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Ausgabe:

1916 Nr. 6

Spalte:

137-138

Autor/Hrsg.:

Sallwürk, Ernst von

Titel/Untertitel:

Die Schule des Willens als Grundlage der gesamten Erziehung 1916

Rezensent:

Knoke, Karl

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137

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 6.

138

keit zeigte. Aber vielleicht hat fich der Vf. das für eine
größere Veröffentlichung vorbehalten.

Lauenburg. Schmidt.

Sallwürk, Dr. Ernft v.: Die Schule des Willens als Grundlage
der gefamten Erziehung. (VIII, 546 S.) gr. 8°.
Langenfalza, H. Beyer & Söhne 1915. M. 10 —

Ernft v. Sallwürk gehört ohne Zweifel zu den bedeu-
tendften pädagogifchen Schriftftellern der Gegenwart.
Als Ertrag feiner Studien hat er eine Reihe von Schriften
und Auffätzen aus dem Gebiete der Pädagogik veröffentlicht
, die einen bleibenden Wert befitzen. Ich nenne feine
größeren Arbeiten über Locke, Fenelon, Diefterweg und
Rouffeau und feine kleineren Artikel über Bacon, Bardt,
Bafedow, Campe, Gesner und Montaigne, die in Reins
Enzyklopädifchem Handbuch erfchienen find. Daneben
find von ihm mehrere theoretifch-pädagogifche Unter-
fuchungen bekannt gegeben, z. B. die Brofchüren über
das Recht der Schulaufficht, über Divinität und Moralität
in der Erziehung, fowie die Bücher .Prinzipien und Methoden
der Erziehung'und ,die didaktifchen Normalformen'.
Von dem letzteren liegt feit 1912 eine 5. und 6. Auflage
vor. Diefen theoretifchen Arbeiten reiht fich Sallwürks
neueftes Werk über die .Schule des Willens' an, das eine
feit einiger Zeit fehr aktuell gewordene pädagogifche
Frage eingehend und bis zu einem gewiffen Grade er-
fchöpfend behandelt. In einem 1. Teile fpricht der Ver-
faffer über .Wille und Welt' und erörtert dort die .Lehre
der Gefchichte', ,der Dichter' und ,der Umgebung'; in
einem 2. Teile behandelt er ,das Willensleben' und erörtert
in ihm ,die Pfychologie des Willens', .Hemmniffe und
Förderungen' derfelben fowie das Thema /Temperament
und Charakter'. Der 3. Teil befchäftigt fich mit dem
.Willen als Weltgeftaltung'. Hier wird gefprochen vom
.Willen und Denken', von ,den großen Erfüllungen', als
welche ,die Wiffenfchaft', ,die Kunft' und ,die Religion'
befchrieben werden, und von dem ,Berufe des menfchlichen
Lebens'. Der 4. Teil endlich befchäftigt fich mit der
Unterfuchung über das ,Erziehungswefen'; fie erftreckt
fich auf ,die Hauserziehung', ,die Schulerziehung' und ,die
Volkserziehung'. In diefem letzten Abfchnitt vereinigt
der Verfaffer feine Anflehten über Hochfchulen, Schul-
lehrerfeminare, Privatfchulen, Fortbildungsfchulen, Jugendpflege
u. a.

Schon diefe Überfchriften laffen erkennen, wie reich
der Inhalt der vorliegenden Schrift ift. Auf ihn im einzelnen
einzugehen, verbietet die Aufgabe einer theologi-
fchen Zeitfchrift. Ich befchränke mich auf ein Zwiefaches
in meiner Anzeige. 1) Der Verfaffer hat kaum eine der
vielen pädagogifchen Fragen unbeachtet gelaffen, welche
in der Gegenwart von berufenen und unberufenen Kritikern
und Ratgebern mit Leidenfchaft und oft bis zum
Überdruß erörtert werden. Die Stellung, die er zu den
meiften diefer Fragen einnimmt, ift eine durchaus abwägend
verftändige; man fleht unfehwer, daß fie durch offenen
Sinn für die fortfehreitenden Anforderungen der Kultur
der Gegenwart, wie durch eine auf fcharfer Beobachtung
und Erwägung fich ftützende Erfahrung begründet ift.
Es gilt das z. B. von den Fragen über fexuelle Aufklärung
(S. 185. 398), über Handfertigkeit (S. 176) und
Arbeitsfchule (S. 473), über die fogen. Bürgerkunde
(S. 186), über Koedukation (S. 494), über Studienanftal-
ten für Mädchen, Frauenfchule (S. 496), Univerfitäts-
ftudium der Frauen (S. 513), über das fogen. Reformgym-
nafium (S. 492), die .nationale Einheitsfchule' (S. 435), die
Jugendpflege (S. 534), die .Wanderfchule' (S. 536), die
.Fortbildungfchule' (S. 537), über .Landerziehungsheim'
und die Wickersdorfer .freie Schulgemeinde' (S. 526) u.
a. m. Auch wer im einzelnen mit den dabei vom Verfaffer
ausgefprochenen Anflehten nicht übereinftimmt, wird
aus ihnen gern Anlaß zur Nachprüfung feiner eigenen
Auffaffung nehmen. 2) Unzulänglich halte ich den Anteil
, den S. dem religiöfen Faktor in der Erziehung der
Jugend zumißt. In feinem Auffatze über den Bildungswert
der einzelnen Lehrfächer'(Reins Enzyklopädie i.Aufl.
I, S. 425—433) fagt er noch: ,die Religion muß ihre Stelle
über allen anderen Lehrfächern der fachlichen wie der
ethifchen Bildung haben'; in dem vorliegenden Buche fucht
man vergebens nach einer Beftätigung diefes Gedankens.
Nicht als ob S. es hier verfäumt hätte, die Bedeutung der
Religion für die Erziehung der Jugend zu berückfichtigen.
Er fpricht von ihr S. 319fr ziemlich ausführlich und kommt
auch fonft auf fie zurück. Aber er verfieht es darin, daß
er, wie er fich S. 446 ausdrückt, ,im erziehlichen Unterricht
die Religion nicht als Erkenntnis, fondern als Anregung
des Gefühls im Sinne der Gotteskindfchaft und
der allgemeinen Menfchenliebe' gepflegt wiffen will. Er
überfieht, daß der Unterricht immer zuerft auf Vermittlung
einer Erkenntnis zielt, und daß das von ihm charakte-
rifierte Gefühl doch nicht ohne entfprechende Erkenntnis
von Gott und Menfchen zuftande kommen kann. S. hat
fich nach diefer Seite hin die Möglichkeit, zu einem richtigeren
Urteil zu gelangen, dadurch verbaut, daß er in
fcharfer Polemik gegen Dörpfeld (S. 389) die Kirche nicht
neben der Familie, der bürgerlichen Gemeinde und dem
Staate als .Schulintereffenten' anerkennen will. Damit
hängt es zulammen, daß er S. 511 das Urteil ausfpricht':
,Vor fehr langer Zeit hat fich die Pädagogik als Gaft bei
der Theologie eingefunden, und das ift ihr fchlecht bekommen
'. Durch die Schuld der Theologen ift die Pädagogik
,eine zwar recht umftändliche, aber doch inhaltsarme
Disziplin geworden, die jedesmal erft dann einen
größeren Zug angenommen hat, wenn ihr von einem denkenden
und das Kulturbedürfnis feiner Zeit empfindenden
Manne, wie Locke, Rouffeau, Peftalozzi, ein höherer Standpunkt
angewiefen wurde' (S. 512). Ein Hiftoriker, der fich
der Objektivität befleißigt, wird fchwerlich fo urteilen
können. Ebenfowenig darf man dem Theologen aber auch
das Recht abfprechen, darauf aufmerkfam zu machen, daß
nicht dem Staate, wie man neuerdings vielfach behauptet,
fondern der Kirche Recht und Pflicht der religiöfen Unter-
weifung und Erziehung zuftehen, es fei denn, daß man
als Ertrag derfelben ähnlich wie S. die .Toleranz' (S. 322.
523) erftrebt, wobei das, was die Alten als ,der Seelen
Seligkeit' bezeichneten, nicht in Anfatz gebracht ift und
nicht bedacht wird, daß es auf proteftantifcher Seite auch
eine Form der Toleranz geben kann, welche der römifchen
Propaganda die Wege ebnet. — Obwohl fomit von theo-
logifcher Seite Bedenken gegen die zuletzt angeführte
Stellung des Vertäffers erhoben werden müffen, kann doch
feine Arbeit über ,die Schule des Willens' wegen ihres
reichen, auch die neuefte pädagogifche Literatur ausgiebig
benutzenden Inhaltes allen pädagogifch Intereffierten an-

§elegentlichft empfohlen werden. Sie werden aus ihrem
tudium die reichfte Belehrung und Anregung gewinnen
können.

Göttingen. K. Knoke.

Fankhauler, Gottfried: Die biblifche Gefchichte in Sonntags-
ichule und Religionsltunde. Eine Wegleitg. f. den Unterricht
m. vielen Lehrbeifpielen. 3. Aufl. 6.—8. Taufend.
(VIII, 365 S.) kl. 8°. Bafel, Kober 1915.

M- 3 —; geb. M. 3.60
Das Werk ift für den Unterricht beftimmt mit der
Vorausfetzung, daß die Religionsltunde (in der Schule)
und die Unterweifung in der Sonntagsfchule den gleichen
Zweck und das gleiche Ziel haben, fo daß beide nach
der gleichen Methode zu erteilen find. Demgemäß wird
jede Religionsltunde zur unterrichtlichen Erbauungsftunde
und jede Verfammlung der Sonntagsfchule zu einer erbaulichen
Unterrichtsftunde. Scharfe Grenzlinien zwifchen
beiden gibt es nicht, und noch weniger ift die Sonntagsfchule
vom Kindergottesdienft abgegrenzt.