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Ausgabe:

1916 Nr. 5

Spalte:

113-114

Autor/Hrsg.:

Hartz, Franz

Titel/Untertitel:

Wesen und Zweckbeziehung der Strafe 1916

Rezensent:

Kulemann, W.

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"3

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 5.

114

natürlichen Gemeinfchaft', damit auch über den Staat? |
So entfliehen wiederum Zerreißungen, die eine Auffaffung j
des fittlichen Lebens in feinem organifchen Zufammen-
hange hindern.

Über Einzelheiten möchte ich angefichts eines fo reichen
und eindrucksvollen Buches nicht mit dem Verfaffer rechten.

Marburg a. d. L. Horft Stephan.

Hartz, Regens Dr. Franz: Wefen und Zweckbeziehung der
Strafe. Eine ethifche Würdigg. der abfoluten u. relativen j
Strafrechtstheorien. (XI, 258 S.) gr. 8°. Münfter i. W.,
Afchendorff 1914. M. 6— j

Hinfichtlich der Frage nach dem Wefen und dem
Zwecke der Strafe flehen fich zwei Grundanfichten gegenüber
. Die abfolute Theorie geht davon aus, daß das
Unrecht nach feiner Natur eine Sühne fordere (punitur
quia peccatum est). Die relativen Theorien haben das
Gemeinfame, daß nach ihnen die Strafe einen beftimmten
Zweck verfolgen muß (punitur ne peccetur). Sie fehen
ihn in der Abfchreckung, der Befferung, der Sicherung,
oder in mehreren diefer Momente (Vereinigungstheorien).
Die fog. klaffifche Schule fleht auf dem Vergeltungsftand-
punkte; die neuere Richtung unter den Kriminaliften dagegen
fordert eine Zweckftrafe.

Der Verfaffer hat es fleh zur Aufgabe geftellt, die
Streitfrage auf dem Boden der chriftlichen Ethik zu prüfen.
Nachdem er in einem als Vorbemerkung bezeichneten 1
Abfchnitt, die beiden Richtungen zutreffend charakteri-
fiert und dabei betont hat, daß auch die abfolute Theorie,
die er verteidigt, nicht jede Zweckbeziehung der Strafe
ablehne, fie aber nicht als das wefentliche, fondern als
ein nebenfächlicbes Moment betrachte, gibt er im L Kapitel
einen Überblick über die gefchichtliche Entwicklung
der Rechtsphilofophie, foweit fie die Frage der Strafe behandelt
, vom Altertum bis zur Gegenwart. Das II. Kapitel
ift den Ausführungen über die Idee der Strafe gewidmet,
wobei die Frage zunächft nach allgemeinen Gefichtspunk-
ten erörtert und dann die Auffaffung von Auguftinus und
Thomas von Aquino dargelegt wird. Im III. Kapitel wird
der Gedankengang der Vertreter der Zweckftrafe auseinandergefetzt
und zu widerlegen geflieht. Der Verfaffer
fieht deffen beide Hauptgrundlagen einerfeits in den
materialiftifchen Gedankengängen, mit denen die kriminal-
anthropologifche Schule (Lombrofo) argumentiert, und
andrerfeits in den Erwägungen der kriminal-foziologifchen
Richtung (v. Lifzt), die davon aus gehen, daß vor allem
die Einflüffe des milieu, alfo der gefellfchaftlichen und
wirtfehaftlichen Verhältniffe, berückfichtigt werden müßten.
Dabei wird auch die Frage der Willensfreiheit, als in
erfter Linie für die Entfcheidung maßgebend, eingehend
erörtert. Hinzugefügt ift eine Darlegung der Stellung,
welche das kanonifche Recht gegenüber der Strafe einnimmt
. Das IV. Kapitel behandelt den Standpunkt der
katholifchen Glaubenslehre und Dogmatik über die Ewigkeit
der Höllenftrafen, die jenfeitige Läuterung, das Buß-
fakrament und das ftellvertretende Leiden Chrifti. In
einem Schlußabfchnitte werden die Ergebniffe zufammen-
geftellt.

Das Buch gibt einen guten Überblick über den Stand
der Frage fowie die dabei in Betracht kommenden Gedanken
und Gefichtspunkte. Die Darfteilung ift klar und
gut disponiert. Sie ift auch durchaus objektiv gehalten,
fodaß die Gründe der bekämpften Auffaffungen voll zur
Geltung gelangen. Es ift felbftverftändlich, daß der Verfaffer
als katholifcher Theologe in erfter Linie die Auffaffung
feiner Kirche und ihrer Autoritäten zu Grunde legt.
Aber er tut dies nicht in der Weife, daß dem gegenüber eigne
Gründe zurückträten, vielmehr behalten die Ausführungen
ihren Wert auch für diejenigen, die diefen Ausgangspunkt
nicht anerkennen. Erzielt wird dies hauptfächlich

dadurch, daß die Darlegung des katholifch-dogmatifchen
Standpunktes in befondere Abfchnitte verwiefen ift.

Ich perfönlich fliehe der Auffaffung, wie fie in dem
Buche vertreten wird, nahe und halte es für talfch, wenn
die Anhänger der Zweckftrafe der pfychologifchen Tatfache
keine Rechnung tragen, daß unfer natürliches Rechtsgefühl
eine Beftrafung unabhängig von jedem Zweckgedanken
und deshalb auch da fordert, wo die Zwecke,
auf welche die Gegner verweilen, im Einzelfalle zweifellos
nicht erreicht werden können. Ein folches natürliches
Gefühl aber muß die elementare Grundlage bilden, auf der
wir unfer theoetifches Gebäude aufführen dürfen. Es ift
grundfätzlich verfehlt, a priori einen theoretifchen Standpunkt
über die Strafe aufzuftellen und nun den Verfuch zu
machen, fich mit den Tatfachen, einfchließlich der pfychologifchen
Momente fo gut wie möglich abzufinden. Vielleicht
hätte der Verfaffer feine Ausführungen wirkfam
unterftützt, wenn er auch diefen methodologifchen Gefichts-
punkt verwertet hätte.

Göttingen. W. Kulemann.

Mayer, Paft. Lic. Dr. Gottlob: Von der Herrlichkeit des
geiftlichen Amtes. Briefe an e. jungen Theologen, (148
S.) 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1914.

M- 3 —'» geb. M. 3.50

Es ift an fich ein guter Gedanke, dem jungen
Theologen und angehenden Pfarrer fein Amt dadurch
wert zu machen, daß ihm aus der Erfahrung des älteren
Seelforgers heraus die ganze Tätigkeit des Pfarramtes
unter dem Gefichtspunkt ihrer .Herrlichkeit' gefchildert
wird. Ich glaube, daß das Buch von vielen, für die es
gefchrieben ift, nicht nur mit Nutzen, fondern mit wirklichem
Segen gelefen werden wird. Das von M. geübte
Verfahren hat aber auch feine Gefahren, namentlich bei
der von ihm gewählten Dispofition, bei der er die Herrlichkeit
jeder einzelnen Amtstätigkeit für fich (Predigt,
Privatfeelforge, Taufhandlung, Beichte, Abendmahl, Kin-
dergottesdienft, Konfirmandenunterricht, Einfegnung, Trauhandlung
, Wortverkündigung an Sarg und Grab) heraus-
zuftellen unternimmt. Einmal kann fo ein Maß von
Idealifierung nicht vermieden werden, bei dem die vielen
Superlative fich gegenfeitig hindernd im Wege fliehen,
und aus dem leicht große Enttäufchungen angefichts der
harten Wirklichkeit erwachfen, und das umfomehr, je
mehr die einzelnen Tätigkeiten an dem bei ihnen zur
Geltung kommenden Tun der P e r f o n des Pfarrers orientiert
werden. Die unbedingt erforderliche Wertung der ver-
fchiedenen gottesdienftlichen Handlungen allgemeiner und
kafueller Art als folcher kann nicht ohne Schaden in
der vom Vf. geübten Weife mit der Schätzung der per-
fönlichen Tätigkeit des Pfarrers bei ihnen verquickt
werden. Deshalb müffen in einer fo auf das Perfönliche
eingeftellten Schilderung wie der vorliegenden notwendiger
Weife Gruppen paftoraler Tätigkeiten, und zwar möglichft
unter dem Gefichtspunkt des Perfonenkreifes, auf den
gewirkt werden foll, gebildet werden (Gottesdienft, Beichte,
Abendmahl; Taufe, Kindergottesdienft, Konfirmandenunterricht
, Einfegnung; Privatfeelforge, Trauung, Grabrede).
Auf Einzelkritik möchte ich mich bei einem aus fo hoher
Begeifterung heraus gefchriebenen Buch nicht einlaffen.
Ich greife nur ohne Wahl ein paar Punkte heraus, an
denen fich die Verquickung des Wertes der gottesdienftlichen
bzw. fakramentalen Handlung als folcher und der
Schätzung der bei ihr vorliegenden Tätigkeit des Pfarrers
fchädlich erweift:: die Art und Weife, wie die Taufe durch
den Parochus gewertet wird (S. 63 h); die Überfchätzung
des Einfluffes des Konfirmators, die mit den Tatfachen
oft in fo betrüblichem Widerfpruch flieht (S. 92). Und
die Wertung der Schlüffelgewalt von der Perfon des
Amtsträgers ftatt von dem Bedürfnis der gnadenhungrigen
Seele aus (S. 66 ff.) führt in Bahnen, die dem lutherifchen