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Ausgabe:

1916 Nr. 6

Spalte:

131

Autor/Hrsg.:

Hansjakob, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Toleranz und die Intoleranz der katholischen Kirche. 6 Vorträge. 3. u. 4. Aufl 1916

Rezensent:

Mulert, Hermann

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Seite 1

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131 Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 6. 132

ift Luther durchaus fremd; darum liegen auch zwifchen ; in der Marburger mathematifchen Fällung, das Prinzip des
Leffing und Luther Welten (gegen S. 83), nicht minder formallogifchen Monismus, der nur das aus der Einheit des
zwifchen dem Kirchenliede ,Nun freut euch, liebe Chriften 1 allgemeinen Gefetzes Begriffene als Wirklichkeit und Ergemein
' und Schillers Jubelhymne: , Freude, ichöner Götter- fahrung anerkennt, jede andere Erfahrungskonftituierung
funke, Tochter aus Elyfium', die S. 92 zur Einheit ver- dagegen leugnet. Freilich ift auch für den Verf. ein
fchmolzen werden. folcher Monismus eine unendliche, nie voll realifierbare Auf-

Das von Th. behandelte Problem ift außerordentlich gäbe; aber, wie diefer Rationalismus dem Ideal der Mathe-
fchwierig, und alle zu befriedigen fchier unmöglich. Aber j matik entspricht, fo wäre jede etwa nicht bloß faktifche
eine feinere Abtönung und eine fchärfere Unterfcheidung i Unerreichtheit, fondern prinzipielle Beftreitung des Grund-
zwifchen direkter und indirekter Wirkung Luthers, als er ' fatzes ein Anzeichen unvvifienfchaftlichen Geiftes, logifcher
fie bietet, ift ficher von Nöten. j Unzulänglichkeit. Die Grundlegung jedes folchen Syftems

Zürich. Walther Köhler. S^.*",*1' In dem mathematifch-meclianifchen Natur-

begriff als Erzeugnis des Denkens. An die Analogie
---I diefer Methode bleibt auch die Ethik gebunden, ebenfo

Hansjakob, Ileinr.: DieToleranzund dielntoleranz der katho- bleibt fie fachlich an die Vorausfetzung diefer mechani-

,-,.„„ i/:„„u„ ^ t__<._x-» , . A„ri /mit n-, c i '• ftifchen Naturbetrachtung gebunden, kann fich diefer Natur

ficnen Kirche, o Vortrage. 3. u. 4. Aufl. (Vit, 97 S.) l . . ■ . r _ , />s , t a , ., n r .

"' "T ., . „ TT . / » « ^ , »? nie entwinden, fondern fie nur nach Maßgabe ihrer Gefetze

8°. Freiburg 1. B., Herder (1914). M. 1.60; geb. M. 2 - j bearbeiten und das ethifche Ideal als Analogie des Natur-

Der treffliche und auch vielen Nichtkatholiken lieb | begriffes konftruieren.

gewordene Dichter tritt uns hier als Prediger, Apologet j Damit ift das Wefen der Ffthik beftimmt. Ihre Me-

und Polemiker entgegen. An Originalität und Wärme i thode muß dem Ideal des naturwiffenfchaftlichen logifchen

fehlt es auch hier nicht; es ift etwas Alban Stolzfches in Denkens völlig analog fein. Sie unterfcheidet fich von

feiner Kritik an der Gegenwart: ,es wird mit Dampf ge- diefem nur dadurch, daß es in ihr nicht gilt ein allgemeines

arbeitet, mit Dampf gelebt'; die Entfchiedenheit, womit er Seinsgefetz als Bedingung jeder Erfahrung zu erkennen,

die ftrengere Fällung des extra ecclesiam nulla Salus als fondern ein allgemeines Handlungsgefetz als Bedingung

.Unfinn'(S. 51) ablehnt, ift fympathifch, und wie hier die
Hoffnung auf Seligkeit vieler Heiden und Proteftanten
dadurch begründet wird, daß entweder Sittlichkeit fchon
als rechter Gottesdienft angerechnet oder den Heiden
fides implicita an den Erlöfer zugefchrieben wird, das ift
dem Proteftanten intereffant. Gefchickt ift auch, daß Intoleranz
möglichft in Zufammenhang gerückt wird mit der
Ausfchließlichkeit der Wahrheit und mit Sitten fixen ge.
Aber z. B. gegen Huß und gegen des Landgrafen Doppelehe
ift H. ungerecht — Philipp kann wirklich fich neben
manchem Fürften fehen laffen, mit dem die katholifche

der Vereinigung der Menfchheit zur abfoluten Einheit
ihres Begriffes zu entwerfen. Der Seinseinheit der Natur
entfpricht die Solleinheit der Menfchheit. Den mathematifchen
Erkenntnismitteln der Natur mit ihrer Beftimmung
des Ganzen und jedes Einzelnen entfpricht die Konftruk
tion der abfoluten Menfchheitsgemeinfchaft aus den Be
dingungen ihrer Verwirklichung. Wie jene Aufgabe des
Naturbegriffes in den naturwiffenfchaftlichen Einzeldiszip-
linen vorbereitet und angebahnt wird, fodaß in ihnen
das Material zur Konftruktion des Naturbegriffes bereit
liegt, fo ift die Ethik vorbereitet durch die Einzelwiffen-

Kirche vortrefflich ftand —; die Zitate erfcheinen oft fchaften von der Gemeinfchaft, als welche Nationalminderwertig
(S. 44 ,der Proteftant und Hiftoriker Zöllner' ', i Ökonomie, Staatslehre und Pädagogik fich darbieten. Es
zumal Belege fehlen. Einige praktifch wichtige Dinge, gilt nur den in ihnen enthaltenen und angebahnten all-
wie die Friedhofsintoleranz, find nicht erwähnt. H. fordert, ! gemeinen Begriff der durch Handeln zu erzeugenden
der Staat müffe wieder intolerant dagegen werden, daß i Menfchheitseinheit herauszuheben, von Schranken zu be-
man die katholifche Kirche, überhaupt die Religion ver- freien und auf das letzte Syftem einer abfoluten Willens-
fpottet — handelt es fich wirklich nur darum? Als Folge , einher* der Menfchheit beziehen, in welcher jeder Wille
der Toleranz wird bürgerlicher Umfturz prophezeit. Das ! durch den andern reftlos bedingt ift und in dem Syftem
Bedauerlichfte ift, daß H. für edlere Motive der Forderung j diefer Wechfelbedmgtheit die bewußt und planmäßig fich
der Toleranz überhaupt kein Verftändnis hat, es jedenfalls
hier nicht zum Ausdruck bringt.

Berlin. H. Mulert.

Görland, Albert: Ethik als Kritik der Weltgefchichte. (Wiffen-
fchaft u. Hypothefe XIX.) (XI, 404 S.) 8». Leipzig,
B. G. Teubner 1914. Geb. M. 7.50

Die ein Viertel des Buches umfaffende Einleitung
beftimmt die philofophifche Vorausfetzung, die, wie für indirekt allerdings doch"mit einem gewiffen Inhalt, indem

felbft erzeugende Willenseinheit der Menfchheit hervorgebracht
wird. Der letzte Zweck des Handelns ift die Syfte-
matik der Menfchheit wie der der Logik die Syftematik
der Natur. Der Wille ift Willens-Denken, das auf die
Syftematik der Menfchheitseinheit gerichtete Denken, begleitet
von dem Affekt, der auf Verwirklichung des nicht
Seienden, fondern Aufgegebenen gerichtet ift.

Der rein i'ormal-intellektualiftifche Charakter des
Handelns, das im Grunde nur den Menfchheitsbegriff in
Analogie zum Naturbegriff zu realifieren hat, erfüllt fich

alle Wiffenfchaft, fo auch für die Ethik als Wiffenfchaft j diefe Erzeugung an die Bearbeitung der mechanifch-ge-
maßgebend fein müffe. Die Welt der fittlichen Tatfachen 1 fetzlichen Natur gebunden bleibt. In der wirtfchaftlichen
wird daher nicht für fich analyfiert, auch bei dem auf fie j Gemeinfchaft des Weltmarktes wird die Natur für Gefamt-
angewendeten Syftem nicht gefragt, wie es fich zu diefen j heit und Einzelne zum Zweck der Auskömmlichkeit und
Tatfachen verhalte, ob es fein Recht gerade an einer Frei- ] der Freiheit vom unmittelbaren Naturzwang durch den
gebung ihrer lebendigen Entwickelung und an einer diefer ' Willen beherrfcht, indem fie wiffenfehaftlich erkannt und
zunächft folgenden Analyfe, fchließlich in der Möglichkeit j technifch verwertet wird. Das Recht der die Nationaleiner
von ihm aus erfolgenden begrifflichen Deutung und ! ftaaten zum Weltftaat vereinigenden ftaatlichen Gemein-
Einreihung diefer Tatfachen bewähre. Es ift vielmehr ein j fchaft reguliert dann weiterhin den Wirtfchaftsprozeß und
aus dem Wefen des Denkens entwickeltes Syftem a priori, j macht ihn von den dort beftehen bleibenden natürlichen

das überhaupt als Wirklichkeit und als Ideal nur das
durch es Denkbare und Konftruierte anerkennt. Alles
übrige ift entweder noch nicht voll rationalifierte vorZufällen
unabhängig. Die Gemeinfchaft der Schule in der
Plrziehung und Erkenntnis, d. h. die freie Übereinftimmung
in logifch-notwendiger Erkenntnis und wohlwollende Ent-

wiffenfchaftliche Erkenntnis oder Gedankenlofigkeit oder j wickelung diefer Erkenntnis aus den Unmündigen heraus,
eine dem Zwang des Logifchen und des allgemeinen | bedeutet fchließlich die Menfchheitsgemeinfchaft und Bru-
Rationalismus fich fträflich entziehende Romantik. Das j derfchaft in freier autonomer Erkenntnis des Wahren,
derart zu Grunde gelegte Syftem ift der kritifche Idealismus | d. h. der Gefetze der Natur und Gemeinfchaft. Es bleibt