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Ausgabe:

1917 Nr. 12

Spalte:

248-249

Autor/Hrsg.:

Schubert, Hans von

Titel/Untertitel:

Die Erziehung unseres Volkes zum Weltvolk. Sittliche und religiöse Grundforderungen. Kriegsvortrag 1917

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 12.

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keit ift eine Eigenfchaft, die dem Handeln, der Gefinnung,
dem Willen zukommt. Es ift aber nicht eine rein objektive
Eigenfchaft, fondern das Gegenteil; fie beruht auf
der lebhafteften Anteilnahme des Subjekts, das feinem eigenen
Willen wie dem Willen Anderer Gefetze vorfchreibt.
Das als fittlich beurteilte ift zugleich gewollt und gefollt:
gefollt unter dem Begriff der Pflicht, des Sittengefetzes;
als gewollt gehört es in die umfangreiche Klaffe der
Zwecke unfres Handelns. In diefem fondert es fleh ab
von dem bloß Zweckmäßigen durch jenes eigenartige Erleben
des Gefüllten im ftrengen Sinn. Das Gute — das
für einen Zweck Gute ift als folches weder fittlich noch
unfittlich, wird es aber, wenn der Zweck felbft fittlichen
oder unfittlichen Charakter trägt, infofern der Charakter
des Zwecks auf das Mittel übergeht, das felbft noch
keinen Charakter hat. Auf diefer Tatfache beruht die
Möglichkeit eines hypothetifchen Beweifes der Sittlichkeit
. Weil aber in einem folchen ftets die Sittlichkeit
des höheren Zwecks vorausgefetzt werden muß, diefer
felbft aber durch die eines noch höheren nicht ins Unendliche
bewiefen werden kann, fo ift die Sittlichkeit
fchließlich nicht zu beweifen. Wir müffen von ihr vielmehr
eine unmittelbare Überzeugung haben. Sie kann
nicht durch logifche Schlüffe bewiefen werden, fie ift eine
Sache der Tat, des Entfchluffes, des Wollens. Die Logik
als Wiffenfchaft von der Wahrheit ift nicht identifch mit
der Wiffenfchaft vom Fürwahrhalten, die zur Pfychologie
gehört. Die Ethik dagegen als Wiffenfchaft vom Sittlichen
muß fein eine Wiffenfchaft vom fittlichen Fürwahrhalten
, von der fittlichen Empfindung und Wertung, ,fie
ift alfo nur ein Teil der Pfychologie' (vgl. bef. S. 1830".
197 f.)

Diefe fyftematifche Erörterung bewegt fich um zwei
Leitgedanken, und fie find im erften und dritten Teil des
Buchs entwickelt. Der erfte gibt den Begriff der Ethik,
den der technifchen und den der theoretifchen, und ftellt
die Aufgaben der technifchen dar. Der dritte beantwortet
die fich notwendig erhebende Frage, ob die theoretifche
eine rein pfychologifche Wiffenfchaft fei oder ob fie rechtmäßiger
Weife die Giftigkeit des Sittlichen zu erörtern
habe, bzw. beweifen könne. Diefe Frage wird mit einem
entfchloffenen Nein beantwortet. Zwilchen den beiden
fyftematilchen Teilen (dem erften und dritten des Buchs)
ift ein hiftorifcher eingefchoben als indirekter Beweis für
den Standpunkt des Verf. durch Widerlegung feiner Gegner
. In diefem hiftorifchen Teil fällt aber der Nachdruck
durchaus auf die zweite der obengenannten Aufgaben,
und daraus geht hervor, worauf der Nachdruck der ganzen
Unterfuchung liegt, was das Gepräge diefer neuen
Ethik ift: der Gegenfatz zu allen Verfuchen, die irgendwie
die »Giftigkeit des Sittlichen', feinen .Zufammenhang mit der
Wahrheit' als vornehmfte Aufgabe der Ethik anfehen.
Auf den Nachweis, daß dies eine faft unausrottbare, aber
notwendig auszurottende Selbfttäufchung ift, verwendet
der H. Verf. alle Kunft feiner Dialektik wie die Anfchau-
lichkeit einer fchematifchen Darfteilung (S. 188 f.). War
es fchon nicht möglich, den Inhalt der fyftematifchen
Entwicklung anders als im Umriß anzugeben, fo ift es völlig
ausgefchloffen, von dem Reichtum des gefchichtlichen Ab-
fchnitts ein genügendes Bild zu geben. Unter den neueren
Normethikern wird Windelband am ausführlichften behandelt
; aber auch die Bemerkungen über Simmel, Schopenhauer
, Nietzfche werden jedem Mitarbeiter willkommen fein,
fowie die Hervorhebung Humes als des eigentlichen Eideshelfers
. Naturgemäß fteht aber Kant im Mittelpunkt des
gefchichtlichen Teils. Schon oft ausgefprochene Einwände
gegen den Kant'fchen Formalismus überhaupt wie gegen
feine einzelnen Formeln, gegen feinen Begriff vom fittlichen
Apriori, den kategorifchen Imperativ werden durch
die forgfame Erörterung der einzelnen Auslagen neu; der
Unterfchied zwifchen »Grundlegung' und ,Kritik der pr. V.',
das Verhältnis Kants zu den Engländern, die Einwirkung
des Naturrechts auf ihn, wird lichtvoll befprochen, per-

fönliche Einflüffe wie pietiftifche Jugendeindrücke gefchickt
verwertet.

Und das Ergebnis der ganzen, gefchichtlich fo wohl
unterbauten fyftematifchen Unterfuchung? Ein Urteil darüber
kann hier nur in Frageform angedeutet werden.
Am einfachften vielleicht gerade im Anfchluß an die hifto-
rifche Kritk. Werden nicht viele Lefer ihr weithin zu-
ftimmen, und dann doch, wenn fie nach den fein gedachten
und kühn vorgetragenen Angriffen fich die zerfchoffenen
Pofitionen Kants ruhig betrachten, den Eindruck gewinnen,
unter ihnen, in der Tiefe beginne erft die eigentliche,
nicht eroberte Feftung? Der H. Verf. weift felbft mehrmals
darauf hin, einen wie ftarken Bundesgenoffen Kants
Grundgedanke im unmittelbaren fittlichen Empfinden der
Menfchheit habe, auch wenn die wiffenfehaftliche Form,
die ihm Kant gegeben, in ihrer Unvollkommenheit leicht
zu erkennen fei. Z. B. wer wollte die Parallelifierung der
praktifchen und theoretifchen Vernunft imErnft fefthalten,
die beftimmte Art, wie Kant das Gute im Wahren verankert
? Aber wer nicht den Beweggrund teilen, der Kant
leitete? Wird fonft ,nicht leicht ein Intereffe des fittlich
empfindenden Menfchen verletzt, das an einer vernünftigen
Begründung deffen, was er für richtig hält und wofür er
Opfer bringt'? (S. 72). Steckt nicht »felbft in Schopenhauers
moralifchem Wert etwas vom abfolut Wahren oder Richtigen
' (S. 14)? Steht nicht auch der H. Verf. vor Kants
Verfuch ,als vor einem der wunderbarften und pfycho-
logifch intereffanteften Unternehmen des menfehlichen Gei-
ftes, etwas zu beweifen, deffen Unbeweisbarkeit doch fchon
klar erkannt war?' (S. 102f.). Ift, was er uns bietet, die
Überführung der Ethik in Pfychologie, im Stande, jenes
unmittelbare Grunderlebnis des fittlichen Menfchen, mag
ihm Kant einen noch fo unvollkommenen Ausdruck gegeben
haben, ins Unrecht zu fetzen? Er fagt einmal (S. 91):
/Warum foll es keine Ethik geben, wenn keine Normen
beftehen? Auch der Nachweis, daß keine allgemeingültigen
Normen beftehen, würde doch ein Stück ethifcher Wiffenfchaft
fein'. Man ift verfucht zu fagen: Ja ein Stück
der zerbrochenen Ethik. Bei der großen Genauigkeit
fonft wird jedem die Behandlung der Freiheitsfrage in
unferem Buch auffallen; offenbar fcheint fie wie fo vielen
dem H. Verf. res judicata zu fein. Wollten aber folche
Fragen der Unwiffenfchaftlichkeit bezichtigt werden, denn
die Warheit frage nicht nach unfern Wünfchen, auch
nicht den erhabenften fittlichen, und die Vereinbarkeit
des Sollens und Müffens werde durch biologifche und völ-
kerpfychologifche Unterfuchungen immer deutlicher, fo
fchließen wir nicht nur mit der Frage, ob wirklich auf folchen
Wegen das unmittelbare fittliche Erlebnis ,erklärt' oder
vielmehr umgedeutet werde, fondern mit der allgemeinen:
ift es logifch deutlich, daß die Ethik Pfychologie wird,
ift der Unterfchied von genetifcher und kritischer Betrachtung
in feinem inneren Recht dadurch aufgehoben, daß
Windelbach oder Kant nicht genug die Unterfcheidung
von wahr und falfch, gut und böfe mögen durchgeführt
haben; ja wird nicht der Thron der Wahrheit felbft er-
fchüttert, wenn das Sittliche der Pfychologie anheimfällt?
Tübingen. Th. Haering.

Kriegspädagogik.

Unter diefer Überfchrift ftelle ich einige Plefte zu-
fammen, die fich mit durch den Krieg angeregten päda-
gogifchen Problemen befchäftigen.

Unter den Kriegsfchriften des Kaifer-Wilhelm-Dank
hat H. v. Schubert1, der Heidelberger Kirchenhiftoriker,
einen Vortrag (von dem fchon 20 Taufend Stück gedruckt
find) veröffentlicht über ,die Erziehung unferes Volkes

1) Schubert, Geh. Kirchenr. Prof. Dr. Hans v.: Die Erziehung
unferes Volkes zum Weltvolk. Sittliche u. religiöfe Grumlfordergn.
Kriegsvortrag. (Unterm eifernen Kreuz, 19141516. 53. Heft.) (30 S.)
Berlin, Kameradfchaft (1916). M. —30