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Ausgabe:

1916

Spalte:

136-137

Autor/Hrsg.:

Rendtorff, Franz

Titel/Untertitel:

Schweden und die schwedische Kirche zur Kriegszeit 1916

Rezensent:

Schmidt, Reinhold

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 6.

136

werden. Natürlich weiß ich, daß Luther für jedes ,Stück'
gleich zuverfichtlich und rückfichtslos eingetreten wäre.
Aber das war ihm, foweit hiftorifches Denken und Urteilen
in Betracht kommt, eine fehr leichte, vielmehr
felbftverftändliche Sache. Umgekehrt ift mehr als eines
der ,Stücke', die das Apoftolikum von Jefus benennt, für
Menfchen der Gegenwart hiftorifch zum minderten ein
Problem. In unferer Zeit heißt es einem den Glauben
erfchweren, nicht erleichtern, das Herz vielleicht fo bange
machen, daß es verzagt, wenn man ihm alle Einzelheiten
des Apoftolikums neben einander, wie wenn fie alle die
gleiche Tragweite und ,Glaublichkeit' hätten, vorführt.
Was Laible im Sinne hatte und wofür er die Zuftimmung
fovieler trefflicher Lutheraner unferer Tage gefunden hat,
ift gewiß ein Ausdruck treuefter Sorge um den evange-
lifchen Heilsglauben. Aber ich fürchte, diefe Apologie
des Apoftolikums wird manchen nicht fowohl freudiger,
als fcheuer machen, es im Geilte mitzufprechen, mit zu
,bekennen', wenn er es in der Liturgie oder fonft hört.
Denn die .Beweisführung' für die Einzelheiten desfelben
ift nicht überall gleich überzeugend oder glaubenftärkend,
kann es gar nicht fein. Alfo es ift nicht richtig, für
alles im Apoftolikum gleich fehr zu werben. Dies ,gleich
fehr' ift es, was ich beanftande. Die Jungfrauengeburt
des Herrn und feine Auferftehung bedeuten doch nicht
dasfelbe für den Glauben. Jene kann man vielleicht
,retten', diefe drängt fich demjenigen, der vor das rechte
Gefamtbild des Herrn geftellt wird, als der Schlußftein
des Ganzen an ihm, das was den Akkord erft volltönend
und rein macht, auf. Unfere chriftlichen Fefte d. h.
unfere evangelifch-kirchlichen Fefte laffen fich an Geburt
, Sterben und Erhöhung des Herrn genügen. Aber
das Weihnachtsevangelium betrifft nicht die Jungfrauengeburt
. Auch die Weihnachtsepiftel nicht. Am Char-
freitag fpielt keine Lefung auf die Hadesfahrt an. Das
offenbart ein feines Gefühl der Kirche. Will man es mit
dem Hinweis auf die Fefte religiös rechtfertigen, daß
das Apoftolikum die Einzelheiten aus der Gefchichte Jefu,
die es bietet, als folche kennzeichne (denn das tut T
durch feinen Stil), fo ließe fich das noch am eheften
hören. Es gefchieht in diefem Buche doch nicht. Und
es wäre auch letztlich eine Mißdeutung des Charakters
unferer Herrenfefte!

Die Auffätze find, wie folgt, verteilt. Voran fleht ,Zur Einleitung'
eine allgemeine hiftorifche Orientierung von Bonwetfch. Der Auffitz,
der die Überfchrift hat ,Was ift uns das Apoftolikum i' ift fo befonnen,
fachkundig und warmherzig, wie man es von feinem Verfaffer erwarten
darf. Nun folgt zuerft von Theodor Kaftan eine Beleuchtung der
Worte ,Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater'. In diefem Auffatz
allein wird das trinitarifche Problem als folches geftreift, nicht einmal in
befonderer Hinweifung darauf. Ich finde es mit das wertvollfte in dem
ganzen Werke, daß es fich forgfältig von aller rein dogmatifchen Behandlung
der chriftlichen Gedanken fern hält. Wie Kaftan von Gott als
dem ,Vater' im Verhältnis zum ,Sohne' und ,Geilte' fpricht, ift tadellos, fo
wie es wirklich dem chriftlichen Glauben entfpricht und für ihn unerläßlich
iftl Von Dunkmann wird der Artikel ,Schöpfer Himmels und der Erde'
behandelt, finnig und mit Empfindung für die Großartigkeit des Gedankens.
Joh. Haußleiter fpricht über ,Ich glaube an Jefum Chriftum, Gottes
eingeborenen Sohn, unfern Herrn'; ich erhebe keine Einwendung, denn
es ift wirkliches Glaubensverftänduis des ,Sohnes Gottes', das H. entwickelt
; es wäre dankenswert gewefen, wenn das .eingeboren', das doch
nicht die fprachlich richtige Überfetzung von /j.ovoyevr/<; ift, in das ent-
fprechende Licht geftellt wäre. Richard Grützmacher (Erlangen) hat
das .Empfangen vom heiligen Geilte ufw.' behandelt, ich meine, nicht
mit dem Verftändnis für den hiftorifchen Stil der beiden Erzählungen,
das nötig ift, um das .Tatfächliche' zu würdigen; ich halte dafür, daß
hier eine Legende vorliegt, wobei ich betone, daß ich im Prinzip den
Wundergedanken ohne allen Abzug als ein Moment am Chriftenglauben
fefthalte. P. Althaus, Ihmels, Schlatter, Wohlenberg beleuchten
die weiteren Artikel des chriftologifchen Teils; ihre Namen verbürgen es,
daß fie nicht an der Oberfläche haften. Die vier letzten Artikel: Geilt,
Kirche, Sündenvergebung, Fleifchesauferftehung find von Ph. Bachmann,
W. Walther, Emil Weber, Bornhäufer beleuchtet; ich habe alles,
was fie fagen, mit der Empfindung gelefen, daß ich mich religiös kaum
anders ausfprechen würde, wenn ich Veranlaffung hätte, darüber zu reden.
Mit dem Ausdrucke carnis resurrectionem kann auch Bornhäufer fich
nur abfinden, und er entfpricht doch auch wirklich dem N. T. nicht; was
B. aus ihm mit Recht entnimmt, ift daß der Glaube an ein ewiges
Leben in Verbindung und Vergleich zu bringen ift mit dem an die Auferftehung
des Herrn.

Charakteriftifch für die Form alier Abhandlungen
ift, daß fie zwar nicht wie Predigten, aber wie geiftliche
Anfprachen erfcheinen. Daß die Formel, die beleuchtet
wird, eine Gefchichte hinter fich hat, nicht ohne viele
Wenn und Aber zu Stande und Anfehen gekommen ift,
jedenfalls ihrem unmittelbaren Sinne nach nicht .unzeitlich
' vorgeftellt werden darf, erfährt man zwar bis zu
einem gewiffen Maße aus dem Eingangsauffatze von Bonwetfch
, bei den einzelnen Artikeln aber höchftens einmal
andeutend. Nun follen die Auffätze ja auch nicht der
Zunft der Gelehrten, fondern der fchlichten frommen
Gemeinde dienen, fie, die von dem Streite um das ihr
liebe und werte Bekenntnis, auf das fie fich auch durch
die Konfirmation verpflichtet fühlt, beunruhigt ift, ihrer
Beforgtheit erledigen. Ich könnte mir denken, daß ihr,
jedenfalls den wirklichen Gebildeten in ihr, doch auch
dadurch ein Dienft gefchehen wäre, wenn man fie ernft-
j licher über die .Zeitlichkeit' wenigftens der Ausdrucks-
] weife von T unterrichtet hätte. Aber ich will noch einmal
hervorheben, daß, wenn denn gefprochen werden
follte, als ob T in ewig gültiger Rede den Glauben .ausdrücke
', alle Autoren, wenn auch abgeftuft, verftanden
haben, ihm evangelifche Klänge abzugewinnen. Sowie
das Inftrument ihrer Rede nun einmal .geftimmt' ift, wirkt
es eigentlich ftilwidrig, wenn einige doch hie und da
gelehrte Anmerkungen nicht unterdrücken mochten.

Halle a. S. F. Kattenbufch.

Rendtorff, Prof. D. Franz: Schweden und die fchwedifche
Kirche zur Kriegszeit. Ein Reifebericht, nebft e. Rede
über Guftav Adolfs Gedächtnis in Deutfchland. (24 S. m.
1 Abbildg.) 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1915. M. — 75

Vf. war Gaft bei der Weihe des Profeffors Söderblom
zum Erzbifchof in Uppfala. Bei diefer Gelegenheit wurde
ein vierter Guftav-Adolfverein für Schweden in jener Stadt
gegründet. Vf. fchildert diefe beiden Feiern und läßt uns
mitempfinden, wie ftark die Eigenart des kirchlichen Lebens
in Schweden ift. Scheinbar ftark katholifche Tradition,
in Wirklichkeit alte Formen erfüllt von evangelifchem
Geift, und nicht nur alte Formen, fondern Formen, die

j noch heute weithin als nationaler Reichtum empfunden
werden. Der Nationalgeift dort ift aber nicht phäaken-

j haft felbftzufrieden, fondern hat fich hohe kulturelle Ziele
gefteckt und die bewußte Erweiterung des Guftav-Adolf-

l werks mitten in der Kriegszeit ift nicht nur ein Zeichen

j fchwedifcher Sympathie für Deutfchland, fondern zugleich
der Ausdruck dafür, daß die Zukunft der Kirche Schwedens
nicht unter dem Zeichen genügfamer Selbftbefchränkung
ftehen foll.

Der Vf. konnte keine beffere Situation wählen, um
j diefe Seiten des kirchlichen Lebens in Schweden plaftifch
j herauszuarbeiten. Es hätte fich aber doch wohl gelohnt,
auch noch einige andere Seiten der gegenwärtigen Situa-
< tion dort zu beleuchten. Soweit ich nach Zeitungen urteilen
kann, macht Schweden jetzt eine ähnliche Krifis durch,
wie Deutfchland bei Einführung der Zivilehe. Die Kämpfe
verlaufen ruhiger, aber die Tendenz, eine fcharfe Scheidung
des Nationalen und Kirchlichen herbeizuführen, ift
! namentlich in der Sozialdemokratie ungemein ftark organi-
fiert. Dazu kommt, daß das Nationale felbft durch einen
j gefchichtslofen wefteuropäifchen Radikalismus fehr ftark
. angefeindet wird, und daß es dabei auch kirchliche Kreife
gibt, die z. B. die antimilitariftifche Agitation angefichts des
Weltkrieges betreiben, wie denn auch einer der Führer der
radikalen Jungfozialiften ein Pfarrer der Staatskirche ift.

Es ift natürlich fchwer, fich aus Zeitungen einen Begriff
von der Tragweite folcher Strömungen zu machen.
Da wäre es eben höchft wertvoll, wenn ein fo kundiger
Beobachter, der zugleich eine Fülle führender Perfönlich-
keiten zu treffen Gelegenheit hat, uns ein Bild gäbe, das
die gegenwärtige Situation in ihrer ganzen Mannigfaltig-