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Ausgabe:

1916

Spalte:

155-156

Autor/Hrsg.:

Liebert, Arthur

Titel/Untertitel:

Das Problem der Geltung 1916

Rezensent:

Dorner, August

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 7.

156

mehrfach hervorgetreten. Den Theologen intereffiert
natürlich befonders, was er über die Stellung des Papft-
tums fagt. ,Ein gewiffes Minimum weltlicher Macht' müffe
der Papft haben, um als Friedensfürft zu wirken; zur Frage
einer Wiederaufrichtung des Kirchenftaats aber will W. in
keiner Weife Stellung nehmen (8/9). Dann müßte er freilich
zeigen, wie er fich eine weltliche Macht des Papftes
ohne Kirchenftaat denkt. Das tut er nicht; fo ift das
Problem eben nur geftellt, nicht gelöft. Ich deute die
Fragen nur an, die fich hier erheben: entweder doch
Wiedererrichtung eines Kirchenftaats von nennenswertem
Umfang — foll dann der Papft diefen mit einem Parlament
regieren? Oder Zwergftaat ohne Militärmacht —
gibt der die erwünfchte Sicherheit? Internationale Garantie
feiner Neutralität ift zwar denkbar, hat aber zur Voraus-
fetzung die Einigkeit der Mächte, die im Kriegsfalle ja
gerade wegfällt. Vor allem: werden die Römer wieder
den Papft als weltlichen Pierrfcher ertragen? Daß /evolutionäre
und kirchenfeindliche Elemente in Rom die Oberhand
gewinnen' (37), ift nicht bloß unter der Herrfchaft
Italiens möglich, fondern auch unter der der Päpfte mehrfach
gefchehen! Und kann das Papfttum wirklich neutral
fein, wenn der Papft immer ein Italiener ift? Gefchicht-
lich ift dies beides, daß die Päpfte der letzten vier Jahrhunderte
Italiener waren, und daß Italien bis 1860 politifch
machtlos war, nicht ohne Zufammenhang. Daß Italien
zur einheitlichen Macht wurde, ändert die Sache. Wehberg
meint denn auch, bei internationaler Garantie für
die Neutralität des Papfttums hätte vereinbart werden
können, es füllten möglichft aus allen chriftlichen Völkern
Päpfte gewählt werden (36). Der Gedanke ift fehr begreiflich
, aber man male fich die Konfequenzen aus, die er
im gegenwärtigen Krieg hätte haben können! Ich erkenne
durchaus an, daß es dem Katholiken, wie er ein unfehlbares
Lehramt kennt, nahe liegt, auch einen höchften
Völkerrichter zu wünfchen; der Proteftant empfindet anders.
Damit ift über die Stellung, die er zur Friedensbewegung
im einzelnen einnimmt, noch nichts gefagt. Aber wir
glauben, gerade jetzt befonders deutlich zu fehen, daß der
Gedanke eines Statthalters Gottes auf diefer Erde, wenn
das Reich diefes Statthalters doch irgendwie von diefer
Welt fein will, in fich widerfpruchsvoll ift.

S. 18 Z. 3 v. u. muß es flatt Berlin wohl Bern heißen. S. 91: daß
Eerdmans im niederländifchen Parlament als .Vertreter des Evangelifchen
Bundes' gefprochen habe, ift mindeftens ungenau; der deutfche Leier
denkt dabei an den bei uns bekannten Ev. B., der aber auf Deutfchland
befchränkt ift. S. 43 Z. 7 ft. Schleicher U Scheicher.

Berlin. H. Mulert.

Liebert, Arthur: Das Problem der Geltung. (Kantftudien
Nr. 32.) (VI, 262 S.) gr. 8°. Berlin, Reuther & Reichard
1914. M. 8 —

Diefe Schrift beabfichtigt für den Kantifchen Kritizismus
eine Lanze zu brechen, und denfelben zuerft fylte-
matifch, dann hiftorifch in der Philofophie der Gegenwart
feftzuftellen. Man kann nicht gerade fagen, daß der Begriff
der Geltung von ihm klar definiert würde, wenn er fagt:
Statt Geltung könne man auch ,Sein, Wert, Gehalt, Bedeutung
, Rechtfertigung, Begründung, Grundlegung' fetzen.
Was er nachzuweifen unternimmt, ift die autonome Geltung
des Logifchen, der Kategorien, der Idee des zufammen-
hängenden Syftems, kurz die Geltung des Denkens. Weder
das Erlebnis, noch der utilitarifche Pragmatismus, noch
irgendwelche pfychologifcheForfchungkann die Autonomie

begriff lieh umgeftaltet und dem Zufammenhangdes Denkens,
dem Syftem eingeordnet. Wenn man gemeint hat, die
Gefchichte könne nicht fo eingeordnet werden, weil der
Begriff das Einzelne, das Individuelle nicht erreiche, fo
erwidert er, daß jede Einzeltatfache, wenn fie gedacht
werde, logifchen Charakter annehme, daß auch das Einzelne
zum Begriff erhoben und dann in den Zufammenhang
hineingeftellt werde.

Gewiß ift es verdienftlich, daß Liebert gegenüber
dem Pragmatismus und Pfychologismus des Erlebens auf
die Bedeutung der Erkenntnis und der Autonomie der-
felben hinweift, daß, um Wahrheit feftzuftellen, der Maß-
ftab der logifchen Methode anzuwenden ift, daß es nicht
einen Erfatz des logifchen Erkennens durch das Erleben
gibt, das immer des allgemeingültigen Charakters entbehrt
und erft durch das Erheben des Erlebens in den
Begriff zu einer allgemein anerkannten Tatfache wird.
Allein wenn er nun bei dem rein kritifchen Standpunkt
ftehen bleibt und die Metaphyfik ablehnt, fo fchießt er
über das Ziel hinaus. Die Metaphyfik ift nicht hypofta-
fierte Pfychologie. Der Begriff des Seins ift nicht bloß
gedachtes Sein, das für Sein gilt, über deffen Exiftenz
wir nichts wiffen. Der Begriff der Objektivität ift nicht
bloß gedachte Objektivität, Allgemeingültigkeit. Liebert
überhebt, daß unfer Denken felbft Kategorien hat, welche
die Realität enthalten und die gar keinen Sinn haben,
wenn fie nicht den Gedanken in fich fchließen, daß das
unter diefen Kategorien Gedachte real fei, fubftanziell,
kaufal, zweckmäßig fei. Kants Kritizismus ift total fub-
jektiv; er unterfucht nur die Erkenntnisvermögen, die
Mittel mit denen das Subjekt erkennt. Ihm fcheint Metaphyfik
unmöglich, weil uns zu den Begriffen die An-
fchauung fehlt und die Begriffe bloß formale Verknüpfungsformen
find, und doch behauptet er, daß wir notwendig
die Vernunftidee Gottes bilden — alfo notwendig die
kritifche Grenze überfchreiten. Man kann nicht fagen, daß
die metaphyfifche Idee das Abfoluten nur eine pfycho-
logifche Hypoftafierung fei. Sie ift gerade im Intereffe
der Einheit, des Syftems eine notwendige Idee, deren
Realität das Denken anerkennen muß. Denn der Gottesgedanke
ift, wenn er nur Gedanke bleibt, voller Wider-
fpruch. Die Autonomie des Denkens fordert gerade, daß
das notwendig Gedachte, das notwendig als real gedacht
wird, auch Wahrheit fei, nicht bloß Gedanke, der eben-
fogut eine Dichtung wie Wahrheit fein kann. Der Kan-
tifche Kritizismus will ein zufammenhängendes Syftem
und bleibt doch im Anlauf flecken, da diefes Syftem
nie voll erreicht wird und nicht einmal eine Garantie für
die Erreichbarkeit geboten wird.

In dem hiftorifchen Teil will er durch ,Beifpiele von
typifcher Bedeutung den fchrittweifen Aufbau der rein
logifchen Geltungsfphäre und die allmähliche aber mit
voller Sicherheit erfolgende Einficht in ihre Autonomie'
darfteilen. Kant wird als Ahnherr diefes Gedankens dar-
geftellt — freilich einfeitig — es folgen Bolzano, Hufferl,
Lotze, dann Rickert, Windelband, die noch den Inhalt der
Geltungsirrationalität zuweifen und die logifche Geltungsfphäre
nur auf die Form der Erkenntnis beziehen, während
er am eingehendften, wie begreiflich, bei der Marburger
Schule ftehen bleibt.

Königsberg i. Pr. Dorn er.

Schaeder, Prof. D. theol. Erich: Theozentrifche Theologie.

Eine Unterfuchg. zur dogmat. Prinzipienlehre. 2., fyftemat.

*f™ fCn ffT{ch"tte™> dle allein fach dem logifchen Tl (VIII, 324 S.) gr. 8». Leipzig, A. Deichert Nachf.

Maßftab zu meffen ift. Er opponiert auf das fcharffte ™<o ka/tq

der Hypoftafierung pfychologifcher Vorgänge, aller Me- 19141 M- Seb- M- 8 —

taphyfik, die ihm hypoftafierte Pfychologie ift. Nach Auf den 1909 erfchienenen elften (gefchichtlichen)

feiner Meinung wird das ganze Gebiet des Wiffens den Teil feines Werkes über ,Theozentrifche Theologie' (vgl.
Gefetzen des logifchen Denkens unterftellt. Auch das j Theol. Litzeitg. 1909, Nr. 24) läßt Schaeder 1914 den dem

Irrationale, das Leben und Erleben, die Empfindung, kurz fyftematifchen Aufbau feiner Gedanken gewidmeten Teil

alles nicht Logifche ift Material des Denkens und wird folgen. Die in der erften Hälfte des Buchs gegebene