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Ausgabe:

1917 Nr. 12

Spalte:

250

Kategorie:

Religiöse Kriegsliteratur, Kriegspredigten, Kriegspädagogik

Autor/Hrsg.:

Timerding, H. E.

Titel/Untertitel:

Die Aufgaben der Sexualpädagogik 1917

Rezensent:

Schuster, Hermann

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249 Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 12.

250

zum Weltvolk'. Auf die fittlichen und religiöfen Forderungen
zukünftiger Weltvolksarbeit richtet er unfer
Nachdenken. Zu den fittlichen Forderungen wie nationale
Würde, Mannhaftigkeit, Gemeinfinn, Verantwortung, Opfer-
finn rechnet er mit ftarker Betonung auch diefe, daß
die Beamten in unfern Kolonien und in jedem Auslands-
dienft nicht nur hohen intellektuellen fondern auch
hohen fittlichen Anfprüchen geniigen. Auch das ift ferner
eine fittliche Forderung, das uns und die Andern verarmende
Programm einer ,geiftigen Nationalwirtfchaft'
abzulehnen und den geiftigen Austaufch der Nationen
grundfätzlich feftzuhalten: .Fertigkeit und Weite wider-
fprechen fich nicht, fondern bedingen fich'. Diefe fittlichen
Forderungen follen religiös unterbaut werden, durch ein
recht verftandenes Deutfehes Chriftentum: .Grundforderung
ift nicht fowohl, daß unfere Religiofität deutfeh
werde, als daß fie lebendig und aufrichtig bleibe, denn
dann wird fie deutfehe Art behalten'. Wirklichkeits-,
Gegenwarts-, Gefinnungsreligion gilt es zu predigen, ein
mannhaftes Chriftentum des Gemeinfinns und Opferfinns
follen wir pflegen. Nicht die Auseinanderfetzung, aber
der Hader der Konfeffionen und Richtungen muß ver-
ftummen. Als Weltvolk müffen wir auch deutfeh-chrift-
liche Weltmiffion treiben, aber nicht im Sinne eines
geiftigen Weltzwanges, fondern verftehender Duldfamkeit.
— Ein reiches und fchönes Ziel, das von Schubert unferer
national-ethifchen Erziehung fteckt. — Zänker2 lehrt
uns den Krieg auffaffen als phyfifche und pfychifche
Notwendigkeit und ihn hinnehmen als eine Erziehung der
Deutfchen zum Volk, zum Bewußtfein der monarchifchen
Autorität, zu fozialem Denken (und gefunderer Schätzung
des weiblichen Gefchlechts) und zur Vertiefung des religiös- j
fittlichen Innenlebens. Über die foziale Seite würde heute,
nachdem wir die großen wirtfehaftlichen Schwierigkeiten
und ihre fchamlofe Ausnutzung erleben müffen, natürlich
ganz anders zu reden fein.

Die nun folgenden Schriften befchäftigen fich mehr
mit der Erziehung im engern Sinne, der durch die Schule.
Bonitz3 wertet den Krieg als Erzieher zum fozialen
Pflichtgefühl. Unter Berufung auf die pädagogifchen |
Schriften von Matthias und das bekannte Wort Wilhelms II,
die Schule folle junge Deutfehe, nicht junge Griechen und
Römer erziehen, fordert er eine deutfehe Schule. Deutfeh
auch in ftraffer Zucht (gegen Tolftois und Ellen Keys
gefahrliche, die Zucht zerftörende Phantaftereien), deutfeh
auch in der Körperpflege (nicht angelfächfifcher Sport,
fondern Turnen und militärifche Ausbildung), deutfeh auch
im Ziel der weiblichen Bildung (keine Nachahmung der
Knabenbildung, Erziehung zur Mutterfchaft). Hauptziel
nicht Aneignung der objektiven Kultur, fondern Bildung
des Menfchen. Die fromme Grundlage tritt mehrfach
kräftig zutage. Gefunde, herbe, kraftvolle Erziehungsgedanken
. — Rein4, der bekannte Jenenfer Pädagoge,
hört aus dem Kriege den dringenden Aufruf zur Fürlorge
für die heranwachfende Jugend. Seine erfte Forderung [
lautet: Einheitsfchule. Ein Volk, eine Schule. Wenn er
meint, dem einheitlichen Wehrfyftem müffe auch ein
einheitliches Schulfyflem entfprechen, fo darf man an
die durchaus getrennte Heranbildung des Unteroftizier-
und des Offizierkorps erinnern. Von ganzem Herzen
teile ich die Forderung einer viel ftärkeren erziehlichen
Fürforge für die fchulentlaffene Jugend fowie die weiteren
Wünfche: Soziale Ethik, Charakterbildung, Betonung des
deutfchen Volkstums, einfchließlich deutfeher Kunft,
im Schulunterricht, vermehrte Pflege der Pädagogik

2) Zänker, Studiendir. Lic. Otto: Der Krief,'als Erzieher. (Deutfch-
lands Jugend u. der Weltkrieg Heft 2.) (48 S.) 8«. Caflel, Furche-Verlag
1915. M. —60

3) Bonitz, Hugo: Krieg und Volkserziehung. (38 S.) 8°. Leipzig,
J. Klinkhardt 1915. M. —70

4) Rein, Wilhelm: Krieg und Erziehung. Rede, geh. am 4. Febr.
1916 im Württembergifchen Goethe-Bund zu Stuttgart. (28 S.) gr. 8°.
Langenfalza, H. Beyer Sc Söhne 1916. M. — 70

auf den Univerfitäten. — Der Generalfuperintendent
Ohly5 weiß im engen Rahmen eines Vortrages viel beherzigenswerte
Gedanken über Erziehung der Jugend im
allgemeinen und ihre religiöfe im befonderen zu fagen.
Er hebt mit Recht hervor, daß der Wert des religiöfen
Memorierftoffes neu gewürdigt ift. Nur müßte er unter-
fcheiden zwifchen Kräften der Erbauung und bloßen Be-
weisfprüchen, auch der Katechismus kann fich nicht auf
Kriegserfahrung berufen. Auch Ohly gedenkt nachdrucklich
der Jugendpflege. — Der von dem Braunfchweiger Prof.
Tim er dingu erftattete Bericht über eine von Klein-
Göttingen einberufene Sitzung des deutfchen Ausfchuffes
für den math. und naturw. Ünterricht zwecks Beratung
über die Aufgaben der Sexualpädagogik hat mich tief
bewegt. Die dort aufgeftellten Forderungen: forgfältige
fexualpädagogifche Ausbildung der zukünftigen (akade-
mifchen und feminarifchen) Lehrer (für die fchon amtierenden
Lehrer Unterweifung durch fexualpädagogifche Kurfe)
und eine auf biologifcher Grundlage ruhende fexualpädagogifche
Erziehung in den SchulenfamtärztlicherWarnungvor
den Gefchlechtskrankheiten an die Abgehenden, auch Elternabende
, um die Eltern anzuregen zu gemeinfamer Erziehung
der Jugend — findfämtlich berechtigt; denn die Erziehungsbedürftigkeit
der Jugend, das Verfugen des Elternhaufes, die
mangelnde Bereitungder Lehrerfind lauterfchmerzlicheund
verhängnisvolle Tatfachen. Ich unterIchreibe jene Forderungen
um fo lieber, als fie getragen find von tiefer Einficht
und ernftem Willen: man will nicht Aufklärung fondern
ethifche Erziehung. Möchte doch der Krieg mit feinem furchtbaren
Maffenfterben und feiner böfen Etappenfexualität allen,
die es angeht, die Augen öffnen und das Gewiffen fchärfen
j und aller falfchen Prüderie ein Ende machen. — Die
Schrift des hochverdienten Pädagogen Matthias7 möchte
ich hier der Beachtung empfehlen, weniger wegen feiner
m. E. richtigen Vorfchläge für Verftärkung und Verbef-
ferung des deutfchen, gefchichtlichen und erdkundlichen
Unterrichts, als wegen feiner frifchen und gefunden Gedanken
über herzhafte und kraftvolle Erziehung zu Wirklichkeitsidealismus
; das Jahrhundert des Kindes' ift Gott
Lob zu Ende. — Keffeler8, ein jüngerer Oberlehrer am
Lyzeum in Cottbus, der aber fchon mehrfach mit philo-
fophifchen und pädagogifchen Veröffentlichungen hervorgetreten
ift, möchte im Geift des deutfchen Idealismus
(deffen Wefen und Bildungsziel er einleitend befpricht)
Volksfchule und höhere Schulen reformieren. Die Einheitsfchule
lehnt er ab, leichteren Aufftieg der Begabten
wünfeht er. Arbeitsfchule, Selbftregierung, Jugendpflege
find weitere Wünfche, die viel Zuftimmung finden werden.
Aber ob er Glück haben wird mit feinem Kampf gegen
das Gymnafium und feinem Ideal einer höheren Einheitsfchule
mit Latein von Sexta an und ohne Griechifch
(höchftens wahlfrei)? Ob diefe Bevorzugung des Latei-
nifchen mit dem Geift des deutfchen Idealismus verträglich,
gefchweige aus ihm entftanden ift? — Köhler9 empfindet
mit gutem Grunde eine ftarke Spannung zwifchen dem
| altüberlieferten fittlich-religiöfen und dem modern-nationalen
Erziehungsziele und möchte doch beide mit einander

5) Ohly, Generalfup. C: Der Krief; und die Jugend. Vortrag.
(24 S.) 8°. Herborn, Buckh. d. NalT. Colportagever. 1916. M. —30

6) Timerding, H. E.: Die Aufgaben der Sexualpädagogik. Bericht
üb. die Verhandlgn. e. Gruppe v. Fachvertretern im Ingenieurhaufe
zu Berlin am 6. V. 1916. (Schriften d. deut. Ausfchuffes f. d. mathe-
mat. u. naturwiff. Unterr. 2. Folge, 2. Heft.) (III, 20 S.) Lex. 8". Leipzig,
B. G. Teubner 1916. M. —80

7) Matthias, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-R. Adolf: Krieg und Schule.
(Zwifchen Krieg u. Frieden Nr. 16.) (50 S.) gr. 8°. Leipzig", S. Hirzel
1915. M. — 80

8) Keffeler, Dr. Kurt: Schulreform im Geifle des deutfchen
Idealismus. Ein Programm. (Pädagog. Magazin, Heft 619.) (35 S.) 8».
Langenfalza, H. Beyer & Söhne 1916. M. —45

9) Köhler, Prof. Dr. F.: Die fittlich-religiöfe Begründung der
modernen nationalen Erziehung, geprüft an der Auffaffung des Kriegsproblems
in der jüdifch-chrift. Religionsgefchichte u. an Erkenntniffen
der Völkerpfychologie. Eine hiftorifch-plycholog. Unterfuchg. (Pädagog.
Magazin. 627. Heft.) (46 S.) 8°. Langenfalza, H. Beyer Sc Söhne. M. — 70