, wo es bei Luther
menfchelt, dem noch deutlicher Ausdruck gegeben hätte.

Paul Sehr ecken bach undFranzNeubert3 haben ge-
meinfam ein Bilderbuch zum Leben Luthers herausgegeben,
wie es in diefer Güte und Reichhaltigkeit bisher noch
nicht vorhanden war. Den einleitenden Text, ein Lebensbild
Luthers auf 42 Seiten, hat Schreckenbach ver-

! faßt. In fcharfer Kritik wendet er fich in feinem Vorwort
gegen die, welche bisher Luthers Leben für weitere
Kreife dargeftellt haben. Sie verftunden für folche nicht
den rechten Ton und die rechte Befchränkung zu finden.
Nach feinen Urteilen über Scheels Luther möchte man
vermuten, daß er auch mit der neueften Lutherliteratur
yertraut wäre. Wenn nun auch die Darftellungsweife bei
ihm manches Lob verdient, fo verrät fich doch in Abfchnitten
, wie die über Luthers Romreife, oder über fein
Verhalten zur Doppelehe Landgraf Philipps, daß ihm
die neueren Verhandlungen darüber nicht bekannt geworden
find. Aber es wird auch kaum jemand nach
diefem Buche um des vorangeftellten Lebensbildes willen
greifen; fein Wert liegt in den Bildern, die Neubert
ausgefucht hat. In 384 Reproduktionen werden uns zu-
nächft die Luther- und Reformationsftätten, Städte, Burgen
, Kirchen, Wohnhäufer u. dgl. in einer Reichhaltigkeit
vorgeführt, die den höchften Anfprüchen genügt; fodann
die Bildniffe Luthers, fowie der Fürften und Theologen
aus den verfchiedenften Lagern zufammengeftellt, darunter
allein 26 gleichzeitige Darftellungen Luthers von
1519 an bis zu feinem Sterbelager. Ferner Titelblätter,
Handfchriftliches, Plakatdrucke u. dgl. Ift auch manches
dabei ftark verkleinert, fo ift die Wiedergabe doch fcharf
und gut. Auch intereffante Altarbilder fehlen nicht. Am
Schluffe ift über die Perfonen, die in den Bildern zur
Darftellung kommen, das Erforderliche zur Orientierung
angemerkt. Daß unter den Darftellungen die Schätze
der Lutherhalle in Wittenberg reichlich verwertet find,
begrüße ich mit befonderer Freude, weil auf diefe Weife
der Öffentlichkeit gezeigt wird, was für eine vorzügliche
und reichhaltige Sammlung dort während der letzten
Jahrzehnte zufammengebracht ift.

Ein großes Sammelwerk andrer Art bietet uns ,Das
Buch der Reformation gefchrieben von Mitlebenden', herausgegeben
von Karl Kaulfuß-Dielch4. Zwar bringt

3) Schreckenbach, Paul, u. Franz Neubert: Martin Luther.
Ein Bild feines Lebens u. Wirkens. Mit 384 (z. Tl. färb.) Abb. (im
Text u. auf 3 [2 färb.] Taf.), vorwiegend nach alten Quellen. (VI,
184 S.) gr. hoch 40. Leipzig, J. J. Weber 1916. Geb. M. 10 —

4. Das Buch der Re:ormation. Geichrieben v. Mitlebem en. Hrsg.
v. Karl Kaullufi-Dielch. Mit 139 Bildern v. Joft Amman, Hans
Sebald Bekam, Hans Bro amer, Hans Burgkmair, Lukas Cranach,
Albrechi Dürer, Hans Weiditz u. a. trcnl. Altu eiftern, 5 Hand.chrift-
probem u. e. Fakl.-Druck der Lutherlcben The en (.23 S.) gr. 8°.
Leipzig, R. Voigtländers Verl. 1917. M. 5—; geb. M. 6.50