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Ausgabe:

1917

Spalte:

168-170

Autor/Hrsg.:

Finsler, Georg

Titel/Untertitel:

Diethelm Georg Finsler, der letzte Antistes der zürcherischen Kirche. 1. Hälfte 1917

Rezensent:

Köhler, Walther

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in Rom) zu verdanken find. Er behandelt S. 40—73 die |
Frage: Krieg oder Konzil in den vorbereitenden Unter- j
handlungen, dann S. 124—166 die Zulaffung des fächfifchen
Kurfürften zur Königswahl. Gegenüber der katholifchen
Apologetik, welche unbedingte Friedfertigkeit Karls V.
behauptete, behält Ranke mehr Recht, daß der Kaifer
die Anwendung der Gewalt fich vorgenommen habe, wenn
friediclhe Verhandlungen nicht zum Ziel führen. Mayer
nimmt an, daß 1530 noch eine wirkliche Unterwerfung
der Proteftanten, die 1546 ff. mißglückte, möglich gewefen
wäre. Im Verzicht auf kriegerifche Auseinanderfetzung
vom Standpunkt des Katholizismus und des römifch-
deutfchen Kaifertums fieht Mayer zweifellos eine verfäumte
Gelegenheit, aber legt auch die Urfachen dar, welche
Karl V. gegenüber dem Drängen Campegis und trotz
feiner eigenen Neigung zu gewaltfamem Einfehreiten am
Losfchlagen hinderten. Er war ein zu kühler Rechner,
um fich in den Dienft der ecclesia militans zu ftellen, und
war auch nicht blind für die Mängel der Kirche. Ihm
fchwebt eine kaiferliche Reform vor. Wir lernen jetzt
kennen: die Fertigkeit der Evangelifchen feit 29. Auguft,
die Bedenken der Mehrzahl der Fürften und Stände, von
denen nur Joachim von Brandenburg und Georg von
Sachfen den Krieg wollten, die Stellung des Papftes und
der Kardinäle zur Forderung des Konzils, in welcher
der Papft eine perfönliche Beleidigung und eine Gefahr
für die Kurie fieht, die Vergeblichkeit der Vermittlungen,
das Werben des Kaifers um Mittel für einen Waffengang !
und deren geringe Ergebniffe. Klemens VII. erfcheint j
als ein Mann von krankhafter Unentfchloffenheit. Des j
Kaifers Weltmacht aber fteht militärifch auf fchwachen j
Füßen.

Nicht einmal den Ausfchluß des Kurfürrten von Sachfen
von der Wahl feines Bruders Ferdinand konnte Karl V.
gegen den Widerfpruch der Fürften, die ihre Rechte
wahrten, durchfetzen. Wir tun einen Blick in die ganze
Verfchlagenheit, um nicht zu fagen: Verlogenheit der kaifer-
lichen Politik, die fchließlich die Zulaffung des Sachfen
von der Entfcheidung der Kurie abhängig machen wollte.
Der Kaifer fordert vom Papft 2 Bullen, deren eine die
Zulaffung Johanns trotz der Exkommunikation und un-
befchadet der Gültigkeit der Wahl ausfprechen follte,
während eine zweite ihn als notorifchen Ketzer von der
Wahl ausfchließen follte. Diefe follte fpäter datiert fein,
damit der Kaifer wohl den Sachfen zur Wahl laden, aber
wenn er nicht willfährig wäre, ihn ausfchließen könnte.
So doppelzüngig war ein deutfeher Kaifer! Der Papft
fertigte beide Bullen, aber mit einem Datum aus und verbot
, von beiden zugleich Gebrauch zu machen. Auf diefe
Bullen hat fich die Kurie in fpätern Jahrhunderten berufen
, um fich das Recht über Zulaffung von Ketzern
zum Kurkollegium zu wahren, das ihr der Kaifer und die
katholifchen Kurfürften tatfächlich zugeftanden hatten.
1 )ie Kurie hatte fich aber zum Werkzeug der kaiferlichen
Politik gemacht und von dem ihr zugeftandenen Recht
einen kläglichen Gebrauch gemacht. Es fehlte ihr die
Kraft der eigenen Überzeugung. Auf die Verhandlungen
des Kaifers mit den Kurfürften ufw. hier einzugehen
verbietet der Raum. Die ganze Arbeit mit den Beilagen
ift ein wertvoller Beitrag zur Gefchichte der kaiferlichen
Politik 1530 ff.

Zum Abfchluß kommt die große Arbeit von A lb recht
und Flemming über das fogenannte Manuscriptum Thomascanum
. Sie bringt S. 1—39 die Briefe Veit Dietrichs
an Baumgartner, S. 81—123 und S. 161—199 cue H. Bertolds
an Dietrich, S. 277—298 verfchiedene Stücke von
Jonas, Major, Runge etc., denen S. 299—303 P. Flemming
noch 4 Briefe G. Majors an H. Baumgartner aus dem
Brettener Melanchthonhaus anfügt. Trefflich ift die
Textbearbeitung, ftaunenswert die Erläuterung aus einer
reichen, teilweife entlegenen Literatur, groß der Gewinn
für die Gefchichte der Reformation, der Wittenberger Uni-
verfität, Luthers und feiner Freunde, vor allem Nürnbergs,

beklagenswert das Gefchick des Baumgartner'fchen Familienarchivs
, das für die Gefchichte einen fchweren Verluft
bedeutet.

Die Forfchung z. B. nach unbekannten Briefen von und an Luther
und Melanchthon und nach Fiugfchriften und Werken, z. B. die Loci
comrauncs ex veteribus Graecis theologis Zürich, 1546, nach dem Bericht
von Milichius über die Wittenberger Konkordie und Befolds Nachfchrift
der Tifchreden ift neu angeregt. Luther predigt März 1529 22mal.
Markgraf Georg befucht Luther auf dem Weg nach Schlefien. Luthers
Edelfinn zeigt fich beim Tod Ecks, ebenfo gegenüber von Schmähungen,
deren wohl 300 Schiffslaflen über ihn ergangen find, weil die Gegner
nichts anderes vorzubringen wiffen als Lügen. S. 96 ift ,zornig und
bitter' (für cum molestia) zu Mark. Die Urfache des Unwillens follte angegeben
fein. Schön find Luthers letzte Worte auf dem Katheder S. 177.
Joh. Albert S. 35 ift wohl der Diakonus, fpäter Pfarrer in Wcißenbutg
BBKG 6,281. 18,97. Wafferburg, wo Mich Keller Pfarrer gewefen war,
die Heimat Reifchachers S. 94, ift wohl am Inn LG Traunftein, wo in
der ganzen Umgegend Evangelifche fich fanden. S. 108 Gibbosus ift
wohl ein Nürnberger Student Buckel. S. 185 Anm. lies Neuburg ftatt Neu-
fladt vgl. S. 189. S. 195 Maclinij heißt wohl zu Mecheln (bei öfterley
Machlinia). Zu Lucius vgl. Lippert, Ref. der Oberpfalz S. 63, 126.

W. Köhler fährt in der Veröffentlichung von Stücken
des Codex Suevo Hallensis fort. Diesmal führen fie in die
Verhandlungen der Wittenberger Theologen und Juriften
über das Widerftandsrecht gegen den Kaifer 1531, das
K. Müller in feiner Abhandlung .Luthers Äußerungen
über das Recht des bewaffneten Widerftands gegen den
Kaifer' Münchner Sitz. Ben 1915, 8 in gründlichfter
Weife behandelt hat.

Das Rechtsgutachten bei Müller S. 901!. gibt einen belferen Text
als der Köhlers S. 232, der kleine Auslaffungen zeigt und falfch liest,
z B. S. 232 Z. 14 Lex ftatt Textus, S. 233 Z. 8 impudiciam ftatt im-
prudenciam. Dagegen ift die überfchrift wertvoll: Ad proximam diem
Sabbathi apud Melchiorem Kling hora 12, was nach den Tifchreden wohl
in die Zeit des 11. oder 18. Nov. führt. Der LTfprung der beiden andern
Stücke ift noch dunkel.

Referent hat nachgewiefen, daß gegenüber allen bisherigen
Darftellungen der Frankfurter Reformationsge-
fchichte, auch der neueften von Dechent und Enders in
Luthers Briefwechfel, die Annahme der Wiedereinführung
der Meffe in Frankfurt im November 1535 trotz der von
Referent in der Feftfchrift für A. Hauck behandelten Gutachten
von Brenz und Ad. Krafft nach der Lage der
Dinge und auch nach den gleichzeitigen Frankfurter Chroniken
und den Antiquitates von Joh. Latomus ein Ding
der Unmöglichkeit ift. Vielmehr ift fie in der Bartholomäuskirche
erft nach der Neuweihe durch M. Heiding
im Okt. 1548 wieder eingeführt worden. Amecke teilt
einen Augsburger Privatbrief vom Frühjahr 1528 mit, der
die Zerriffenheit der Geifter aufs deutlichfte widerfpiegelt.

Sehr willkommen find die Berichte über Neuerfchei-
nungen und befonders die eingehende Befprechung von
Scheels Lutherwerk.

Stuttgart. Guftav Boffert.

Finster, Rekt. Georg: Diethelm Georg Finsler, der letzte
Antiftes der zürcher. Kirche. 1. Hälfte. (116. Neujahrsblatt
der zürcher. Hülfsgefellfchaft auf d. J. 1916.)
(93 S. m. Abb. u. 1 Bildnis.) gr. 8°. Zürich, Beer &
Cie. 1916. M. 2.50

Diefes Züricher Neujahrsblatt ift eine außerordentlich
intereffante und lehrreiche Schrift, der wir einen möglichft
großen Leferkreis, gerade auch jenfeits der Schweizergrenze
, wünfehen möchten. Es ift letztlich ein kurzer
Abriß der theologifchen und kirchlichen Entwicklung
im Kanton Zürich innerhalb des 19. Jahrhunderts, gruppiert
und konzentriert um die Perfönlichkeit des fpäteren
Züricher Antiftes, der fie felbft entfeheidend beftimmt hat;
die Entwicklung ftand aber damals in viel lebhafterer Fühlung
mit der deutfehen Theologie, als es leider gegenwärtig
der Fall ift, fo daß auch die Gefchichte der deutfehen
Theologie hier Illuftration empfängt. Diethelm
Georg Finsler, der Urenkel Lavaters (der Sohn Finslers,
derzeitig Großmünfterpfarrer in Zürich, bewahrt noch viele
Andenken an den berühmten Vorfahren), hat entfeheidende
Eindrücke von Nitzfeh in Bonn empfangen, neben denen