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Ausgabe:

1916 Nr. 5

Spalte:

99-100

Autor/Hrsg.:

Naville , Édouard

Titel/Untertitel:

Archéologie de l‘Ancien Testament 1916

Rezensent:

Nowack, Wilhelm

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99

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 5.

100

Naville, Edouard: Archeologiedel'AncienTestament. (227S.)
gr. 8°. Neuchätel, Attinger Freres.
Der Titel des Buches, das Naville zuerft hat englifch
erfcheinen laffen und das dann erft durch Segond überfetzt
ift, läßt nicht ahnen, daß es fich ausfchließlich mit
der Frage befchäftigt, ob das Alte Teftament von Anfang
an hebräifch gefchrieben war. Von entfcheidendfter Bedeutung
für die richtige Beantwortung diefer Frage ift nach
N. die Entdeckung der Briefe von Tell-Amarna, fowie der
von Elephantine, fie ftürzen nach feiner Meinung die
traditionellen Anfchauungen über die Sprache, in der die
Bücher das A. T. gefchrieben find, um, fie Dringen das
kritifche Syftem zu Fall, das fich auf die Annahme ftützt,
daß unfere biblifchen Bücher Original-Dokumente find. Von
der Anfchauung aus, daß die Schriftfprache des gefamten
weftlichen Afien und Mefopotamien bis zum Mittelmeer die
babylonifche Keilfchriftfprache war, behauptet N. daß auch
Mofe diefe Sprache fchrieb: ohne Zweifel hatte er von
dem großen Hammurabi gehört, er war am ägyptifchen
Königshofe aufgewachfen, deffen Korrefpondenz in diefer
Sprache geführt wurde, die auch Mofe hier lernte. Er
fprach vielleicht mit feinen Volksgenoffen die aus Pa-
läftina mitgebrachte Sprache, aber das war keine Schriftfprache
, mehr nur ein Volksdialekt, den man für Gefetze
und für göttliche Worte nicht geeignet hielt. N. nimmt
zugleich die von Aftruc ausgefprochene Vermutung wieder
auf daß Mofe kein fortlaufendes Buch gefchrieben, fondern
Tafeln, die fpäter zu einem Buch vereinigt wurden.
So meint N. den Stein des Anftoßes, den die Wiederholungen
den Kritikern bieten, befeitigen zu können: fie
find eben nichts als die Inhaltsangaben der vorhergehenden
Tafeln. Daß der Inhalt des Pentateuchs der traditionellen
Vorftellung von Mofe als Verf. desfelben Schwierigkeiten
bereite, ift nach N. fo wenig der Fall, daß vielmehr
gerade der Inhalt für Mofe als Verf. des ganzen
Buches fpricht. Ift aber Mofe der Verf., fo ift andrerfeits
auch damit gegeben, daß das Buch dann nicht urfprünglich
hebräifch gefchrieben fein kann, denn damals war das
Hebräifche noch nicht Schriftfprache. Das hebräifche
Alphabet haben die Ifraeliten wahrfcheinlich in der Zeit
des Salomo von den Phöniziern übernommen: denn da
damals taufende von Israeliten unter phönizifcher Anleitung
im Libanon arbeiteten, fo ift nichts natürlicher als
die Annahme, daß die Phönizier fie auch das Alphabet
lehrten und daß die Rechnungen der Diener des Hiram,
bevor fie durch die Beamten des Salomo reguliert wurden,
auf Scherben in phönizifcher Schrift gefchrieben waren.
Damit ift freilich nicht gegeben, daß nun feit diefer Zeit
auch eine hebräifche Literatur begann, vielmehr blieb die
von den Israeliten gefprochene Sprache, was fie war, ein
Dialekt, der Schriftfprache nicht war; deshalb fahen die,
welche fchriftftellerifch tätig waren, fich gezwungen, auch
weiterhin die Keilfchriftfprache zu gebrauchen. In der
Zeit des Efra wurde dann zunächft der Pentateuch in
das Aramäifche überfetzt, denn damals trat das Babylonifche
immer mehr zu Gunften der Volksfprache zurück.
Schon mehrere Jahrhunderte vorher hatten die Könige
Mefopotamiens aramäifche Schreiber, um dem Volke
den Inhalt von Keilfchrift-Kontrakten zu erklären und fie
ins Aramäifche umzufetzen. In diefer Sprache verkehrte
Efra mit dem Könige, aramäifch waren auch die Briefe
und die Dekrete des Königs, Efra machte offenbar für
Mofe's Gefetz, was andere für andere Dokumente machten.
Obgleich Efra fich vorwiegend mit den Büchern des Mofe
befchäftigte, ift es doch möglich, daß er auch entfprechend
der rabbinifchen Tradition den Kanon des A. T. fchuf.
Für eine kleine Zahl von prophetifchen und didaktifchen
Büchern ift die Frage der Kompofition nicht völlig klar,
indeffen müffen diefe, und zwar auch die nicht urfprünglich
aramäifch gefchriebenen, vor der Zeit der LXX in's
Aramäifche umgefetzt fein. Was nun unfere jetzige hebräifche
Bibel angeht, fo behauptet N., daß die Umfetzung
in hebräifche Sprache und Schrift wohl derfelben Zeit

zugehört. Als die Rabbinen ihrer Religion, den Gefetzen
wie überhaupt dem nationalen Leben, einen ausfchließlich
jüdifchen Charakter geben wollten, fetzten fie die heiligen
Schriften um in die in Jerufalem gefprochene Sprache,
für die es freilich noch keine Schrift gab, fie wählten
dazu eine modifizierte Form das Aramäifchen, als der
einzigen Schriftfprache, die ihnen bekannt war.

Das ift in kurzen Zügen der Inhalt von N.'s l'Archeo-
logie de l'Ancien Testament. Es ift nicht möglich, und
auch nicht nötig, im Einzelnen den Beweifen nachzugehen,
fchon diefe Skizzierung läßt leider nur zu deutlich erkennen
, daß der Ägyptologe fich hier auf ein Gebiet begeben
hat, für deffen Bearbeitung ihm durchaus die Vor-
ausfetzungen fehlen: was N. über den Pentateuch als Werk
des Mofe fagt, was aus feinen Äußerungen über die Bücher
Efra und Nehemja zu fchließen ift, beweift, daß er die
Probleme, um die es fich handelt, nicht kennt. Was feine
Exegefe angeht, fo will ich nur eine Stelle als charak-
teriftifch anführen. Das Prov. 25, 1 fich findende IpTiyn,
das LXX fachlich im wefentlichen zutreffend t^ygä^pavta
wiedergibt, mais la version grecque ajoute deux mots
tres insportants: ,Voici les proverbes de Salomon' al
aöitxxgiTOi. Dans les auteurs comme Polybe cet adjectif
signifie: les non intelligibles. Das beziehe fich nicht auf
den Inhalt der Proverbien, fondern auf das Alphabet:
diefe Sprüche waren unverftändlich für die, welche nicht
Keilfchrift lefen konnten, deswegen befchränkten fich die
Männer des Hiskia nicht darauf fie abzufchreiben, fondern
fie fchrieben fie ab in einer für jeden verftändlichen Schrift.
Es ift überflüffig ein Wort der Kritik diefer Beweisführung
hinzuzufügen. Ich verweife ferner auf die Art, wie N. die
feinen ganzen Anfchauungen entgegenftehenden Schwierigkeiten
, die in der älteften poetifchen Literatur liegen, zu
befeitigen fucht: auch N. beftreitet nicht, daß das Deboralied
der Richterzeit zugehört, aber das beweife keineswegs
, daß damals das Hebräifche fchon Schriftfprache
gewefen fei, vielmehr habe es damals noch auf dem
Niveau eines Volksdialektes geftanden, eine Behauptung,
für die jeder Beweis fehlt und auch aus dem uns vorliegenden
Material nicht zu erbringen ift. Auch der voll-
ftändige Mangel an hiftorifchen Zeugniffen über diefe
feit dem 5- Jahrhundert zweimal erfolgte Umgeftaltung
der altteftamentlichen Schriften, erft in das Aramäifche,
dann in das Hebräifche macht N. keinerlei Schwierigkeit,
er hätte fich doch fagen müffen, daß diefer Mangel jedes
Zeugniffes geradezu unbegreiflich wäre. Doch genug
damit. Ich kann diefe Arbeit nur für verfehlt halten.

Straßburg i/E. W. Nowack

Kolmodin, Prof. D. Adolf: Inledning tili Nya Teftamentets
Skrifter. 2. Delen. (Handböcker i Teologi III.) (VI
u. S. 433-736 u. XII S.) gr. 8°. Stockholm, P. A. Nor-
ftedt & Söner (1915). Kr. 8 —

Wer den foeben erfchienenen zweiten Teil der neutefta-
mentlichenEinleitung Kolmodins zur Hand nimmt, wird die-
felben charakteriftifchen Züge des Verfaffers fofort wiedererkennen
, die ihm bei dem Teil I aufgefallen find. Unter
Verweifung auf meine Befprechung desfelben in diefer
Zeitung (1915, Sp. 463h) befchränke ich mich daher jetzt
auf einige Inhaltsangaben und Einzelbemerkungen.

Nach einem Einleitungsparagraph über ,das unge-
fchriebene Evangelium' handelt Verf. von den drei erften
Evangelien und der fogenannten fynoptifchen Frage
(S. 433—543). In nahem Anfchluß an Zahn findet er die
Löfung diefer überaus fchwierigen Frage darin, daß Matth,
in feinem aramäifchen Originaltext von Marc, als Vorlage
benutzt worden fei, daß Luc. unter feinen Quellen auch
den Marc, (aber weder den aramäifchen noch den griechi-
fchen Matth.) gehabt habe, und daß die griechifche Über-
fetzung des Matth., die wir befitzen, von einem Manne
herrühre, der ficher mit unferem Marc, höchft wahrfchein-