Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1916 Nr. 5

Spalte:

107-109

Autor/Hrsg.:

Jordan, Hermann

Titel/Untertitel:

Theodor Kolde. Ein deutscher Kirchenhistoriker 1916

Rezensent:

Köhler, Walther

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

107 Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 5. 108

die jahrelange, tiefeingreifende politifche Tätigkeit des
Jefuiten Lamormaini, des Beichtvaters Kaifer Ferdinands II.,
eine Tätigkeit, die bei der Abfetzung Wallenfteins und
bei anderen wichtigen politifchen Vorgängen entfcheidend
ins Gewicht fiel (Gindely, Waldftein während feines erften
Generalats, Leipzig 1886, 2, 291fr.); erinnert fei an die
Jefuiten-Beichtväter der franzöfifchen Könige Heinrich IV,
Ludwig XIV ufw.: Cauffin, Coton, Letellier, LaChaife ufw.,
die während langer Zeiträume die Gefchicke Frankreichs
und damit Europas wefentlich beeinflußten; erinnert fei
an die Beichtväterrollen der Jefuiten am fpanifchen Hofe
(die Jefuiten d'Aubenton und Nidhardl); erinnert fei an
die Jefuiten-Beichtväter Warner und Petre Jakobs II von
England; Petre wurde fogar Mitglied des Königlichen
Geheimen Rates (Privy Council), obwohl die Ordensfatzun-
gen die Annahme folcher Ämter ftreng unterlagen; erinnert
fei an den Jefuiten Vervaux (ein Franzofel), der als
Beichtvater Maximilians I von Bayern, unter dem Decknamen
Chevalier Baptifte de Clorans, eine fehr ausgebreitete
politifche Tätigkeit ausübte (Steinberger, die Jefuiten
und die Friedensfrage in der Zeit vom Prager Frieden
bis zum Nürnberger Friedensexekutionshauptrezeß 1635 —
1650, Freiburg 1906, S. 41—45). Es ift notwendig, folche
.Erinnerungen' (die ftark vermehrt werden können) auf-
zufrifchen gegenüber den Verfuchen des Verfaffers, feinen
Orden als unpolitifch hinzuftellen und das unbequeme
Zeugnis eines wohlunterrichteten Mannes, den er fonft
als Autorität behandelt (wo Landgraf Ernft fich für die
Jefuiten äußert, fpricht ihm der Verfaffer .Glaubwürdigkeit
', .genaue Sachkunde', .unbefangenen Blick in hohem
Maße' zu: S. 95), bei Seite zu fchieben.

Als Lebensbefchreibung des heffifchen Landgrafen
ift die Schrift fehr mangelhaft und vor allem fchönfärbe-
rifch. Der Verfaffer, der Rommel (.Leibniz und Landgraf
Ernft von Heffen-Rheinfels') ftark benutzt, hätte fich an
Rommels Genauigkeit und Sachlichkeit, z. B. in der Frage
über die Übertritts-Beweggründe und über das Privatleben
des Landgrafen (.Harem' von Rheinfels: Rommel, a. a. O.
1,33fr. und 53ff.) ein Beifpiel nehmen follen.

Berlin. Graf Hoensbroech.

Jordan, Prof. D. Hermann: Theodor Kolde. Ein deutfcher
Kirchenhiftoriker. (VI, 199 S.) 8°. Leipzig, A. Deichert
1914. M. 4.50; geb. M. 6 —

Diefes Lebensbild des am 21. Oktober 1913 verftor-
benen Erlanger Kirchenhiftorikers Theodor Kolde ehrt
in gleicher Weife den Heimgegangenen wie feinen Biographen
. Hermann Jordan, Koldes Nachfolger auf dem
akademifchen Lehrftuhle, hat es verftanden, pietätvoll,
aber unter voller Wahrung eigenen Urteils, auf Grund
perfönlicher Mitteilungen, Familienpapieren, darunter eines
Tagesbuches u. a., ein Lebensbild zu entwerfen, das vor
allem, und das mit großem Gefchick, Wert darauf legt,
die Perfönlichkeit und ihre gelehrte Arbeit in den Rahmen
der Gefchichte der Theologie in den letzten vierzig
Jahren im Allgemeinen und der Kirchengefchichtfchrei-
bung im befondern einzufügen. Kolde war, wie J. mit
Recht heraushebt, eine eigenartige Erfcheinung, die fich
in die herkömmlichen Richtungen nicht einfchachteln ließ
und das auch mit bewußter Ab ficht nicht wollte, die in
Erlangen eine finguläre Stellung einnahm und darum auch
lange gebraucht hat, bis fie dort wirklich heimifch wurde. :
Auffallend ift, wie deutlich die Grundlage des fpäteren j
Mannes in der Jugendzeit, ftellenweife fogar in der Kindheit
, gelegt wurde. So hat er fchon als Kind lebhafte
Eindrücke vom Katholizismus empfangen und ift zeitlebens
in Fechterftellung ihm gegenüber geblieben; hat er auch
die Aufforderung, in den Vorftand des ev. Bundes einzutreten
, abgelehnt, fo ift er doch ftets eifriges Mitglied
gewefen. Vom Vater und der Familie her kam die Vorliebe
für das Luthertum und den Reformator felbft, und

Koldes Dr.-Differtation über den Kanzler Brück behandelte
den Ahnherrn des Gefchlechtes feiner, Mutter. Der junge
Gymnafiaft auf dem Gymnafium zu Öls hat mit ziemlich
regem Intereffe die Politik verfolgt, in gut liberaler Schule,
mit der Kolde, natürlich die Wandlungen des urfprünglich
Bismarck feindlichen Liberalismus mitmachend, die Verbindung
nie verleugnete. So gehörte er in Erlangen
dem Nationalliberalen Verein an, war fogar verfchiedent-
lich Ausfchußmitglied und hat auch kirchenpolitifch den
politifchen Liberalismus vertreten; die preußifche Kirchenpolitik
z. B. mit ihrer ftaatlichen Bevormundung der evan-
gelifchen Kirche, von dem politifchen Spiel mit Jefuiten-
frage und dgl. gar nicht zu reden, nicht minder die Ham-
merfteinfchen Anträge, in denen er richtig das Beftreben
fah, die Kirche unter die Herrfchaft der Partei zu bringen,
Stöckers chriftlich-kirchlicher Sozialismus waren ihm direkt
unfympathifch. Ja, über letzeren kann er das fcharfe
Urteil fällen, das das Extrem nach der anderen Seite hin
bezeichnet: .Chriftus ift nimmermehr dazu gekommen, den
natürlichen Abftand zwifchen Reich und Arm, Hoch und
Niedrig auszugleichen'. Aber es war eine richtige Selbft-
charakterifierung, wenn er fich zwei Tage vor feinem Tode
als .altliberal' bezeichnete. Die wahltaktifche Annäherung
des Liberalismus an die Sozialdemokratie blieb ihm unbehaglich
, und gegenüber dem Freifmn war er referviert.
In feiner theologifchen Studienzeit, in der er mit den fchwer-
ften pekuniären Sorgen, bis zur zeitweiligen Unterbrechung
des Studiums, zu kämpfen hatte, find Luthardt und Kah-
nis in Leipzig und dann vor allen Dingen Reuter in Breslau
von Einfluß auf ihn gewefen. Von ihm ift er in feiner
ganzen Auffaffung der Kirchengefchichte entfcheidend
beftimmt worden; Reuter lehrte ihn die Berückfichtigung
der Univerfalgefchichte, betonte ftark die Grenzen des
hiftorifchen Erkennens (über die dannK. fpäter eine Rektoratsrede
hielt), und ift auch beteiligt an K.s Abneigung
gegen die Ritfchlfche Schule, der er Gefchichtskonftruk-
tion vorwarf (mit Harnack kam es anläßlich der Rektoratsrede
zum perfönlichen Bruch). K. ift fogen. Tatfachen-
hiftoriker gewefen und war für ideengefchichtliche Behandlung
nicht zu haben. Mit Recht wünfcht Jordan hier eine
Ergänzung; ich möchte fie vor allem für den akademifchen
Unterricht wünfchen. Je mehr unferen Studenten die
Tatfachen in Kompendien und Handbüchern mundgerecht
bereit gelegt werden, defto notwendiger wird die Pflicht,
fie vor der Meinung zu bewahren, fie verftänden nun
Kirchengefchichte, wenn fie ihr Kompendium oder ihr
Handbuch eingepaukt haben. Das analytifche Verfahren
wird hier durch ein fynthetifches erfetzt werden müffen,
das die ethifchen Werte, die treibenden Ideen, Sozialkräfte
und dgl. herausarbeitet. Kolde war durch und durch
Forfcher und hätte es einfach nicht verftanden, daß
jemand ein fehr guter kirchenhiftorifcher Dozent fein kann,
ohne eine Forfcherader zu befitzen. So befremdet fein Urteil
über Chamberlain, den er einen ,über Gebühr gewerteten
hiftorifchen Dilettanten' nennt, (gegenüber Jordan
könnte ich dem zuftimmen) keineswegs. Um fo intereffan-
ter wäre von diefen Gefichtspunkten aus die Dogmenge-
fchichte geworden, die K. zu fchreiben vorhatte. Er gewann
hier die, wenn ich fo fagen foll, Forfchergrundlage vom
Kultus her, den er das .Rückgrat der Dogmengefchichte'
nannte. Es hängt wiederum damit zufammen, daß K.
recht eigentlich nicht populär geworden ift, weder durch
Vorträge, noch durch feinen ,Luther'; im Intereffe der
Sache war das nur gut. Seine ftarke Neigung zur reli-
giöfen Gefchichte Englands (Irvingianismus, Heilsarmee)
geht auf Eindrücke im v. Richthofenfchen Haufe in
Brecheishof zurück, in dem K. 1872 Hauslehrer war; hier
lernte er auch feine fpätere Gattin, eine geborene Engländerin
, kennen.

Über K.'s wiffenfchaftliche Leiftungen ift nicht not,
hier etwas zu fagen; ihr Wert ift unumftritten. Man wird
immer wieder gefeffelt durch J.'s Darlegungen und ftimmt
dem Gefamturteil: vere Lutheranus vollauf zu. Theodor