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Ausgabe:

1917 Nr. 12

Spalte:

244-245

Autor/Hrsg.:

Jaeger, Max

Titel/Untertitel:

Das Christentum Goethes 1917

Rezensent:

Eck, Samuel

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 12.

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ift der Gehorfam gegen Gottes Willen, dem in gleicher
Weife Fürft und Volk verpflichtet find; darum ift z. B.
für Goodmann das Ideal ein Reich, oü les gouvernants
aimeraient et protegeraient leurs sujets, et oü ceux-ci, ä
leur tour, obeiraient avec joie a leurs superieurs (S. 186).
Ein Schlußkapitel handelt von der Genfer englifchen
Bibelüberfetzung, und eine forgfältige Bibliographie der
aus der Gemeinde hervorgegangenen Drucke fchließt
das lehrreiche Werk.

Zürich. Walther Köhler.

L i n d n e r, Prof. Thdr.: Weltgefchichte feit der Völkerwanderung.

9. Bd. (Schluß.) Die Zeit Bismarcks. Die außereurop,
Staaten. Die letzten Jahrzehnte des alten Europa.
Der Urfprung d. Weltkrieges bis zu den Kriegserklärgn.
(XIV, 524 S.) 8°. Stuttgart, J. G. Cotta Nachf. 1916.

M. 6.50; geb. M. 8—; in Halbdr. M. 9 —

Mit dem vorliegenden 9. Bande ift Lindners Weltgefchichte
feit der Völkerwanderung zum Abfchluß
gekommen. Daß es dem Herrn Verfaffer vergönnt ge-
wefen ift, das Werk in 20jähriger Arbeit zu Ende zu
bringen, werden viele dankbar begrüßen. Man fleht, daß
die Zeit des Spezialiftentums doch auch fähig ift, große
zufammenfaffende Werke zu erzeugen; das vorliegende
nimmt unter den vorhandenen einen Ehrenplatz ein und
zeigt, wie der Mut, allen Schwierigkeiten zum Trotz das
Große zu wagen, fleh belohnt macht.

Und wie könnte es etwas Lohnenderes geben, als
die Vorgefchichte des großen Krieges bis zu feinem
Ausbruch als Abfchluß einer weltgefchichtlichen Entwicklung
zu erzählen. So gewiß es ift, daß die Welt
nach dem Kriege ein anderes Geficht haben wird als
vorher, fo gewiß ift es auch, daß Zuftände und Ereigniffe
vor dem Kriege feine Entftehung erklären und begründen.
Und darum ift es durchaus richtig, wenn in dem vorliegenden
Bande der leitende Gefichtspunkt die Entftehung
des Krieges ift. Nicht fo ift es freilich zu denken, als
würde nur ein Ausfchnitt aus der Gefchichte gegeben,
um fie verftehen zu laffen; der Verfaffer hat auch in
diefem Bande wie in den früheren das ganze weite Gebiet
gefchichtlichen Lebens zu umfpannen gefucht; aber wie
von felbft tritt Alles in Beziehung zum Krieg, weil ja
der Weltkrieg in der Tat die ganze Welt umfaßt.

Im erften Buch wird die Zeit Bismarcks gedrängt
und inhaltsreich gefchildert; das zweite Buch ift den
außereuropäifchen Staaten gewidmet; das dritte Buch:
Die letzten Jahrzehnte des alten Europa; Der Urfprung
des Weltkrieges wendet fleh wieder Europa zu, weift die
Veränderungen in den großen Staaten auf, charakterifiert
die allgemeine Politik bis 1914 und fchließt mit einem
Abfchnitt über die Vorgänge in den letzten Tagen, von
der öfterreichifchen Note an Serbien bis zur Kriegserklärung
Englands. Überall find dem Verfaffer fein von
uns fchon oft gerühmter Gerechtigkeitsfinn, fein maßvolles
Urteil, feine Weisheit treu geblieben; in umfaffender
Gelehrfamkeit und in fcharfer Beobachtung wird eine
Fülle von Tatfachen geboten, wie man fie auf gleichem
Räume feiten vereinigt und miteinander verknüpft findet.
Möchte man hie und da den ethifchen Vorftellungen der
Völker größere Beachtung gefchenkt wünfehen, fo ift
doch das, was über ihr geiftiges Leben geboten wird,
reich und anfehaulich genug. Bei aller gerechten Würdigung
des Fremden läßt dieferBand deutlich erkennen: es
ift Deutfchlands große Zeit, um die gekämpft wird.
Mögen noch fo viel Anläffe zu hiftorifchem Peffimismus
vorliegen, größer find die Anläffe zum Optimismus, mit
dem der Verfaffer fchließt: ,Ich will kein Zukunftsbild
entwerfen, doch nicht nur als Deutfcher, fondern auch als
Beobachter der Gefchichte langer Zeiten darf ich diefe
Weltgefchichte mit der Zuverficht fchließen, daß die
Deutfchen die große Bahn, die fie im letzten Jahrhundert

befchritten haben, weiter verfolgen werden, daß die Welt
erkennen wird, wie Deutfchland zu Unrecht leiden mußte,
daß fein heldenhafter Widerftand auch der Allgemeinheit
nützte und eine glücklichere Geftaltung der Welt-
zuftände vorbereitete'.

Es ift mein herzlicher Wunfeh, daß Lindners Weltgefchichte
und befonders diefer letzte Band viele Lefer
finde; fie werden für reiche Belehrung und Erhebung
zu danken haben.

Kiel. G. Ficker.

Jaeger, Max: Das Chriftentum Goethes. (52 S.) 8<>. Friedewald
-Dresden, Verlag Aurora 1916. M. 2 —

Goethes Stellung zum Chriftentum wird immer zu
den letzten Problemen feines großen Lebens gehören.
Von der Kindheit und Jugend bis ins Alter hören die
Berührungen nicht auf. Deutlich ift aber jedenfalls, daß
fich hier tiefgehende Wandlungen vollzogen haben. Wer
darum, wie in diefem Schriftchen gefchieht, ,Goethes
Chriftentum' ohnejeden betonten Unterfchied der Zeiten,mit
Zitaten, die bunt aus Jugend, Mannes- und Greifenalter zu-
fammengeworfen find, vorführt und fo ein fcheinbar ganz
einheitliches Bild zusammenflickt, führt fich felbft und
feine Lefer in die Irre.

Max Jäger gliedert feinen Stoff ,nach jenen drei
großen Gefichtspunkten, die Paulus als die höchften,
reinften und edelften Ideale alles Chriftentums überhaupt
hinftellt', alfo 1. Glaube, 2. Hoffnung, 3. Liebe (die Zahlen
find von mir beigefügt). Unter 1 wird Mt. 6,26ff. als
.Parallele zwifchen der Dichtung Jefu und der Goethes'
angezogen. Wie aber hier- die Worte Jefu geradezu
,Goethefcher Pantheismus' genannt werden, fo fchließt
fich an das bekannte Fauftbekenntnis das Urteil: ,der
Pantheismus Goethes ift eigentlich letzten Endes doch
Theismus'. Nicht nur Rade (Die Rel. im modernen Geiftes-
leben S. 46) fondern ebenfo Theobald Zieger (Bielfchowsky,
Goethe 2, S. ölofi) vermißt in dem Bekenntnis ,die fittliche
Selbftzucht, die Anerkennung des Sittengefetzes und
feiner Heiligkeit'. Wie aber kann man nur Ausführungen
über die .abfolute Echtheit' von G.'s Chriftentum mit dem
Verfe ,Ich habe geglaubt, nun glaub' ich erft recht' aus
einem leichten gefelligen Liede zum Abfchluß bringen?
2. Die Hoffnung wird ziemlich kurz abgetan. Wieder
find Jefus und Goethe ganz einig. Lc. 16,24 äußert der
reiche Mann in der Hölle ,den allerchriftlichften Wunfeh,
den anderen zu helfen und die Seelen der Brüder zu
retten', alfo ift Jefus weit entfernt von dem Glauben an
eine Ewigkeitsherrfchaft des Böfen, die Mancher irrig
zum Grunddogma des Chriftentums macht. Und nun
gefeilt fich ja zu diefer Hoffnung auf den Sieg des Guten
die andere auf Unsterblichkeit! Was Goethe wirklich
Tiefes von der Hoffnung gedichtet hat, wird nicht einmal
erwähnt. Und 3. werden bekannte Züge aus G.'s Verhalten
gegen feine Untergebenen, gegen Notleidende und
Unglücldiche, zufammengeftellt, dann aber die Frage
erörtert, wie ,diefer fo gewaltige Mann zu einer fo großen
religiös-fittlichen Perfönlichkeit hat werden können?' „Das
Ewig-Weibliche zieht uns hinan". Am .herrlichsten ift
diefes in Gott felbft verkörpert. Denn Gott ift die Liebe'.
Alfo wird Liebe in G.'s Verhalten zu Freunden und feinem
Verkehr mit Frauen auch für fein Chriftentum entfeheidend
fein. Allerdings will Vf. diefen letzteren nicht in hifto-
rifcher Reihenfolge beleuchten: ,das verdürbe auch unfer
Bild'! Aber feine Briefe an Charlotte v. Stein legen
Zeugnis ab ,von dem christlichen Geifte, der dies Verhältnis
wundervoll verklärte'. Aber auch wenn man die
zehn Jahre noch fo ernfthaft für G.'s Charakterbildung
und innere Läuterung in Anfchlag bringt, an ihrem Ende
ift fein bewußtes Verhältnis zum Chriftentum am Punkte
äußerster Entfremdung angelangt. Ift alfo gerade fein
Chriftentum durch Ch. v. Stein gefördert worden?

Sehr wichtiges Material aus dem Weft-öftlichem