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Ausgabe:

1917 Nr. 10

Spalte:

190-191

Autor/Hrsg.:

Eucken, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die geistesgeschichtliche Bedeutung der Bibel 1917

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. lo.

190

zu einem alphabetifchen Pfalm gehört, der fich bis zur
»-Atrophe leidlich verfolgen läßt (S. 204). Daß über die
Prophetie Zephanjas C. feit Erfcheinen diefer Auflage
des Grundriffes feine Anficht geändert hat (wenigftens
was die Form des Buches und manche nicht unwichtige
Punkte feines Verftändniffes anbetrifft), lehrt feine bedeut-
fame Abhandlung in den ThStK I916, S. 297 ff., auf die
hier verwiefen fei. Für Haggai werden die Refultate
Rothfteins, der uns deffen prophetifche Tätigkeit erft
richtig würdigen gelehrt habe, aufgenommen: Rothftein
ftellt nämlich 2, 15, 16, 18a, 19b hinter l, 15 vor 2, l und
erklärt 2, 10—14, 20—23 nach Eff. 4, 1—5, wodurch die
Anfchauung, Haggais Buch fei lediglich ein gefchichtli-
ches Referat über feine Wirkfamkeit, ihre Hauptftütze
verliert (S. 209). — In Hiob hält C. immer noch an der
Echtheit der Elihureden feft. Er kann fich jetzt den von
Sellin ,geiftvoll durchgeführten Gedanken' zu eigen machen,
,dem Dichter felbft habe fich bei wiederholtem Arbeiten
an feinem Werke die Problemftellung verfchoben, er habe
nicht nur auf eine beftimmte Frage eine Antwort erteilen
wollen' (S. 250 f.). Daß mit diefer Auskunft die Behauptung
der Echtheit der Elihureden überzeugender werde,
kann ich nicht finden. Umfomehr freue ich mich, den
meiften übrigen Änderungen diefer Neuauflage zuftimmen
zu können.

Göttingen. A. Bertholet.

Jelchurun. Monatsfchrift f. Lehre u. Leben im Judentum.
Hrsg. Dr. J. Wohlgemuth. II. Jahrg. 1915. (592 S.)
III. Jahrg. 1916. (714 S.) gr. 8°. Berlin, Verlag des
Jeschurun. Jährlich M. 6—

Das Wefen diefer neuen Zeitfchrift als einer den
Standpunkt des ftreng gefetzestreuen und überlieferungsgläubigen
Judentums vertretenden habe ich in Jahrg. 1915,
Nr. 18,19 ausführlich gekennzeichnet. Daher kann ich
mich für den zweiten und den dritten Jahrgang auf
einen kurzen Bericht befchränken. Einen erheblichen
Teil des Raumes füllen begreiflicherweife Erörterungen
über die Stellung diefes Judentums zu dem gegenwärtigen
großen Kriege und feine Betätigung in diefem gewaltigen
Völkerringen: Liebe zum deutfchen Vaterlande; ernfte
Betonung deffen, was Juden und Chriften aus den Ge-
ichehniffen der Gegenwart zu lernen haben; die fchwere
Schuld Englands neben Anerkennung feiner Leiftungen
auch auf religiös-fittlichem Gebiete; der Gott der Gerechtigkeit
und zugleich der, aber durch die Gerechtigkeit
beeinflußten oder gehemmten, Liebe; Italien, das ,den
größten Schurkenftreich, den menfchliche Niedertracht
erfinnen kann', als .heiligen Egoismus' zu bezeichnen
wagt, und die gottesläfterliche Heuchelei des Präfidenten
der Ver. Staaten von Nord-Amerika, W. Wilfon, der
fein Volk, durch deffen Gewinngier mehr als eine Million
Menfchen getötet oder verftümmelt worden ift, ein ,gott-
gefegnetes Volk' zu nennen fich erdreiftet. Die Auffatz-
reihe ,Das Bildungsproblem in der Oftjudenfrage' ift auch
befonders erfchienen und in Jahrgang 1917, Nr. 4 be-
fprochen.

Aus dem anderweitigen reichen Inhalt fei hier
einiges hervorgehoben. Probleme der Pentateuchexegefe.

— Der Pfalter im Wechfel der Tage. — Die Bibel im
Lichte der altbabylonifchen Gefetzgebung. — Schuld und
Sühne nach Talmud und Midrafch. — Die Freude an
der Pflichterfüllung. — Stellung des Judentums zu der
aus Talmud und Schulchan-Aruch zu entnehmenden
Ethik. — Tierfchutz. — Das I'aften. — Profelyten einft
und jetzt. — Charakterbilder unfrer großen Gefetzeslehrer.

— Der Siddur im Spiegel der jüdifchen Gefchichte. —
Mofes Maimonides. — Diejelchiboth (Talmudhochfchulen)
in Rußland. — Der Fifch als Symbol. — Bibel und
Dichtung. — Biblifche Motive in Goethes Fauft. —
Chriftian Science. — Gegen den Äfthetizismus.

Von den 613 Gefetzen (im Pentateuch wurden 365
Verbote und 248 Gebote gezählt). — Die Agunagefetze
(Aguna ift eine Frau, die nicht wieder heiraten darf, weil
fie über den Verbleib, bezw. den Tod des Mannes keine
fichere Nachricht hat). — Der .große' Sabbat (vor dem
Paflahfeft). — Achad Haam (Afcher Ginzberg).

Niemand wird die beiden Bände lefen, ohne mannigfache
Anregung zu empfangen. Die Inhaltsverzeichniffe
follten genauer fein. Mit Angaben wie .Miszellen', .Aphorismen
', ,Literarifche Notizen', .Eine Zufchrift', .Eine Anregung
', .Bücherbefprechungen' ift nichts genützt.

Band II, S. 51, Z. 6 lies ,preift' ftatt .greift'; S. 52
.einlullende' ftatt .einhüllende'.

Berlin-Lichterfelde Weit. Hermann L. Strack.

Eucken, Rudolf: Die geiltesgefchichtliche Bedeutung der
Bibel. (39 S.) gr. 8°. Leipzig, A. Kröner 1917. M. l —

Ein glücklicher Gedanke Hunzingers, dies Thema
bei der Jahrhundertfeier der Hamburg-Altonaifchen Bibel-
gefellfchaft dem Philofophen der Weltanfchauung und
der Geiftesmacht anzuvertrauen. Ein Hiftoriker wäre ver-
fucht gewefen, die Gefchichte der Bibel in all die unendlichen
Verzweigungen ihrer Überlieferung, in Handfchrif-
ten und Drucken, in Überfetzungen und Zitaten zu verfolgen
, und die Fülle der geiftigen Kraft, die fchon hierauf
, vollends auf die Auslegung, die hiftorifch-kritifche
Plrforfchung, die Aneignung und praktifche Anwendung
der Bibel gemacht worden ift, darzuftellen; er hätte die
Jahrhunderte abgehört nach dem, was fie in der Bibel
fahen, fuchten und fanden; hätte den kirchlichen und privaten
Gebrauch in all feinen Arten, die ganze Maffe der
von der Bibel ausgegangenen Kultureinflüfte; ihr Einwirken
auf die Staatsanfchauung und die Rechtsbildung,
auf das Gefchichts- und Naturbild des Mittelalters und
die allmähliche Emanzipation der Neuzeit hiervon; die
Balanzierung des biblifchen Einfluffes durch den antik-
klaffifchen und den modern-naturwiffenfchaftlichen; die
biblifchen Motive der Literatur und Kunft, den biblifchen
Einfchlag der Sprachen u. f. f. bis hin zu dem Bibelmißbrauch
in der finftern Welt des Aberglaubens verfolgt
— wie das etwa vom Standpunkt des Dogmatikers
M. Kähler in feiner .Gefchichte der Bibel in ihrer Wirkung
auf die Kirche' 1902 (= Dogmatifche Zeitfragen
2. Aufl. 1907 1 266—435), vom Standpunkt des Religions-
hiftorikers der Referent in feinen Lowell-lectures: The
Influence of the Bible on Civilisation (New York,
Scribner, 1914; vgl. den Art. Bible in the Church in
Hafting's Encyclopaedia of Religion and Ethics II,
1909, 579—615) getan haben. Eucken ftreift das alles,
aber von höherer Warte aus erhebt er die Betrachtung
in das Reich reiner Geiftesgefchichte und weiß in dem
engen Zeitrahmen eines Feftvortrags den unendlich reichen
Stoff durch Hervorhebung der großen Gefichtspunkte und
Auswahl treffender Beifpiele zu einem höchft eindrucksvollen
Gefamtbilde zu geftalten.

Zunächft erhebt er feine Zuhörer aus den Niederungen
der .Zeit'gefchichte in die Höhen der .Geiftes'gefchichte,
wo es um das Überzeitliche, Ewige, den Gemeinbefitz
der Menfchheit geht. Eucken verfteht, daß und warum
das Chriftentum dies Ewige in der Gefchichte verftärkt;
er fieht in der Bibel das eigentliche, einzige und tieffte
Thema der Welt- und Menfchengefchichte behandelt, den
Konflikt von Glauben und Unglauben. Ihm ift die Bibel
das große Bilderbuch der Lebenserfahrungen großer
Frommer, und darum zugleich die Lebensquelle für ungezählte
Fromme aller Zeiten; fern und nah zugleich und
eben dadurch anziehend und erhaben. Jede Zeit, jedes
Individuum hat feine biblifchen Lieblingsbücher, nach
denen man fie charakterifieren kann — ein Gedanke, den
foeben auch Th. Haering in Preufchens Zeitfchrift 1916,