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Ausgabe:

1917

Spalte:

171-172

Autor/Hrsg.:

Fulliquet, Georges

Titel/Untertitel:

La doctrine du second Adam 1917

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Geifte fchreibt und der Welt noch etwas zu fagen hat.
Wie fich aus dem ,Wir', in dem er häufig fpricht, und
einem Hinweis am Schluß ergibt, hat er fich bereits eine
Anzahl von Anhängern gewonnen.

Iburg. W. Thimme.

Fulliquet, George: La doctrine du second Adam. Etüde
anthropologique et christologique. (361 S.) 8°. Genf,
Kündig 1915. fr. 5 —

Der in der Überfchrift des Buchs angedeutete Grundgedanke
diefer ,anthropologifchen und chriftologifchen
Studie' läßt fich in folgenden Sätzen zufammenfaffen. Der
Schlüffel zum Verftändnis der Perfon und des Werkes Jefu
Chrifti liegt nicht in dem der jüdifchen Geifteswelt angehörenden
Meffiasbegriff, auch nicht in der der griechifchen
Spekulation entflammenden Logosvorftellung, fondern in
der Konzeption von dem zweiten Adam, die Paulus entworfen
und Irenäus wieder erneuert hat. Was jener aber
gelegentlich und im Zufammenhange mit für uns unannehmbaren
Gedanken angedeutet, was auch Irenäus in
geiftvollen aber unzureichend begründeten Anfätzen geboten
und in ein Gebilde von uns fremd gewordenen Anfchau-
ungen verwoben hat, hat die moderne Theologie wieder
aufzunehmen, indem fie die unbeftimmte Skizze zu einem
lebendigen Bilde weiter geftaltet und von dem fo gewonnenen
Zentrum aus die Anthropologie, die Theologie und die
Chriftologie einer Neubildung unterwirft. Es gilt nicht,
ein paulinifches Theologumenon fklavifch zu wiederholen,
fondern eine genialelntuition des großen Heidenapoftels den
kritifchen Erkenntniffen der modernen Zeit anzupaffen
(43). Unter diefem Gefichtspunkte erfcheint Chriftus als
,celui qui est capable par son influence historique et |
par son action spirituelle de faire des hommes nouveaux, I
celui auquel se rattache et de qui decoule une humanite
toute nouvelle' (39). Der mit den Naturwiffenfchaften
wohl vertraute und dem Evolutionismus rückhaltlos huldigende
Verfaffer will eine Hypothefe aufftellen, die den
Tatfachen derGefchichte und den Erfahrungen des Glaubens
gerechter fein foll als die überlieferte Lehre der kirchlichen
Dogmatik und die Theorien der modernen kritifchen
Schulen.

Das Buch zerfällt in zwei Teile. Der erfte handelt
von dem erften Adam (45—162); der zweite von dem
zweiten Adam (163—357). In letzterem ruht felbftverftänd-
lich der Schwerpunkt der zu löfenden Aufgabe, wogegen
der erfte Abfchnitt nur einen vorbereitenden Charakter
hat. Doch zeigt fich bereits in diefem einleitenden Teil, j
wie unficher die Grundlage der von F. ausgeführten
Konftruktion ift. Einerfeits operiert er mit dem Begriffe
Adam, als ob diefer eine gefchichtliche Perfönlichkeit
wäre (140—142); andrerfeits erblickt er in den biblifchen
Urkunden den Niederfchlag der durch die Frömmigkeit
verwendeten Erkenntniffe einer fernen, für uns keineswegs
normativen Zeit, aus welcher unfere conscience morale et [
religieuse das für fie assimilierbare Material zu entnehmen
hat; daher ift Adam nach dem Bilde der Menfchheit zu
geftalten: ift doch Adam die völlig unbekannte Größe,
während die Menfchheit uns, zum größten Teil wenigftens,
zugänglich ift (40. 87—94). Auf die Frageftellungen, die
dem Vf. am Herzen liegen, hat das Schema des erften
Adams nicht im geringften eingewirkt: ,Bis zu welchem
Grade hat Gott das Leiden, den Kampf ums Dafein, die
Sünde, die Evolution, die menfchlichen Ungleichheiten
gewollt?' (104—131). Zur Charakteriftik der hierbei befolgten
Methode mögen zwei Ausfprüche dienen, die feinen
zuweilen unficheren Gang beftimmen follen. ,11 semble I
bien que c'est toujours l'attitude laplus commode, la meil-
leure, que d'attribuer ä Dieu ce qui existe et comme cela
existe, car alors il n'y a plus de question ulterieure ä exa-
miner . . . Constater ce qui est, et par lä seulement se
laisser instruire Sur les intentions de Dieu pour parvenir
ä les comprendre, teile est l'attitude de la thcologie moderne' |

(128—129. 132). In dem pofitiven Löfungsverfuch der
aufgeworfenen Fragen begegnet fich F. im Wefentlichen
mit Reifchles Beantwortung des vom Standpunkt des
Entwicklungsgedankens behandelten anthropologifchen
Problems, ohne daß der Genfer Profeffor von dem
deutfchen Gelehrten irgendwelche Kunde gehabt hat.

Der folgende, vom zweiten Adam handelnde Teil der
FVfchen Schrift enthält einen in fünf Kapiteln gegliederten
Verfuch, der eine methodoiogifch nicht einwandfreie Synthefe
einer Skizze des Lebens Jefu und eines chriftologifchen
Entwurfes erftrebt. Chrifti Geburt, Vorbereitung auf feinen
Beruf, öffentliches Lehramt, Leiden und Sterben, Aufer-
ftehung, unterwirft der Vf. einer hiftorifchen und religiöfen
Betrachtung, die jedesmal zu dem Ergebnis führt, daß
die Hypothefe vom zweiten Adam von den unter jenen
Titeln erörterten Tatfachen am bellen Rechenfchaft gibt.
Das an fich abftrakte und leere Schema vom zweiten
Adam weiß F. mit einem konreten Inhalt auszufüllen,
indem er für den Doppelgänger des ersten Adams eine
conftitution psychologique speciale ftatuiert, wobei erdieder
modernen Religionspfychologie von James u. a. entlehnten
Begriffe conscience, subconscience,prcconscience, postcons-
cience, in ausgiebiger Weife verwendet. Die fo ausgerüftete
Hypothefe bringt F. in der Beleuchtung zahlreicher Daten
des Lebens Jefu oder der dogmatifchen Chriftologie zur
Anwendung. Bei diefer Operation bekundet der Vf.
einen ftaunenswerten Scharflinn, allein die Virtuofität,
mit welcher er aus der aufgeftellten Formel das gewünfchte
Refultat hervorzaubert, ift mehr geeignet, den übrigens
ftets gefeffelten Lefer zu verblüffen als zu überzeugen.
In der Auswahl der unter diefem Gefichtspunkt bearbeiteten
Fragen zeigt F. eine ftarke Subjektivität, die nicht
von Willkür freigefprochen werden kann: während die
Probleme von der Geburt, dem Tod und der Auferftehung
Chrifti fich ohne Schwierigkeit in den konfluierten Rahmen
einfügen laffen, fällt es dem Exegeten oder dem Dogmatiker
nicht fo leicht, Jefu Stellung zu feinen Jüngern (273) aus
der Hypothefe vom zweiten Adam dem Verftändnis näher
zu bringen.

Der Nerv der F.'fchen Chriftologie ift dem Schleier-
macher'fchen Löfungsverfuche nahe verwandt. (S. 170
L'immanencedivineest pour le second Adam plus complete,
plus puissante, plus efficace, plus persistante); vielleicht
fchwebte auch unferm Vf. Schleiermachers Vorftellung
von der in Chriftus erfchienenen neuen Schöpfung bei feiner
Accommodation an die paulinifch-irenäifche Konzeption
vor. Wie dem auch fei, die Fruchtbarkeit, welche F. dem
von ihm fo geiftvoll gehandhabten Schema zuerkennt, ift
vor allem durch die Kunft bedingt, mit welcher er dasfelbe
zu beleben und zu bereichern weiß. Doch wird auch
derjenige, der den Grundgedanken und die Frageftellung
ablehnt, in dem Buche des Intereffanten und Anregenden
genug finden; das Ringen des modernen Geiftes mit einem
oft fpröden Stoff ift nicht ohne Reiz, wenn es auch
fchließiich nicht befriedigen kann; drängt fich doch zur
Beurteilung eines folchen Unternehmens das Wort Jefu
Matth. 9,16 unwiderftehlich auf.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Kropatfcheck, Prof. D. Friedrich: Der Himmel des Chrilten.

Skizzen zu den Jenfeitsvorftellgn. in unferer apologet.
Literatur. 2. Tauf. (Biblifche Zeit- u. Streitfragen.
XI. Reihe, 1. Heft.) (30 S.) 8". Berlin-L., E. Runge
1916. M. —60

Der Verfaffer gibt feiner Schrift felbft den Untertitel
-. ,Skizzen zu den Jenfeitsvorftellungen in unferer apo-
logetifchen Literatur'. Er konnte wohl auch in dem kleinen
Heft, das alle möglichen Fragen berührt, lediglich Skizzen
geben. Das Hauptziel feiner Darlegungen ift Ablehnung
einer falfchen Art der Apologetik, °die, anftatt auf den
eigentlichen chriftlichen Kern der Sache zu gehen, fich