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Ausgabe:

1916

Spalte:

110-111

Autor/Hrsg.:

Stange, Carl

Titel/Untertitel:

Die Wahrheit des Christusglaubens, mit einem Anhang über die Eigenart des christlichen Gottesglaubens 1916

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 5.

110

Kolde war eine durch und durch vornehme Natur, und
was J. von der Gaftfreundlichkeit feines Haufes erzählt,
beftätigt der Unterzeichnete in dankbarer Erinnerung an 1
die liebenswürdige Aufnahme, die ihm 1899 durch das |
Koldefche Ehepaar zuteil wurde.

Ein paar Kleinigkeiten I Zu S. 33: Egli kann nur vorübergehend in j
Leipzig gewefen fein; er war feit 1870 Vikar in Cappel. S. 44 ift richtig |
angegeben, daß W. Herrmann 1879 nach Marburg kam, S. 58 wird er
fchon 1877 dort vorausgefetzt. Im Regifter find der Erlanger Auguft
Köhler und Referent nicht unterfchieden worden.

Zürich. Walther Köhler.

Schaff ganz, Hans: Nietzfches Gefühlslehre. (VIII, 133 S.)
gr. 8°. Leipzig, F. Meiner 1913. M. 3.50

Verf. will in N.s Gefühlslehre die einheitliche Grundlage
feiner Weltanfchauung darlegen und nur da kritifieren,
wo Unftimmigkeiten und Unklarheiten zu berichtigen find.
Jedenfalls habe niemand vor N. mit folcher Konfequenz
vom Gefühl aus unfer Denken beftimmt (130 f.). In der
Tat wird man deffen durchgreifender Gliederung des
Seelenlebens unter dem Gefichtspunkt des Gefühls Bewunderung
nicht verfagen dürfen, zumal wenn man Scb.s
klarer Entwicklung nachgegangen ift, obwohl ich gerade
der Beftimmung des Denkens von hier aus nicht beipflichten
kann. Sch. behandelt N.s Gefühlslehre an dem
üblichen Faden der drei Perioden. Dabei legt er mit
Recht den Hauptnachdruck auf die dritte, in welcher
der fertige N. vor uns fteht (S. 1). Allerdings kommt
N. fogar fchon in der erften Periode über die im Willen
fleh offenbarende, von Vorftellungen begleitete, Tätigkeit
der Empfindung nicht hinaus (16). Ebenfo liegt in der
zweiten Periode die Eiiiheit des Geifteslebens im Gefühl
(28). Auch wird es jetzt fchon zur Ureigenfchaft der
Materie, und, im Zufammenhange hiermit, wird das Weltgebäude
auf ein Luft- und Unluftfyftem zurückgeführt (36).

Zufammenhängend ausgebildet aber werden die Grundgedanken
doch erft in der dritten Periode. Freilich ift
hier nicht der Ort, diefen Zufammenhang näher darzulegen,
Ich muß mich auf einige Andeutungen befchränken. Die
volle Einheitlichkeit, aber auch Einfeitigkeit, erhält N.s
Anfchauung nunmehr durch feine durchgeführte, materia-
liftifche, Biologie. In diefe löft er fchließlich das gefamte
Leben, ja das Weltall auf. (68 ff. 891!). Ift die Empfindung
Ureigenfchaft der Materie, fo wird der Intellekt zum
Apparat der Selbftregulierung im Dienfte der Triebe (83).
Wiffenfchaft ift ein Trieb, von Trieben zu wiffen (101),
die Vernunft ein Verhältniszuftand verfchiedener Leiden-
fchaften und Begehrungen (102), die abgezweigtefte Form
des Trieblebens, daher gegen die Stärke der Triebe ohnmächtig
(103). Das Bewußtfein, eine bloße Nebenäußerung
des Intellekts, hat fich unter dem Drucke des Mit-
teilungbedürfniffes entwickelt (105). Das Subjekt ftellt
nur eine Vielheit von Trieben dar. Der herrfchende Trieb
repräfentiert unfer Ich (107). Die Kraft der Erkenntnis
liegt nicht in ihrer Wahrheit, fondern in ihrem Charakter
als Lebensbedingung (m). Die gewonnene Erfahrung
wird auf Zeichen reduziert, die die Sprache bilden (114).
Worte find Tonzeichen für Begriffe, Begriffe . .. Bilderzeichen
für oft wiederkehrende Empfindungen (116). Denken
ift der Ausdruck für Begehrungen, deren ftärkfte der
,Wille zur Macht' ift. Daher gibt es auch keine objektive
Logik (118). Auch der Charakter ift phyfiologifch bedingt
(99). Moral ift eine Zeichenfprache unferer Triebe, die
fich alle auf den Willen zur Macht zurückführen laffen
(127). Gut ift, was dem Triebe entfpricht (128). Auch
Äfthetik ift angewandte Phyfiologie (130).

Bei aller einheitlichen Gefchloffenheit einer folchen
Anfchauung bleiben natürlich anderfeits große Lücken
und Widersprüche. Auch Sch. erkennt an, daß N.s oft
vortreffliche intuitive Erkenntniffe mit feinen phyfiologi-
fchen Theorien nicht zu vereinigen find, und daß er in-
folgedeffen auch die äußere und innere Welt nicht zu
trennen weiß (101). Faßt man, freilich im Gegenfatz zu

N., die phyfiologifchen Ereignisreihen als bloße Voraus-
fetzungen, Begleiterfcheinungen, Folgen der Seelenbewegungen
, fo trifft man oft auf die feinften und lichtvollften
Vorftellungen leiblich-feelifcher Zufammenhange. Ich kann
hier nur noch einige kritifche Andeutungen hinzufügen.
Man vermißt bei N. von vorn herein eine fcharfe Unter-
fcheidung der Empfindung als bildfehaffender, auf einen
äußeren Gegenftand bezüglicher, Tätigkeit vom Gefühl,
als rein innerem Erleben. Auch reicht die Ableitung
der Empfindung aus dem Gefühl, wozu Horwitzfch und
E. von Hartmann wenigftens Anfätze bieten, keineswegs
zu (53). Auf die ungenügende Ableitung des Denkens wies
ich fchon hin (55). Ein Hauptwiderfpruch liegt auch darin
, daß einmal alles Innere zum Erzeugnis des Äußeren
gemacht und dann doch dies wiederum als bloße Er-
fcheinungsform des inneren Lebens angefehen wird (79).

Die Leiftung des Sch.fchen Buches bedeutet einen
Fortfehritt in der Erkenntnis der phyfiologifchen Grundlagen
von N.s Weltanfchauung.

Wernigerode. P. Schwartzkopff.

Stange, Prof. D. Carl: Die Wahrheit des Chriftusglaubens, mit

e. Anh. über die Eigenart des chriftl. Gottesglaubens.
(V, 126 S.) 8°. Leipzig, A. Deichert 1915.

M. 2.80; geb. M. 3.50

Stange's Schrift ift aus Vorträgen hervorgegangen,
die er im April und im Juni 1914 in Dorpat, Riga, Reval
und Hannover gehalten hat. Die erfte Gruppe (die Wahrheit
des Chriftusglaubens) behandelt in rieben Kapiteln
den Glauben und die gefchichtliche Forfchung (1—14),
die Einzigartigkeit der Perfon Jefu Chrifti (15—31), die
gefchichtliche Tatfache der Auferftehung Jefu (32—45),
die Bedeutung der Auferftehung (46—57), die Vollmacht
der Sündenvergebung (58—70), den Tod Jefu (71—83),
den Glauben an Chriftus (84—96). Das zweite Stück hat
es mit der Eigenart des chriftlichen Gottesglaubens zu tun
(97—126 S.).

,Es ift durchaus irreführend, wenn man von zwei
verfchiedenen Arten des Erkennens redet. Bei derUnter-
fcheidung zwifchen der theoretifchen und der praktifchen
Vernunft im Hinblick auf den ihnen zukommenden Erkenntniswert
, handelt es fich nur um die künftliche Aus-
einanderreißung der für alles Erkennen wefentlichen Bedingungen
. Wir haben es mit einer bloß verftandes-
mäßigen Erkenntnis nur da zu tun, wo es uns um die
reine Möglichkeit der Dinge zu tun ift. Die Wirklichkeit
aber ift uns immer nur gegeben, fofern wir lebendige
Perfonen find, und deshalb hängt unfre Erkenntnis der
Wirklichkeit immer ab von dem, was wir als lebendige
Perfonen find. Aber das ift nicht eine befondere Eigentümlichkeit
desjenigen Erkennens, mit dem wir es in der
Religion zu tun haben, fondern gilt ohne Unterfchied von
allem Erkennen der Wirklichkeit' (59—60). Diefe Worte
liefern den Schlüffel zum Verftändnis der Art und Weife,
wie Stange die von ihm in Angriff genommenen Problem
auffaßt und behandelt. Es ift ganz in der Ordnung, wenn
er es unternimmt zu zeigen, daß wir es bei der fittlichen
Einzigartigkeit Chrifti mit einem gefchichtlich nachweisbaren
Tatbeftand zu tun haben; ebenfo hat auch die Auferftehung
Jefu für ihn die Bedeutung einer gefchichtlich
nachweisbaren Tatfache. .Indem wir von der fittlichen
Einzigartigkeit Jefu und von der Auferftehung Jefu reden,
bewegen wir uns noch nicht in der Sphäre des Glaubens'
(58). Kann doch dem Verf. fchwerlich der Vorwurf er-*
fpart bleiben, daß er den evangelifch-retormatorifchen
Begriff des praktifch bedingten Glaubens abgefchwächt
oder felbft verlaffen hat, um den fcholaftifchen Gedanken
unfrer Durchfchnittstheologie wieder aufzurichten. ,Es
kann einen Glauben geben, der noch nicht mit der Gewißheit
des Glaubens verbunden ift, und diefer Glaube
im Sinne des Fürwahrhaltens ift nicht ein falfcher Glaube