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Ausgabe:

1917 Nr. 12

Spalte:

241-242

Autor/Hrsg.:

Espenberger, Joh. Nep.

Titel/Untertitel:

Grund und Gewißheit des übernatürlichen Glaubens in der Hoch- und Spätscholastik 1917

Rezensent:

Heim, Karl

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241

Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 12.

242

Elpenberger, Prof. D. Dr.Joh. Nep.: Grund und Gewißheit
des übernatürlichen Glaubens in der Hoch- u. Spätfcholaltik.

iForfchungen zur chrift. Lit- u. Dogmengefchichte.
13. Bd., l. Heft.) (VIII, 178 S.) gr. 8°. Paderborn,
F.Schöningh 1915. M. 5.60

Seit A. Schmids in mancher Beziehung veralteten
,Unterfuchungen über den letzten Gewißheitsgrund des
Offenbarungsglaubens' (München 1879) ift wohl eine Reihe
von einfchlägigen Einzelabhandlungen über diefes Gebiet
erfchienen, aber noch keine zufammenfaffende Spezial-
arbeit überdenGewißheitsgrund deseingegoffenenGlaubens
in der Scholaftik. Infofern ift die vorliegende Arbeit mit
Dank zu begrüßen. Wenn fie auch kein noch unbekanntes,
bloß handfchriftlich vorliegendes Material heranzieht,fondern
fich auf die zugänglichen und bekannten Autoren der
Hoch- und Spätfcholaftik befchränkt, fo ift doch die
relativ vollftändige Zufammenftellung der Stellenbelege
ein wertvoller Fuhrer durch die Quellen. Freilich fehlt
jeder Verbuch, die mittelalterlichen Gedanken über die
Gründe der religiöfen Gewißheit aus dem Zufammenhang
der zeitgefchichtlichen Entwicklung heraus verftändlich
zu machen. ,Unfere Arbeit hätte gerne eine Entwicklung
gefunden und aufgezeigt, aber es gab im wefentlichen
nichts zu entwickeln' (S. 5). Es gab vielmehr nach der
Darfteilung des VerfaffersnurVariationeneinerfeftftehenden
Melodie. Wo vom thomiftifchen Normaltypus abgewichen
wurde, lag eine Entgleifung vor, die leicht als rationa-
liftifche oder irrationaliftifche Härefie erkennbar ift. So
befchränkt fich die Arbeit darauf, an der Hand der einzelnen
Autoren die feftftehenden Grundlinien der fchola-
ftifchen Gewißheitslehre in ihrer Gefchloffenheit klar
herauszuftellen. Der übernatürliche Glaubens-habitus ift
kein eingegoffenes Wiffen, alfo keine Mitteilung von
Inhalt. Soll übernatürlicher Glaube zuftandekommen, fo
muß vielmehr der Glaubensinhalt auf natürlichem Wege
durch Hören erworben fein. Der übernatürliche Glaubensakt
hat nur die formale Bedeutung, daß er jenem natürlich
erworbenen Offenbarungsinhalt den Stempel der Gewißheit
aufdrückt, und zwar einer Gewißheit, die der Evidenz der
Axiome an Stärke ähnlich ift, wenn fie fich auch in der
Art gänzlich von diefer unterfcheidet. Das Motiv der
rückhaltlofen Annahme ift die erfte unerfchaffene Wahrheit,
d. h. Gott, der zum Glauben bewegt. Bei diefem Gezogenwerden
durch die erfte Wahrheit wird aber der
Glaubensinhalt nicht etwa inhaltlich heller. Er bleibt für
den Verftand nach wie vor dunkel. Sonft hätten wir ja
wieder ein eingegoffenes Wiffen. Der Offenbarungsinhalt
wird nur geglaubt, weil fich der Glaubende auf die
Autorität Gottes ftützt. Die logifchen Glaubwürdigkeitsgründe
, die den Offenbarungsinhalt ftützen (Beweis
für das Dafein Gottes, Wunder- und Weisfagungsbeweis
ufw.) bleiben daneben für die Vernunft in voller Geltung.
Sie bilden die Grundlage für die Entftehung des Glaubens.
Aber fie haben keinen Teil am Glaubensmotiv. Sie
haben ihre Aufgabe erfüllt, wenn fie auf den Glauben
hingeführt haben. Der Glaubensakt felbft ftützt fich nicht
mehr auf fie, fondern ausfchließlich auf die erfte Wahrheit.
Da die Glaubensgewißheit im letzten Grunde nicht mehr
durch theoretifche Gründe motiviert ift, fo hat immer der
Wille irgendeinen Anteil am Zuftandekommen des Glaubensakts
, wenn diefer Anteil auch bei den ,Intellektualiften',
den ,Voluntariften' und den ,Vermittlern' verfchieden be-
meffen wird. Zur gläubigen Annahme des Offenbarungsinhalts
kann dann noch als befondere Geiftesgabe das
.Schmecken' feiner .Süßigkeit', alfo die innere Erfahrung
der Glaubensgewißheit hinzukommen.

Efpenberger verzichtet darauf, die Entftehung diefer
thomiftilchen Gewißheitslehre dogmengefchichtlich aus
dem Kampf der beiden Strömungen zu erklären, die feit
Auguftin die mittelalterliche Lehrbildung beeinflußten,
der myftifch-neuplatonifchen Unterftrömung mit ihrem
unmittelbaren Verhältnis zu Gott als dem reinen Sein

und dem vulgärkirchlichen Autoritätsprinzip. Es bleibt
darum bei feiner Darfteilung unverftändlich, warum in
der Spätfcholaftik das von Thomas hergeftellte .Band
zwifchen Natur und Übernatur' (S. I65) wieder zerreißt,
warum in dem Augenblick, da die logifchen Glaubwürdigkeitsgründe
als bloße Wahrfcheinlichkeitsgründe
durchlchaut find, auf der einen Seite ein myftifcher Irrationalismus
entfteht, für den nicht mehr die Wahrheit,
fondern der .Wille des Ewigen', (S. 150), der .Befehl Gottes'
(S. 159) das einzige Glaubensmotiv ift, auf der andern
Seite nur noch ,die unfehlbare Kirche'(S. 132) als letzter
Beweggrund für den Glauben an die Schriftwahrheit
übrig bleibt.

Münfter i. W. K. Heim.

Martin, Paft. D. Charles: Les Protestant^ Anglais refugies
ä Geneve au temps de Calvin 1555 — 1560, leur eglise,
leurs ecrits. (XV, 354 S.) 8°. Geneve, A. Jullien 1915.

Fr. 7.50

Den zahlreichen Unterfuchungen zur Gefchichte der
calviniftifchen Flüchtlingsgemeinden fchließt fich vorliegendes
, auf den Akten aufgebautes Buch eines derzeitigen
Genfer Alt-Pfarrers an, gewidmet derUniverfität Glasgow als
Zeichen des Dankes für die verliehene theologifche Doktorwürde
. Vf. holt weit aus, fetzt mit dem Tode Heinrichs VIII.
an, fchildert diekleinenFlüchtlingsgemeinden aufenglifchem
Boden, um fich dann der Genfer englifchen Kolonie zuzuwenden
, die am 1. November 1555 aus Flüchtlingen
von Frankfurt a. M. her fich bildete; mit den Italienern
mußten fie fich in die Kirche teilen. Es werden dann
die Membres de l'Eglise gefchildert (im Anhange ift die
vollftändige Mitgliederlifte abgedruckt), die Gefamtzahl
betrug 186 Perfonen; unter ihnen ragen heraus William
Whitingham, Anthony Gilby, Chriftoph Goodman, fowie
feit 1556 John Knox. Handwerk und Gewerbe war unter
den Flüchtlingen ftark vertreten. Unter den hommes
trcs distingues ragt John Bodley heraus, der bekannte
Mäcen der nach ihm genannten Oxforder Bibliothek, der
Bodleiana. Für Calviniften ift es felbftverftändlich, daß
fie fofort nach ihrer Niederlaffung fich Verfaffung und
Liturgie fchaffen, englifch und lateinifch (Calvin war des
Englifchen nicht kundig), das Vorwort flammte von
Whitingham, das Werk felbft war fchon in Frankfurt
vorbereitet. An Ämtern kennt man die Paftoren, Älteften
und Diakonen, die von der Gemeinde gewählt wurden,
aber auf indirektem Wege, d. h. die Gemeinde proponierte
zwei oder drei Kandidaten, von denen Paftoren und
Ältefte einen auswählten, den dann die Gemeinde .wählte'.
Diefer Wahlmodus war a Lasco entlehnt, der ihn aus
Angft vor den Gefahren des .suffrage universel direct'
eingeführt hatte, Calvin kennt ihn nicht. Im übrigen ift
die Verfaffung eng an die Genfer angefchloffen, nur bei
der Beerdigung kennen die Engländer die Anfprache
des Geiftlichen, nicht am Grabe, fondern in der Kirche
nach der Beerdigung (follte da Züricher Einfluß vorliegen
? Noch heute ift es fo, daß der Pfarrer nicht am
Grabe fpricht, fondern in der Kirche oder Kapelle, allerdings
vor der Beerdigung). Die theologifchen Schriften
der Genfer Engländer befchäftigten fich hauptfächlich
mit den Sakramenten und der Prädeftination, z. T. find
fie Überfetzungen, doch fchrieb Knox z. B. feine Answer
to a great nomber of blasphemous cavillations written
by an Anabaptift. Intereffanter, wenn auch aus der
Literatur zu den Monarchomachen zumeift bekannt, find
die kirchenpolitifchen Schriften, die M. eingehend ana-
lyfiert. Dabei begegnet ihm allerdings der oft gemachte
Fehler, die moderne Demokratie mit der calviniftifchen
mutua obligatio zwifchen Fürft und Volk gleichzufetzen.
(Vgl. dagegen die lcharfe Abgrenzung bei Troeltfch: Soziallehren
.) Befonders eingehend werden Knox, der ja feinen
.erften Trompeten floß' von Genf ausgehen ließ, und
fein Lehrer John Major behandelt. Das Ifntfcheidende

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