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Ausgabe:

1917 Nr. 10

Spalte:

187-189

Autor/Hrsg.:

Cornill, Carl Heinrich

Titel/Untertitel:

Einleitung in die kanonischen Bücher des Alten Testaments. 7., neubearb. Aufl 1917

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 10.

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Entftehung fowie religiöfe Bedeutung helleres Licht geworfen
hat. In diefer Richtung freilich enttäufcht die
Schrift Lattes: der Name Wundt wird überhaupt nicht
genannt, und die Tänze der Primitiven werden nur ganz
feiten und oberflächlich berückfichtigt; die Arbeit hält
fleh durchaus in ftreng philologifchen Grenzen. Das ift,
wie ich betone, an fleh kein Fehler; im Gegenteil wäre
es durchaus wünfehenswert, wenn man öfters die antiken
fakralen Gebräuche zunächft für fleh behandelte, ohne
daß der Blick immer gleich nach den Indianern und
Negern abirrt und dadurch das Urteil von vorne herein
beeinflußt wird. Die Ergebniffe, die fo gewonnen werden,
find dann für die allgemeine Religionswiffenfchaft doppelt
wichtig. Auch Latte hat auf diefem Wege unftreitig
gewiffe Ergebniffe erzielt. Am bellen ift der Abfchnitt
über den Waffentanz, die jivqq'lx>], und hier wieder die
Darftellung des Wandels, den diefer Tanz in hiftorifcher
Zeit durchgemacht hat, wie er immer freiere und aus-
gelaffenere Formen annimmt, wie an die Stelle der Lanze
der dionyfifche Thyrfos-Stab tritt, der Kriegstanz fchließ-
lich jahrhundertelang nicht viel mehr ift als unfer Ballett.
Ferner hebe ich von wertvollen Einzelheiten die fcharf-
finnige Kombination hervor, durch die Latte die arkadi-
fchen 'Ajioöei^tiq und die argivifchen 'Evöv[iäna als
Tänze zur Feier der Männerweihe erweift (vgl. Wundt II
1 S. 411), und die Erklärung des Tanzes bei dem Früh-
lingsblumenfeft mit den Wechfelverfen:

xov (Iol ra ()oda, nov fioi ra la, nov fioi ra xaXa
öiliva; — radl ra (>oöa, radl ra la, radl Ta xaXa. oiXiva.

Freilich ift dies gerade auch ein Fall, wo die rein
philologifche Betrachtungsweife Lattes nicht ganz befriedigt
. Das ausdrückliche Zeugnis, daß es fich dabei um
einen mimifchen Tanz handelt (coqxovvto fjiiiovfisvoi) reizt
doch zu weiterem Forfchen, was allerdings ohne ethno-
logifche Vergleiche kaum Erfolg verfpricht. Hier wie in
andern Fällen reicht eben eine Methode, die fich auf die
antiken Quellen befchränkt, zu einem völligen Verftändnis
nicht aus. Auch das Kapitel über den ekftatifchen Tanz
und die Unterfuchung über den delifchen Kranichtanz,
die jkQavoq, wären, glaube ich, ergebnisreicher ausgefallen,
wenn Latte die von Wundt aufgeftellten Gefichtspunkte
berückfichtigt hätte. Doch — mehr als eine Vorarbeit
will und foll ja die Schrift nicht fein, und diefen Zweck
erfüllt fie durchaus.

Brandenburg. Ludwig Ziehen.

Cornill, Geh. Konfift.-Rat Prof. DD. Carl Heinrich: Einleitung
in die kanonifchen Bücher des Alten Teitaments.

7. neubearb. Aufl. der ,Einleitung in das Alte Tefta-
ment'. (Grundriß der Theolog. Wiffenfchaften. II. Tl.,
1. Bd.Einleitg. in das A. T. Kanonifche Bücher.) (XV,
328 S.) gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1913.

M. 5 —; geb. M. 6 —

Leider hat fich durch meine Schuld diefe Befprech-
ung ungebührlich verzögert. Es galt dabei freilich nicht
einem neuen Werk erft den Weg zu bahnen fondern
einem längft gefchätzten auf den gewohnten Gang mit
einem Wort erneuter Anerkennung ein kurzes Geleite zu
geben.

Daß die Auflagen diefes Buches einander fo rafch
folgen, wo ja doch an Einleitungswerken kein Mangel
ift, zeigt, in wie befonders glücklicher Weife es einem
wirklichen Bedürfnis entgegenkommt. Es zeigt freilich
auch, daß die Anfchauungen, die es vertritt, trotz allem,
was gegen fie eingewendet worden ift, noch nicht als
überholte empfunden werden. Dabei konnte C.'s Buch
feinem Charakter nach dasfelbe bleiben, wenn fich diefe
Auflage auch eine neubearbeitete nennt.

Die Neubearbeitung greift immerhin tief genug ein.
Natürlich find die neuen literarifchen Erfcheinungen nicht
bloß namhaft gemacht, fondern auch nach Gebühr verwertet
. Ein Name ift mit Recht verfchwunden: war bisher
nämlich Döderlein als Bahnbrecher der Jefajakritik
aufgeführt, fo hat fich C. inzwifchen aus der Lektüre
feines 1775 erfchienenen Buches überzeugt, daß ihm diefe
Ehre nur zu Unrecht zukam und daß er fchlechterdings
nichts zur Deuterojefajanifchen Frage bringt. ,Auch
Lowth-Koppe, der doch fonft mit Recht als Bahnbrecher
der Jefajakritik gilt, fagt über die Autorfchaft von Jef.
40—66 kein Wort. Es bleibt demnach Eichhorns unbe-
ftreitbares Verdienft, 1782 in feiner Einleitung III § 525
als erfter den Deuterojefaja erkannt zu haben' (S. VI).

Merklich verändert find die Ausführungen über Alter
und Urfprung der Materialien von P (§ 24, 12). Nicht
als hätte C. jemals die Meinung wollen aufkommen laffen,
j P's fpäte literarifche Bezeugung bedeute, daß P die von
ihm kodifizierte Gefetzgebung erfunden habe. Aber möglichen
Mißverftändniffen gegenüber wird jetzt mit allem
Nachdruck betont, daß diefer Gefetzgebung alte Sitte und
alte Tradition zu Grunde liege. ,Es geht damit', fo führt
C. in trefflicher Parallele an, ,wie mit den deutfehen Weis-
tümern: fie find z. T. erft im 17., ja noch im 18. Jahrhundert
fchriftlich fixiert, und enthalten trotzdem Rechtsfitten
und die Auswirkung von Rechtsanfchauungen, die
vielfach bis in die indogermanifche Urzeit vor Trennung
der Germanen, Römer und Griechen hinaufreichen: aufgezeichnet
hat man fie erft, als wachfende Fürftenmacht
die Rechte der Gemeinden, und amtliche Einführung des
römifchen Rechts das alte deutfehe Gewohnheitsrecht
immer mehr zurückdrängten' (S. 65). Gen. 14 gegenüber
kann fich C. jetzt (wie fo oft, vgl. z. B. S. 71, 188, 193)
auf feine durch Sellins Einleitung veranlaßte Gegenfchrift:
,Zur Einleitung ins A. T.' berufen. Mit Recht weift er
auch die neueren Verfuche, die Gefchichtlichkeit diefes
Kapitels zu retten, von der Hand. ,Da die Gleichzei-
tigfetzung Abrahams mit Hammurabi einen Anachronismus
von einem halben Jahrtaufend bedeutet, fo wäre
auch ein etwaiger älterer Grundftock von Gen. 14, wie
König ihn nicht ohne Gefchick nachweifen will, fo weit
von den Ereigniffen abliegend, daß er jeden hiftorifchen
Quellenwert verlöre' (S. 73). — Ex l, 15 — 18 erfcheint
jetzt nicht mehr unter J, fondern unter E (S. 26), zweifellos
richtig; ebenfo ift Num. 27, 15—23 jetzt hinter Dt.
32, 48—52 geftellt (S. 57, 84). Für Dt. 27, 4—8, 11—26
lehnt fich C. an B. Luther (bei Ed. Meyer) an (S. 38 f.).
— Hatte C. früher geurteilt, daß die Simfonsgefchichte
ein durchaus einheitliches Gepräge trage und fichtlich
aus einer Feder geflohen fei, fo führt er jetzt Sellin an,
der auch hier in Kap. 13 und 16 Spuren von zwei Geleifen
gefunden habe (S. 96; vgl. die Verteilung auf zwei Quellen
S. 100).

Zu Gunften der Echtheit von Jef. 9, 1—6 und 11, 1—8
wird neuerdings auf die im Vergleich zu 2, 2 —4 entfehie-
den nationale Färbung der Orakel Gewicht gelegt (S. 156);
aber liegt in der jerufalemozentrifchen Faffung von 2, 2—4
nicht auch ein gut Stück Nationalismus? Für Jef. 19,18—25
wird jetzt eine Datierung verfucht, indem fich die Hoffnungen
diefer Verfe am eheften aus der Zeit begreifen
follen, wo Ptolemäus I und Seleukus I um die Wette die
Juden begünftigten (S. 159). Ich finde immer noch eine
näherliegende Vorausfetzung einer Erwartung des Dreibundes
Ägypten-Syrien-Ifrael, wo Ifrael den beiden andern
politifch gleichgeftellt ift, während es mit feiner
Religion ihr geiftiger Führer wird, in der Situation I Makk.
IO, 59 ff. — Gründlich umgeftaltet ift der Paragraph über
die Entftehung des Buches Hefekiel, wo die Forfchungs-
ergebniffe Joh. Herrmanns zu ihrem Rechte kommen
(S. 184 f.). Für das Buch Joel gibt C. jetzt zu, daß es
nicht in einem Zuge und zu einer Zeit gefchrieben wurde;
aber er hält — m. E. mit Recht — an der unverkennbaren
' Einheitlichkeit des Ganzen feft (S. 191). In der
Behandlung des Nahumproblemes folgt er Duhm, wonach
der echteNahum mit 1, 12*13.14 aß*by 2, 1. 3 1, 10*11.14
aabaß 2, 2. 4 etc. beginnt, während das Übrige von Kap. l