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Ausgabe:

1917

Spalte:

180

Autor/Hrsg.:

Tolstoi, Leo

Titel/Untertitel:

Tolstoi’s Briefwechsel mit der Gräfin A. A. Tolstoi 1857 - 1903 1917

Rezensent:

Titius, Arthur

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Theologifche Literaturzeitung 1917 Nr. 8/9.

180

Bistum von jeher gefpielt hat. Nur wenige Bifchöfe, wie etwa
der von Bonifatius eingefetzte Willibald oder Gerhard I., der 1055
als Viktor II. den päpftlichen Stuhl beftieg, treten aus dem Rahmen !
der lokalen Gefchichte heraus. Immerhingeben auch die Eichftätter
Regelten ein gutes Spiegelbild der allgemeinen kirchenpolitirchen
Entwicklung der deutfchen Bistümer. In der älteren Zeit erfahren 1
wir falt nur von geiftlichen Amtshandlungen. Aus dem Zeitalter der
Ottonen find zahlreiche königliche Schenkungen an das Bistum j
überliefert. Gleichzeitig läßt fich eine Itärkere Anteilnahme der
Bifchöfe am politifchen Leben feftftellen. In der Zeit des In-
veftiturftreites tritt die Betätigung auf geiftlichem Gebiete wieder
mehr in den Vordergrund. Die Regierung Friedrich BarbarofTas
macht fich durch Itarke Heranziehung der Bifchöfe im Reichs- |
dienfte bemerkbar.
Breslau. M. S t i m m in g.

Beiträge zur Sächfifchen Kirchengefchiehte, hrsg. im Auftrage der !
,Gefellfchaft f. fächf. KG.' v. F. Dibelius u. A. Hauck. 29. j
Heft (Jahresheft f. 1915). (III, 236 S.) 8>. Leipzig, J. A- I
Barth 1816. M. 4— !

Das erfte Heft, das feit einem Vierteljahrhundert nicht mehr
den Namen Briegers als des Mitherausgebers auf dem Titel trägt 1
Hauck ift an feine Stelle getreten, und die fchöne Gedächtnisrede
, die er am 11. Juni 1915 am Sarge Briegers gehalten hat
eröffnet das Heft. Es folgt eine Abhandlung von Georg Buchwald
: .Predigten in den Jahren 1493 und 1494 im Klofter Altzella
gehalten'. L. fand diefe ,sermones . .. fere omnes coram
populo praedicati' — es find lateinifche Konzepte zu den deutfch
gehaltenen Predigten — in dem aus der Klofterbibliothek von
Altzella ftammenden Handfchriftenbande Nr. 756 der Leipziger
Univerfitätsbibliothek. Es find Konglomerate aus Vinc. Ferrer,
Berthold von Regensburg, Albertus Magnus, Antoninus von Florenz
u. a. In lehrreicher Weife hebt B. verfchiedene behandelte
Themata heraus, wobei auch mancherlei kulturgerchichtlich
Intereffantes zu Tage kommt, und zieht zum Schluß einen Vergleich
mit der Predigtweife Luthers, der aus der Schrift fchöpft,
neue, lebensvolle und erneuernde Gedanken aus der Schrift gewinnt
, während die mittelalterlichen Prediger ihr einen aus dem
kirchlichen Vorftellungskreife entnommenen Inhalt aufnötigen.
Darauf giebt Kaifer unter dem Titel: ,Briefwechfel mit D.
Andreas Gottlob Rudelbach, weil. Sup. und Konfiftorialrat zu
Glauchau i. S. 1829—1846' intereffante Auszüge aus Briefen an
R., die nur öfters nicht gefchickt verbunden find. R. war bekanntlich
zuerft mit Grundtvig Erwecker und Förderer neuen
religiöfen Lebens in Dänemark. Als Superintendent zu Glauchau
wurde er dann zum Mittelpunkt der religiös Erweckten in Sachfen
und über Sachfens Grenze hinaus, indem er zugleich feit zum
konfeffionellen Luthertum hielt. Die dänifch gefchriebenen
Briefe hat K. ausgefchieden und Prof. Anderfen in Kopenhagen
zur Herausgabe überlaffen. Die deutfchen Briefe hat er nach den
Kreifen, denen fie entflammen und in die fie uns verfetzen, geordnet
. Ein kurzer, kräftiger Brief von Claus Harms in Kiel von
1837 macht den Anfang, ein eigentümliches Gegenftück dazu ift
ein etwas weichlicher Brief des Barons von Kottwitz von 1829.
Es folgen Briefe von Hengftenberg, Tholuck und andern der
evangelifchen Kirchenzeitung nachftehendenTheoIogen,dannBriefe
aus Bayern (Brandt, Harleß, K. v. Raumer) und Württemberg
(Knapp, Kapff), endlich aus Bremen und Hamburg (W. Kompff,
Mallet, Rautenberg). Ein 2. Teil foll folgen. Ferner gibt der
unermüdliche Bönhoff eine forgfältige Darftellung des Lebens
und Wirkens des (am 10. Aug. 1516 in Eger geborenen) Joh.
Habermann, des Verfaffers des vielgebrauchten erfimalig zu
Wittenberg 1567 erfchienen Gebetbüchleins; B. kommt auch auf
Hieronymus Hirfcheider (vgl. Heft 28, S. 116 ff.) noch einmal
zurück. Den Befchluß macht eine Notiz von Buchwald: ,Nach-
fchriften von Predigten und Vorlefungen Luthers von der Hand
des fpäteren Pirnaer Superintendenten Dr. Anton Lauterbach'.
Lauterbach hat fich als Schreiber des Cod. Solger 13 der Nürnberger
Stadtbibliothek (enth. Predigten Luthers vom IL Okt.
1528 bis zum 25. März 1532) und des Berliner Handfchriften-
bandes Ms. theol. lat. Q 20 (enth. die Nachfchriften der Vorlefungen
Luthers über Jefaias 1527—1530 und das Hohelied 1530—1531)
herausgeftellt.

(Mitau.) O. Clernen.

Winter, Kirchenr. Lic. F. J.: Deutfch-Iutherirches und englifches
Chriftentum. Vortrag, geh. vor der Chemnitzer Konferenz am
29. IL 1916. (36 S.) 8°. Leipzig, Dörffling & Franke 1916.

M. —80

Das Büchlein ift ein Konferenzvortrag oft ftark erbaulicher

Färbung. Aber es ift doch unerbaulich. — Was lutherifches
Chriftentum ift, weiß der Verf. aus eigner Erfahrung, aus Studien
und Beobachtung feiner Umgebung; und wenn er auch idealifiert
und m. E. die Kritik dadurch herausfordert, daß er in feiner
dogmatifchen wie hiftorirchen Würdigung des Luthertums der
Myttik mehr gibt, als ihr gebührt (vgl. S. 22 f.), fo ift doch das,
was er über deutfch-lutherifches Chriftentum fagt, davon abge-
fehen, fachkundig, richtig und eindrucksvoll. Dagegen werden
feine Ausführungen über englifches Chriftentum den nur einigermaßen
Unterrichteten nichts lehren; und den, der noch gar keine
Sachkenntnis hat, können fie zu fehr unvollftändigen und m. M. n.
mannigfach fchiefen Urteilen verführen. Verfafler macht hier
nicht den Eindruck, aus eigner Beobachtung oder auf Grund
ausreichenderStudien zu reden; und wärejer weniger voreingenommen
, würde er feine Schilderung einmal an Männern wie Robertfon
und Kingsley, die gar nicht erwähnt find, geprüft haben. In der
Darftellung fpielt hier der Schematismus, obwohl Verf. deffen
Gefahren kennt (S. 24), eine verhängnisvolle Rolle. Die Behauptung
, daß in England die Myftik keinen Boden gefunden habe
(S. 18), ift dem, der von der englifchen Kirchengefchiehte des 16.
und 17. Jahrhunderts etwas Näheres weiß, fchier unbegreiflich.
Und Verf. ift nicht nur über die Vergangenheit der Kirche
Englands unvollkommen unterrichtet. Der Gegenwart gegenüber
ifts ebenfo. Wer die anglikanifche Kirche, wie Sachunkenntnis
I es oft tut, die ,Hochkirche' nennt (S. 25 f.), fie alfo mit der ,high
church party' gleichfetzt; wer von einem allgemeinen Gebrauch,
des Common Prayer-Book redet und in diefem ein Band fieht,
das auch die methodiftifchen Gemeinden umfchlinge (S. 12); wer
,allein in England' 57 Millionen reformierter Proteftanten zählt
(S. 27), während ganz Großbrittannien nach der Zählung vom
I 11. April 1911 nur 45370550 Einwohner hatte, von denen etwa
i 4 Millionen Römifche Katholiken gewefen fein werden, ,England
| allein' damals nur eine gezählte Bevölkerung von 36070492 Köpfen
aufwies: der weiß nicht genügend Befcheid, um Ausführungen
über die englifche Kirche, für die eine Konferenz dankbar gewefen
ift, dem Druck nicht vorenthalten zu dürfen. - Wir klagen
j mit Recht über die grandiofe Unwiffenheit der Engländer inbezug
j auf deutfehe Verhältniffe. Um fo weniger follten wir die Möglichkeit
fchaffen, daß englifche Kritik deutfchen Büchern über
' England grobe Verfehen nachweifen kann.
! Halle a. d. S. Loofs.
Tolstoi's, Leo, BriefwechTel mit der Gräfin A. A. Tolstoi 1857—
1903. Mit 2Bildniffen. (XVI, 473 S.) gr.8». München, G. Müller
1913. M. 6—; geb. M. 8-

Das Buch, als erfter Band einer /Tolstoi-Bibliothek' gedacht,
enthält außer einer kurzen Einleitung des Herausgebers Ludwig
Berndl ,Erinnerungen' der Gräfin Tolstoi (1—84) und den Brief-
wechfel. Für Tolstoi's Entwicklung, insbesondere auch feine
religiöfe, ift es ein Dokument erften Ranges. Die Gräfin ift eine
religiöfe Natur, kirchlich konfervativ, um das Seelenheil ihres
Verwandten ängftlich beforgt. Demgemäß zieht fich die Berpre-
chung gerade religiöfer Fragen wie ein roter Faden durch das
Ganze, und mit größter Ungezwuugenheit, nicht feiten mit der
Energie der Erbitterung fetzt fleh Tolstoi mit ihr auseinander.
Wie gewöhnlich, wo man eine autobiographifche Darftellung des
Seelenlebens an der Gefchichte nachprüfen kann, fo zeigt fich
auch hier, daß Tolstoi's ,Beichte' verzeichnet ift und daß religiöfe
Fragen ihn fchon früh ftark befchäftigt haben. Im Kaukafus
fchon (1851, alfo etwa 23jährig) entdeckt er, daß ,es eine Unfterb-
lichkeit gibt, daß es eine Liebe gibt und daß man für andre
leben muß, um ewig glücklich zu fein' (140). Auf gleichem Wege
fühlt er fich 1865 (S. 219), und doch dauert es noch lange, ehe
er feine definitive Anfchauung ausbildet und fchreiben kann
(1880): ,Ich habe alles (Eis), was fich als brüchig zeigte, bis zum
feiten Lande durchbrochen und fürchte mich vor nichts, weil
ich die Kraft nicht habe, das zu zerfchlagen, worauf ich flehe;
folglich ift es das Wahre' (361). ,Chriftus hat uns gelehrt, dem
Leben den Sinn zu geben, durch den es der Vernichtung im Tode
entgeht' (363). , . . ich gehe doch nicht vor das Schwurgericht,
fondern vor das Gericht Gottes. Gott aber ift die Liebe ..' (395)
Doch ich muß mit Zitieren aufhören und füge nur hinzu, daß T.
durch dielen Briefwechfel, der ihn ganz intim zeigt, nur gewinnt.

Göttingen. Titius.
Klenker, Superint. a. D. Karl: Lehre und Heilverfahren der Szien-
tiften (der fogenannten Gefundbeter), m. e. Charakterbilde der
Begründerin des Szientismus. (54 S.) 8". Leipzig, Dörffling &
Franke 1916. M. 1 —

Die volkstümlich gehaltene, manche feffelnde Einzelheit