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Ausgabe:

1916

Spalte:

106-107

Autor/Hrsg.:

Kratz, Wilh.

Titel/Untertitel:

Landgraf Ernst v. Hessen-Rheinfels und die deutschen Jesuiten 1916

Rezensent:

Hoensbroech, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 5. 106

viel Anregungen. Daß man den von S. gemachten Feft-
ftellungen zuftimmen kann, ift außerdem fehr erfreulich.
So ift es auch berechtigt, daß man Schmidts Ausführungen
näher darlegt.

Im Jahre 1902 hatte Rieh. Schmidt feine Schrift
,Die Herkunft des Inquifitionsprozeffes' veröffentlicht. S.
hat darin ohne bedeutende Abweichung vom damaligen
Stand der Forfchung feftgelegt, daß die fchwurgencht-
liche Verhandlung des Strafprozeffes dem Wefen und der
Entwickelung nach aus zwei Quellen herzuleiten fei, die
eine die öffentlich-mündliche Hauptverhandlung, eine Idee
des englifch-germanifchen Rechtsgebildes, die andre das
Vorverfahren, in dem italienifchenlnquifitionsprozeß klaffifch
ausgebildet. Die Inquifition, die von königlichen Beamten
ausgeführt ift, wurde unpopulär, unhaltbar beim Sinken
der königlichen Gewalt. Die Kirche hat die Idee, die im
Grunde alt römifch war, aufgenommen: Der Bifchof übernimmt
den Reinigungszwang von den Gerichten. Innocenz
EU; der glänzende Jurift und Ausbauer des kirchlichen
Inquifitionsprozeffes, ift bei feinen Rechtsfchöpfungen den
vielfeitigften Einflüffen zugänglich gewefen. Es fragt fich,
ob er diefer oder jener juriftifchen Vormacht befonders
nahe geftanden hat. S. hat fchon 1902 darauf hingewiefen,
daß Innocenz III. vermutlich ftarke Anregungen aus dem
fizilifchen Rechtsftaat empfangen hat, daß daher ein
normannifcher Einfchlag in das päpftliche Inquifitionsgefetz
zu verftehen fei. Seit 1902 ift die Literatur und die
Quellenpublikation ftark geftiegen; die italienifche Rechts-
gefchichte des Mittelalters hat fehr bedeutende Förderung
erfahren. Erinnert fei nur an die Studien des leider nun
fürs Vaterland geftorbenen Hans Niefe (befonders: Die
Gefetzgebung der normannifchen Dynaftie im Regnum
Siciliae, 1910). S. wendet fich vielfach unter Verwendung
von Niefes Forfchungen, die er gelegentlich auch korrigiert,

auch da anregen zu laffen. Die formfreie Inquifition ift
eine Schöpfung der großen Städte, der Lombardei befonders
. Das beeinträchtigt freilich den Ruhm Innnocenz'
III. als Rechtsfyftematiker nicht — vielleicht hätte das
betont werden dürfen — und kann auch nicht die Vollendung
des Werkes Innocenz IV. abfprechen. Es find noch
mancherlei Punkte etwa zu bedenken, im Ganzen find es
doch nur Stimmungsunterfchiede, wenn die einzelnen
Rechtsquellen noch zeitweilig gefondert ftark hervortreten,
wenn häufig nur ein Parallelismus, keine Osmofe in Er-
fcheinung tritt, wenn im Norden Italiens mehr römifch-
kirchliche, im Süden mehr germanifch-normannifche Ein-
flüffe vorwalten.

R. Schmidts vorfichtige und kritifche Darlegung
darf uns überzeugen, auch da, wo die Abwehr Kohlerfcher
Redfeligkeiten recht fcharf wird.

Leipzig. Otto Lerche.

Kratz, Wilh., S. J.: Landgraf Ernft v. Heffen-Rheinfels und die
deutfehen Jefuiten. Ein Beitrag zur Konvertitenge-
fchichte des 17. Jahrh. (Stimmen aus Maria-Laach.
117. Ergänzungsheft.) (VII, 99 S.) Freiburg i. B.,
Herder 1914. M. 2.50

Die Schrift fegelt, um mich zeitgemäß auszudrücken
,unter falfcher Flagge'. Ihre Auffchrift müßte lauten:
,Landgraf Ernft von Heffen-Rheinfels als Verteidiger
der deutfehen Jefuiten'. Das neutrale ,und die deutfehen
Jefuiten' entfpricht nicht dem Inhalte, der wefentlich
Verteidigung jefuitifcher Wirkfamkeit ift. Sachlich ift,
daß der Verfafler aus ungedruckten Briefen des Landgrafen
auch folche Stellen mitteilt, die Ungünftiges über
die Jefuiten enthalten. Die Mitteilungen find um fo dankens-
fcharf gegen Zechbauers Schrift: Das mittelalterliche j werter, weil fie faft ausfchließlich diejenigen Fehler des

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Strafrecht Siziliens mit einem Exkurs über Herkunft und ( jefuitenordens betreffen, die fich überhaupt wie ein roter

Faden durch die ganze Gefchichte des Ordens ziehen:
Eiferfuchtsftreit mit anderen Orden, Gier nach Einfluß,
feelforgliche Nachgiebigkeit (Beichtpraxis I) gegen Hoch-
ftehende (,Ihr Herren Patres haltet die Kißchen folchen
Standesperfonen unter dem Haupt': Brief an den Jefuiten
Eufebius Truchfeß, S. 86; ,Aber die Herren Jefuiten ad
solummodo captandam benevolentiam heißen Alles gut und
verteidigen folches, um fich nicht verhaßt zu machen': Brief
an den Jefuiten Meyer, S. 87), politifche Umtriebe, Wohlleben
(,er hat einmal diefen Winter in camera charitatis über
meinem Tifchlein, und nicht Tafel, dann an folchen die Herren
Jefuiter fitzen, gefagt' ufw.: Brief an den Jefuiten Cas-
pers: S. 80). Un fach lieh ift, wenn der Verfaffer, an verfchie-
denen Stellen, unter Berufung auf die Ordensfatzun-
gen, die Behauptung des Landgrafen über jefuitifches Einmengen
in Politik, als ,unbegründet' erklärt. Die Ordens-
fatzungen verbieten das Einmengen allerdings; die Gefchichte
des Ordens weift aber die Einmifchung faft auf jedem
Blatte auf. Und auf Taten, nicht auf Worte kommt es
an bei Beurteilung der Tätigkeit des Jefuitenordens. Übrigens
liegen auch genug ,Worte' vor, die das Einmengen
befürworten und fogar in ein Syftem bringen. Erinnert
fei an die ,Ordinatio' des 5. Ordensgenerals Aquaviva
(Instit. Societ. Jesu, Florent. 1893, 3> 282), worin es u. A.
heißt: ,Der Fürft foll geduldig anhören, was immer der
Beichtvater, nach der Stimme des Gewiffens, ihm
täglich einzuflößen (suggerendum) für gut hält';' erinnert
fei an die in der Wiener Hotbibliothek aufgefundene
jefuitifche ,Geheiminftruktion', die der katholifche Ge-
fchichtsforfcher Dudik dem Aquaviva zufchreibt, und deren
.Endzweck' die Weltherrfchaft ift (Archiv für öfterreichifche
Gefchichte, 54. Bd., S. 234ff.); erinnert fei an das Wort
des einflußreichen Jefuiten Cordara (er war 35 Jahre amtlicher
Gefchichtsfchreiber des Ordens): ,Faft alle Könige
und Fürften Europas hatten nur Jefuiten als Lenker ihrer
Gewiffen, fo daß ganz Europa nur von Jefuiten beherrfcht
zu fein fchien' (Döllinger, Beiträge 3,72); erinnert fei an

«*

Wefen des fizilianifchen Inquifitionsverfahrens.

S. überfchaut die neuerfchienene Literatur und ftellt
zufammen, was in der Behandlung des italienifchen Stadt-,
Staats- und (weniger) Kirchenrechts etwa an neuem Licht
auf die Anfänge der Offizialverfolgung der Verbrechen
geworfen ift. Schmidt darf die Refultierende ziehen: Der
fizilianifche Normannenftaat hatte ein ftarkes eigenes
Rechtsleben, genau wie in England auch eine weltliche Inquifition
. Wie in England fo erftreckt fich in Sizilien die
königliche Juftiz auf beftimmte fchwere Verbrechen, es
wird bald gefchieden in das regierend-richtende und das
finanzverwaltende Kollegium der königlichen Kurie. Die
Organifation des Regnum Siciliae zeitlich hinter der in
England hergehend nimmt einen ihr analogen Gefamt-
verlauf; man hat nur im Verhältnis von England zu Sizilien
die innere, konftitutionelle und die äußere, macht-
politifche Beziehung fcharf zu fondern. Vor allen Dingen:
die inquisitio in Deliktsfällen in Sizilien und England darf
als Parallelprodukt normannifcher Herkunft angefehen
werden. Freilich: die erften Anfänge find in Sizilien
dunkel. Daß fie in England ebenfowenig lichtvoll find,
ift m. E. ein fehr fchwacher Troft. Der König bekämpft
die geiftlichen Machtprätenfionen, als konfervative Macht
ift er Gegner der modernen Rechtsgebräuche, gegen die
Verfolgung auf Richterverdacht; er tritt ein für die ger-
manifchen Formen und Traditionen (Gerücht-Gemeindeverdacht
). Nun find der fizilifchen inquisitio alle Züge
eigen, die wir an der englifchen feftftellen oder — bei
d^r ma"?eulh?ften Überlieferung — erfchließen können.
Die fizilifch-ftaathche inquisitio geht der römifch-kirch-
hchen voraus, ob diefe von jener beeinflußt ift, ift nur
eine Frage fekundarer Bedeutung. Der Gedanke der ftaat-
hchen Offizialverfolgung ift römifch: es kommt nun noch
auf glückliche Formulierung und gefetzfehaffende Kraft
für den Rechtsgedanken an. Das Recht formulierten die
Städte, die aufftrebenden italienifchen Gemeinwefen des
Ducento und es war für Innocenz III. kein Fehler, fich