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Ausgabe:

1916 Nr. 4

Spalte:

89-90

Autor/Hrsg.:

Cohen, Hermann

Titel/Untertitel:

Über das Eigentümliche des deutschen Geistes 1916

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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89

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 4.

90

a functional, biological, selective character, and is of value,
not for its sake primarily, but for the life which it serves',
S. 268, ,ideas which are accompanied by great emotion
and interest tend to be transformed into realities-, S. 277,
.nothing which I can feel like that can be false', S. 270
(nach James) find nicht feiten. Nichts defto weniger ift
der Verf. mit dem fehr bewunderten Hegel der Anficht,
daß der Philofoph und Theolog fich auf der Spur der
abfoluten Wahrheit befindet, daß es eine objektive und
in ihren Grundzügen faßbare Wahrheit gibt, und fpricht
in diefem Sinne gelegentlich von einer unerfchütterlichen
Vernunft, an der der vernünftige Geift teil hat, S. 275.
Es würde wohl im Sinne des Verf. fein, wenn man den
Verfuch machte, die theoretifche und praktifche Seite der
Erkenntnis als in dem unmittelbaren Wahrheitsgefühl zu-
fammenlaufend aufzuweifen. Doch dürften noch eingehendere
, kritifchere Unterfuchungen, als wie wir fie bei T. B.
lefen, (wie fie fich etwa bei unfern Neufriefianern finden)
nötig fein, um auf diefem fchwierigen Wege weiterzukommen
.

Iburg. W. Thimme.

Cohen, Herrn.: über das Eigentümliche des deutlchen Geiftes.

(Philofophifche Vorträge veröffentlicht v. der Kant-
gefellfchaft. Nr. 8.) (45 S.) gr. 8». Berlin, Reuther &
Reichard 1914. M. —80

Über die Eigentümlichkeit des deutfchen Geiftes fich
zu befinnen, gibt es heute Anlaß genug, und, wenn ein
fo hervorragender Denker wie Cohen das tut, fo wird man
hinhören. Freilich wird man in diefem Falle enttäufcht
fein. Denn fofort wird verfichert, daß es fich beim deutfchen
Geift um die deutfche Philofophie handelt, und daß
es fich bei der deutfchen Philofophie um die Wahlver-
wandtfchaft und Kontinuität mit dem mathematifch-ratio-
naliftifchen Idealismus der Eleaten und Piatons handelt,
den Nikolaus Cufanus erneuert, Leibniz ergänzt und Kant
vollendet habe. Es handelt fich alfo um die Cohenfche
Deutung Platons und Kants, und damit mehr um die Eigentümlichkeit
der Cohenfche Philofophie als um die des
deutfchen Geiftes. Die Konftruktion, durch welche der
Verfaffer feine eigene Philofophie zum allein berechtigten
Ausdruck des deutfchen Geiftes macht, ift die Thefe von
der Schaffung des mathematifchen Rationalismus und feiner
idealiftifch-erkenntnistheoretifchen Konfequenz durch die
Griechen, die Lehre von der Wahlverwandtfchaft des grie-
chifchen und deutfchen Geiftes, die in der Lehre Kants
aufgenommen wird und damit zum deutfchen Neu-Hu-
manismus führt. Eben damit ift die deutfch-griechifche
Philofophie der Inbegriff der univerfalen Vernunft überhaupt
, neben der der Senfualismus, die fubftanzialiftifche
Metaphyfik und die fchwärmerifchenunlogifchen Intuitionen
und Offenbarungsanfprüche die Unphilofophie oder die
unlogifch getrübte Philofophie bedeuten. Der Seitenblick
auf den Senfualismus der Engländer und den Intuitionismus
Bergfons ift dabei unverkennbar. Natürlich fehlt es
auch nicht an Seitenhieben auf die nach-Kantifche Metaphyfik
, insbefondere Hegel. Das eigentümlich ,Deutfche'
befteht alfo eigentlich im Rationell-Allgemeingiltigen und
ift infofern überhaupt nichts Eigentümliches, fondern
rationelle Wahrheit an fich. Aber das ift auch nur natürlich.
H/enn eine .Eigentümlichkeit', die das nicht wäre, wäre
eine Schlechte Eigentümlichkeit'. Die ,gute Eigentümlich-
™, deT Deutfchen befteht darin, daß fie das Univerfal-
Wahre befitzen: ,Man würde eine fchlechte Eigentümlichkeit
einem einzelnen Volksgeifte zufprechen, wenn man
Um* ms 7 7l an[Prech?n dürfte aus dem Univerfal-
geifte der Menfchhe.t heraus. Das aber, was die Griechen
begonnen haben haben die Deutfchen mit Kongenialität
tortgefetzt, das ift ihre Eigenart' S. 20. Alfo: die Eigenart
der deutfchen Philofophie ift, daß fie, und zwar innerhalb
ihrer die Cohen-Kantifche Philofophie, die allein richtige

ift. ,Die deutfche Philofophie allein hat nicht nur den
ftrengen Rationalismus feftgehalten, fondern fie hat ihn
auch, und zwar in folcher Vollendung allein, zum Idealismus
ausgeftaltet' S. 21. Immerhin follen um deswillen
doch die nach-Kantifchen Metaphyfiker nicht geradezu als
undeutfch bezeichnet werden, da ja doch auch bei ihnen
ein Reft des Transfzendentalismus erhalten geblieben fei
und fie deshalb zwar keinen klaffifchen, aber doch einen
bedeutenden Beitrag zur Philofophie bedeuten: ,Man kann
zwar den Mißbrauch des Idealismus den Nachfolgern
Kants zum Vorwurf machen, aber an ihrer Deutfchheit
darf man doch darüber nicht zweifeln' S. 21. Von dem
Marburger rationaliftifchen Idealismus aus ift dann auch
das ganze Kulturfyftem im echt-deutfchen Geifte zu verliehen
: natürliche Religion, deren Bahnbrecher die Reformation
ift; natürliches Recht, das den Staat der allgemeinen
Volksfchule und Bildung und damit der vernünftigen
Freiheit hervorbringt; natürliche Moral, die fich auf den
Begriff der Menfchheit bezieht, wie die Logik auf den der
Natur und ,in der weltbürgerlichen Gefinnung des deutfchen
Humanismus' fowie in der allgemeinen Wehrpflicht zum
Ausdruck kommt; die vernunftgemäße Gefellfchaft, die
fich in dem allgemeinen Wahlrecht des Reichstags und
der Bismarckfchen Sozialpolitik darftellt; auch die von der
rationalen Äfthetik, einer fpezififch deutfchen Schöpfung,
geleitete vernunfterfüllte Kunft, die in der Missa Solemnis
und in der Zauberflöte die Höhe ,der reinen Menfchenliebe,
gegründet auf den reinen Gottesglauben' erreicht. Ein
paar Sätze behaupten dann auch für die hiftorifchen Geiftes-
wiffenfchaften den Ausgang von Kants reiner Vernunft.

Es ift der reine Rationalismus. Ich vermag darin,
ebenfo wie in Cohens Sprache, nicht viel eigentümlich
deutfches zu erblicken. Es ift die Auffaffung von Wefen,
Gefchichte und Ziel der Philofophie als dem Inbegriff aller
Kultur in dem gewaltfamen Sinne des wefentlich mathe-
matifch gerichteten und zugleich ethifch ernfteren Ra-
tionaliften, der in der Gewißheit feiner Prinzipien vor keiner
Konftruktion zurückfchreckt, und fei fie noch fo trocken
und lebensfremd. Höchftens das Schulmeifterliche könnte
man daran .eigentümlich deutfch' finden.

Berlin. E. Troeltfch.

Stage, Hauptpaft. D. Curt: Geilt und Leben. Epiftelpredig-
ten. 1. Bd. Predigten über die altkirchlichen Epifteln.
Unter Mitwirkg. namhafter Prediger hrsg. 2. Aufl. (XV,
653 S.) gr. 8°. Leipzig, M. Heinfius Nachf. 1914.

M- 9 —i geb- M- 10 —
Der Band Epiftelpredigten aus der bekannten Sammlung
: .Fünf Jahrgänge Predigten unter Mitwirkung namhafter
Prediger', die vom Hauptpaftor am St. Katharinen
in Hamburg herausgegeben find, hat grade im Beginn
der Kriegszeit, wie fchon früher der Band mit den Predigten
über die altkirchlichen Evangelien, die zweite Auflage
erfahren. Der Herausgeber macht darauf aufmerkiäm,
daß Bezugnahme auf den Krieg nur in einer Predigt und
zwar in der von D. Schian, vorliege, der Druck fei faft
ganz beendet gewefen, als die Kämpfe begannen. Zehn neue
Mitarbeiter find eingetreten, die Verfaffer find in allen
Teilen Deutfchlands und darüber hinaus zu finden, im
Ganzen 68, von denen acht je zwei Beiträge, die andern je
einen geliefert haben. Neunzehn der Mitarbeiter find ver-
ftorben. Im Ganzen find 76 Predigten gegeben, außer den
66 für die regelmäßigen Gottesdienfte, noch eine für das
Reformations-, Guftav-Adolf-, Miffions-, Innere Miffions-,
Ernte-, und Totenfeft, dann für den Bußtag und Jahres-
fchluß, wie für Kaifers Geburtstag und den Sedantag.

Man kann über den Wert und Zweck einer lolchen
Sammlung von Predigten fo vieler Verfaffer geteilter
Meinung fein. Die einen werden fagen, daß fich aus einer
Sammlung von Predigten eines Verfaffers ein einheitlicheres
Bild und vielleicht eine nachhaltigere Wirkung ergebe,