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Ausgabe:

1917 Nr. 11

Spalte:

219-220

Autor/Hrsg.:

Wotschke, Theodor

Titel/Untertitel:

Glaubensbedrückungen im 18. Jahrh. - Die religiöse Stellung der Grafen Latalski 1917

Rezensent:

Völker, Karl

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Seite 1

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219

Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. II.

220

fchrieb, gerieten in den üblen Ruf, verkappte Sozinianer
zu fein. Das ganze Remonftrantentum ift auf diefe
Ketzerei verdächtigt worden, feine Verteidigung fchloß
ftets damit: wir find keine Sozinianer; aber van S. legt
mit Recht den Finger darauf, daß die Dinge nicht fo
einfach ftehen. Gerade aus diefen Kreifen find Über-
fetzungen fozinianifcher Schriften hervorgegangen, der
eine oder andere Remonftrant ift übergetreten, beide
Richtungen zeigten einen ftark rationalen Charakter und
waren antikonfeffionell, kurz, ,die Sozinianer haben von
Remonftrantifcher Seite wenig oder gar nicht empfunden
, daß fie nur Fremdlinge und Beifaffen waren'. Die
Beziehungen zwifchen Sozinianern und Taufgefinnten wurden
z. T. durch die Danziger Mennoniten vermittelt, die
Gemeinfchaft ift hier ftellenweife eine fehr enge gewefen,
zu Sympathien kam es eigentlich überall, felbft da, wo
man fich offiziell ablehnend verhielt. In den Niederlanden
felbft find die Rijnsburger Kollegianten die große
Brücke gewefen, über die der Sozinianismus zu den Taufgefinnten
wanderte. Hier war durch die Forfchungen
von van Douwen u. a. ja fchon mancherlei bekannt, aber
van S. bringt doch fehr viel Neues. Ein weiteres Kapitel
handelt von den Nachwirkungen der nach den Niederlanden
ausgewanderten Sozinianer. Es handelt fich da
vorab um die intereffante Perfönlichkeit des Martin
Ruarus, ,der vielleicht mehr als irgend ein anderer getan
hat, um dem Sozinianismus hier zulande behilflich zu
fein und Eingang zu verfchaffen'. Auch Chriftoph Sandius
muß hier genannt werden, der Verfaffer der von B.
Wiffowatius herausgegebenen Bibliotheca Antitrinita-
riorum. Aus dem Munde von Daniel Zwicker ftammt
das intereffante Bekenntnis: ,Ich bin kein Lutheraner,
noch Calvinift, noch Remonftrant, noch Grieche, noch
Papift, noch Sozinianer, noch Mennift, noch Anhänger
irgend einer der heutigen Sekten, aber da ich alle nach
der göttlichen Wahrheit reformiert fehen möchte, werde
ich vielmehr von allen gehaßt'. Das erinnert an die
Gedankenwelt Sebaftian Francks. Die Liebestätigkeit
der Holländer an den ungarifchen Unitariern war bedeut-
fam, falt wie ein Dank darauf erfcheint der Druck der
großen Bibliotheca fratrum Polonorum in Amfterdam.
Natürlich fehlten die ftaatlichen Gegenmaßnahmen nicht,
ebenfowenig wie die kirchlichen Synodalbefchlüffe. Auch
die berühmte Hiftorie der Reformatie von Brandt wurde
davon betroffen, fie war den reformierten Zionswächtern
zu ,remonftrantifch'. Zur Bildung einer fozinianifchen
Religionsgemeinfchaft ift es in den Niederlanden nicht
gekommen, aber der fozinianifche Einfluß ift fehr bedeutend
gewefen. Mit Recht fagt v. S.: ,Der erfte Stoß zur
Aufklärung kam von diefer Seite'. Aber der Sozinianismus
hat auch von den Holländern fehr viel angenommen,
vorab eine religiöfe Vertiefung. Was vergänglich an ihm
war, ift untergegangen, das Unvergängliche hat fich
hinübergerettet in die Aufklärungsbewegung, in der der
Sozinianismus fchließlich aufging, v. S. fchließt mit de m
Diftichon, in dem eine gewiffe Wahrheit fteckt: Alta ruit
Babylon, deftruxit tecta Lutherus, muros Calvinus, sed
fundamenta Sozinus.

Zürich. Walther Köhler.

Wotlchke, P. lic. Dr. Theodor: Glaubensbedrückungen im
18. Jahrh. — Die religiöle Stellung der Grafen Latalski.

Sonderabdr. aus: Aus Pofens kirchl. Vergangenheit,
Jahrg. 1915/16. (55 S.) 8». Liffa i. P., O. Eulitz in
Komm. 1916.

Für fein geplantes Urkundenbuch zur Pofener Kirchen-
gefchichte fand Wotfchke keinen Verleger; fo veröffentlicht
er wichtige Urkunden im Anhang zu feinen Einzel-
untertuchungen, die jedesmal neue Tatfachen zu Tage
fördern. In den beiden vorliegenden Beiträgen bringt
er eine Reihe von beachtenswerten archivalifchen Funden;

aus dem Berliner und Pofener Kgl.StaatsarchivBefchwerde-
fchriften der evangelifchen Gemeinden in Großpolen über
die unwürdige Behandlung vor und nach dem Warfchauer
Toleranztraktat (1768) und Aufzeichnungen zur Familien-
gefchichte der Grafen Latalski, in der fich die Wandlungen
des Pofner Proteftantismus widerfpiegeln. Diefelben
Klagen kehren in allen Befchwerdefchriften wieder: die
Evangelifchen müffen zu katholifchen Kultuszwecken bei-
fteuern, der katholifche Ortspfarrer fordert erhöhte
Stolataxen, evang. geiftliche Amtshandlungen werden von
der Erlaubnis diefes abhängig gemacht, fchadhaft gewordene
evang. Gotteshäufer dürfen nicht ausgebeffert
I werden, den Evangelifchen wird das Meifterrecht verweigert
, fie werden verfpottet und mißhandelt. Die
Diffidentenfrage wird mit der hohen Politik verknüpft:
fo erfucht die ev. Ritterfchaft am 2. Juli 1764 den preu-
ßifchen Minifter Finkenftein, bei der polnifchen Regierung
dahin zu wirken, daß die erledigte Kanzlerwürde dem
Fürften Auguft v. Sulkowski, dem Kandidaten der
Czartoryskifchen ,Familie', übertragen werde, da von
diefem die Erfüllung der Wünfche der Evangelifchen zu
erwarten fei. Als Ergänzung wären die zahlreichen Schriften
des Berliner Hofpredigers D. E. Jablonski in Angelegenheit
der Wiederherftellung der Diffidentenrechte heranzuziehen
. — In der gräflichen Familie Latalski machen
fich um 1540 evangelifche Einflüfte bemerkbar. Der
Pofener Wojewode Johann L. ließ feine Söhne in Leipzig
ftudieren; der ältefte, Stanislaus, führte in Labifchin die
! Kirchenreform durch, die nach feinem Tode (l 598) fein
katholifcher Schwager Czarnkowski wieder rückgängig
I machte. Stanislaus' Sohn Georg, der Grundherr von
Dembnica, fchloß fich den Reformierten an, nachdem er
! den Calvinismus in Bafel, Zürich und Genf perfönlich
! kennen gelernt. Stanislaus' zweitältefter Sohn Nikolaus,
Kaftellan von Nakel, der letzte höhere Würdenträger unter
den evangelifchen Latalskis, trat als warmer Anwalt pro-
I teftantifcher Intereffen unter Sigismund III hervor. Sein
! gleichnamiger Sohn konnte die gewaltfame Rekatholi-
: fierung der Pfarrkirche in Dembnica nicht verhindern (1645).

Wien. Karl Völker.

Dr. Johann Nepomuk Sepp 11816—1909). Ein Bild feines
Lebens nach feinen eigenen Aufzeichngn. Xenium
zum 100. Geburtstag (7. Aug. 1916). 1. TL: Von der
Geburt bis zum Abfchluß der öffentl. Tätigkeit. (III,
170 S. m. Abbildgn. u. 1 Titelbild. 1 Lex 8°. Regensburg
, Verlagsanftalt vormals G. J. Manz 1916. M. 5 —

Das Buch bringt die Lebenserinnerungen eines bay-
rifch-katholifchen Halbtheologen, Hiftorikers und Politikers
. Er zählte nie zu den eigentlichen Führern, fpielte
aber unter denMännern zweiten und dritten Ranges mehrfach
eine wichtige Rolle. Als Mitglied des Frankfurter Parlaments
, der bayi'ifchen Kammer und des deutfchen Zollparlaments
hatte er Einfluß auf die politifche Entwicklung (,Wir
wollen Deutfche fein und Bayern bleiben'). Literarifch
I arbeitete er vor allem über das Neue Teftament, die
Religionsgefchichte und Paläftina, aber auch über die
' bayrifche Gefchichte und Görres. Außerdem ift feine
! perfönliche Entwicklung lehrreich. Von der Romantik
eines Möhler und Görres durchdrungen, fchritt er mit
der katholifchen Gefamtentwicklung zu einem ftreng-
kirchlichen Standpunkt fort — um dann doch 1870 vor'
den Konfequenzen zu erfchrecken. Die Folge für ihn
war, daß er, der eignen fortreißenden Kraft entbehrend
und nicht mehr von einer mächtigen Welle getragen, aus
dem öffentlichen Leben ausfcheiden mußte. Es wäre
wichtig, in die dabei leitenden inneren Vorgänge hinein
zu blicken; hängen fie mit dem Übergang von der groß-
deutfchen zur reichsdeutfchen Begeifterung zufammen?
Aber gerade da läßt das Buch im Stich. Wefentlich
chronikalifch gehalten, bringt es zahlreiche wertvolle Beob-