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Ausgabe:

1916

Spalte:

81-83

Autor/Hrsg.:

Reuter, Hans

Titel/Untertitel:

S. Kierkegaards religionsphilosophische Gedanken im Verhältnis zu Hegels religionsphilosophischem System 1916

Rezensent:

Dorner, August

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lehnung an Dogma und Lehre der deutfchen Reformation
ift ihr Wefen nicht durchgedrungen, ihr Geift der angli-
kanifchen Volksreligion ferngeblieben. Diefe Heraushebung
etlicher markanten Sätze aus dem gedankenreichen
Vortrag möge zu feiner Lektüre einladen.

Berlin. Kawerau.

Berger, Dr. Hans: Die religiöfen Kulte der franzöfifchen Revolution
u. ihr Zufammenhang m. den Ideen der Aufklärung
. (Diff.) (96 S.) Freiburg i. B. 1914. (Berlin,
E. Fuhrmann.) M. 1.30

Streng genommen fällt nur die zweite Hälfte diefer
Arbeit unter den ihr gegebenen Titel. In der erften
fchildert der Vf. die Religionsphilofophie der franzöfifchen
Aufklärung fowie die gefamten kirchenpolitifchen Maßnahmen
der Revolution. Dabei geht er befonders dem
Verhalten der Bevölkerung gegen diefe einfchneidenden
Änderungen nach und zeichnet durch eine Reihe von
Einzelbeispielen, die er vor allem aus den Zeitungsbeberichten
gewinnt, einen breiteren Hintergrund.

Im zweiten Teil werden dann die beiden Revolutionskulte
, der der Vernunft und der des höchften Wefens,
riargeftellt und auf ihren Ideengehalt unterfucht. Der Kult
der Vernunft ftellt fich heraus als Etikette für fehr ver-
fchiedene Inhalte, wozu er fich durch feine Verfchwom-
menheit eignet. Da findet fich bald Oppofitioa gegen
den Katholizismus, bald reiner Atheismus, meift aber
Deismus als vorherrfchender Beftandteil; die Aufnahme
und Geftaltung diefer Kulte in Frankreich wird ebenfalls
durch viele Beifpiele belegt, die ein buntes Bild ergeben.

Der von Robespierre dafür eingefetzte Kult des
höchftens Wefens wird zuletzt gefchildert; in ihm fetzt
fich die Religion Rouffeaus durch gegenüber dem Deismus
etwa Voltaires. Aber war Rouffeau wirklich Theift
in unferm Sinne, wie ihn der Vf. zeichnet? Hier erfcheint
der Gegenfatz durch die Formel ,Theismus-Deismus'

fchief ausgedrückt. Treffender wäre er beftimmt als Ge- I nent logifcher Methode. Es gibt vielmehr eine Weltan
fühl gegenüber dem Intellekt. Ift der Vf. vielleicht durch 1 fehauung, der zufolge das Paradox höher ift als jedes
den von Rouffeau gebrauchten, zu jener Zeit von .Deismus' ; Syftem. Der Gegenfatz von Endlich und Unendlich kann
nicht fcharf unterfchiedenen Ausdruck .Theismus'verleitet? nicht auf logilche Weife, fondern nur durch Leidenfchaft
Im ganzen gibt feine Arbeit durch die anfchaulichen Ein- überwunden werden, durch einen Sprung, eine Radikalkur.

Prozeß der Idee verdufte. An Stelle des Erkennens fetzt
K. das Erleben des Subjekts, an Stelle des vernünftigen
Charakters des Weltprozeffes das Paradox, an Stelle der
Vermittelung der Gegenfätze ihre Unvereinbarkeit durch
vernünftiges Denken, den verzweifelten Sprung. Er-
kenntnistheoretifch beftreitet er die Identität von Sein
und Denken. Die Wirklichkeit wird durch das Denken
nicht erreicht, fondern fie muß vom Subjekt erlebt werden
. Die Religion erhebt fich über Äfthetik und Ethik
zum Abfoluten; nicht durch Denken, fondern durch Leidenfchaft
. Durch einen Sprung kann das Subjekt Gott
erreichen. Nur durch Leidenfchaft kann das Inkommen-
furable, das Endliche und das Unendliche, Gottes transzendente
Perfönlichkeit mit den endlichen Subjekt vereinigt
worden. Gott ifi: nicht der Welt immanent, nur
durch einen Willensentfchluß, der paradox ift, kann die
Einheit mit Gott erreicht, die Ewigkeit mit dem Augenblick
vereint werden, wie im Chriftentum die Einheit der
hiftorifchen Tatfache der Erlöfung in Chriftus mit der
Ewigkeit derfelben, die Verwirklichung des Ewigen in
einem zeitlichen Moment paradox ift. Nicht in der Form
des Selbftbewußtwerdens des abfoluten Geiftes im Men-
fchen vollzieht fich die abfolute Religion, fondern in einem
Bruch, das Chriftentum muß einem Ärgernis fein, das Individuum
muß von Allem in abfoluter Innerlichkeit abge-
fondert fein; es muß mit feiner Sünde brechen, muß fich
Gott gegenüber leidend verhalten. Im Glauben ift eine
neue Qualität, ein abfolutes Brechen mit der Sünde
und Schaffen Gottes; Liebe Gottes und Vertrauen des
Menfchen find als perfönliche eins. Ebenfo befteht die
Paradoxie, daß das Abfolute im Hiftorifchen erfcheint.
Im Hiftorifchen ift die Einheit des Metaphyfifchen und
Zufälligen, aber nicht nur fo, daß man die Erfcheinung
als Symbol des Metaphyfifchen, fondern fo, daß man auch
in der hiftorifchen Wirklichkeit das Metaphyfifche fieht. Im
hiftorifchen Verföhner ift die Befreiung von der Sünde
gegeben. Die ewige Seligkeit wird auf ein hiftorifches
Ereignis begründet. K. will nicht ein Syftem nach imma-

zelzüge eine lebendige Illuftration bekannter gefchicht-
licher Vorgänge.

Göttingen. E. Kohlmeyer.

Reuter, Dr. Hans: S. Kierkegaards religionsphilolophilche
Gedanken im Verhältnis zu Hegels religionsphilofophifchem
Syltem. (Abhandlungen zur Philofophie u. ihrer Ge-
fchichte, 23. Heft.) (VI, 131 S.) 8°. Leipzig, Quelle
& Meyer 1914. M. 4.50

Der Verfaffer beabfichtigt in diefer Schrift, an den
beiden Männern Hegel und Kierkegaard zwei Typen zu
fchildern, die in Bezug auf das Subjekt-Objektproblem
innerhalb der Religionsphilofophie eine klaffifche Formulierung
darftellen. Das gefchieht nun freilich, indem
Hegel zurücktritt und Kierkegaard in feinem Entwicklungsgang
und in feinen Hauptfchriften in feinem Verhältnis
zu Hegel gefchildert wird. In zwei Teilen ftellt
er fein Verhältnis zu Hegel dar, 1. in feiner Entwicklung

bis zum Abfchluß im Begriff Ironie 1841, 2. an feinen j geht. Man kann vielleicht mit mehr Recht fagen, daß

Nicht das fowohl als auch, das die Gegenfätze verflüchtigt,
fondern das Entweder Oder muß zur Geltung kommen.

Diefe Auffaffung Kierkegaards ift eine Oppofition
gegen Intellektualismus, gegen Rationalismus, gegen eine
zufammenhängende einheitliche Weltanfchauung, gegen
die Notwendigkeit der Entwicklung der Idee, gegen den
Idealismus Hegels. Reuter meint, der Gegenfatz beftehe
hauptfächlich darin, daß bei Hegel das objektive Moment,
bei Kierkegaard das Subjekt hervortrete, das objektive
Wiffen ftehe dem fubjektiven Glauben, der objektive
Prozeß der fubjektiven Entfcheidung gegenüber, die Notwendigkeit
der Freiheit; die Religion als Subjektiver innerlicher
Glaube ftehe hier der Religion als einem Gliede
in dem Prozeß des Selbftbewußtwerdens des abfoluten
Geiftes in der Vorftellung gegenüber. Ebenfo fei bei
Hegel Gott die Idee, bei K. die abfolute Perfönlichkeit,
das abfolute Subjekt. Allein K. ift nicht rein fubfektivi-
ftifch. Gott exiftiert außer dem Subjekt, ift transzendent,
ebenfo legt K. großes Gewicht auf die gefchichtliche
Wirklichkeit, die ebenfalls nicht in dem Subjekt vor fich

einzelnen Werken aus den Jahren 1843—46. Endlich faßt i K. das Irrationale, das Paradox betone, dem Monismus
er das Verhältnis beider Männer in einem dritten Teil gegenüber einen Dualismus, der nur durch die Leiden-
im Hinblick auf die Zentralprobleme der Religionsphilo- fchaft aufzuheben ift, dem Logifchen gegenüber den
fophie zufammen. Voluntarismus, der Immanenz gegenüber die Transzen-

Was er Hegel gegenüber geltend macht, der das ! denz und die abfolute, alles andere zurückftellende
Subjekt in dem Prozeß untergehen, der das Individuelle ; Souveränität der Religion. Wenn er in feinem letzten
gegenüber der Idee nicht zu feinem Recht kommen laffe, [ Stadium die Kirche bekämpft, fo kommt da wohl auch
ift das individuelle Subjekt. Er verlangt ferner Wirklich- [ der individuelle Subjektivismus zu Tage, aber ebenfo dies,
keit, während bei Hegel die konkrete Wirklichkeit im i daß das kirchliche Chriftentum nicht die im neuen Tefta-