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Ausgabe:

1916

Spalte:

80-81

Autor/Hrsg.:

Seeliger, Gerhard

Titel/Untertitel:

Deutsche und englische Reformation. Ein Vortrag 1916

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 4.

.So

Kodex A biete. Der antiochenifche Text ift zuzugeben,
in Bezug auf codex A mehr Referve zu üben; z. B. daß
Julian mit confessione die Lesart A dyaXTLidöeoq ftatt
e^o/ioXoy^öscaq der Anderen vertrete, lieft man mit Befremden
. In den griechifchen Texten begegnen viele
Druckfehler, fonft möchte ich S. 57,16 creaturum ft. crea-
turarum, S. 95,5 und 7 istituta und quaestionis ft. in-
stituta und conquestionis, S. 196,11 obstetricantur ft. ob-
stetricabuntur zur Verbefferung empfehlen.

Um die merkwürdig von den Prophetenkommentaren
abftechende Knappheit des Hiobkommentars zu erklären,
verweift V. auf die Scholien- und Tomi-Kommentare des
Origenes. Den letzten Verdacht, es möchte doch nur
ein Auszug aus Julians größerem Hiob-Werk im C.
Casinensis erhalten fein, hat er bei mir noch nicht behoben
, und ebenfo wenig die , Alfter' in Fällen, wo noch
gar keine Erklärung vorangegangen war, ausreichend
gerechtfertigt. Brennend bleibt die Frage, in welche
Periode der fchriftftellerifchen Tätigkeit Julians fein Hiob-
Kommentar zu verlegen ift. Wenn er unverletzt vorliegt,
muß man ihn wohl wegen des völligen Fehlens von
Polemik zu feinen älteften Arbeiten zählen, die Sprache
dagegen fcheint ihn mir vorläufig näher an die doch
wohl jüngeren Prophetenkommentare heranzurücken als
an die 419 und 422 gefchriebenen antiauguftinifchen Streit-
fchriften. Aber leider unterläßt es V. — dem Niemand
ein vollftändiges Regifter für die den 3 Gruppen julianifcher
Werke gemeinfamen Ausdrücke und Manieren zumuten
wird — ein wenigftens die Hauptfachen enthaltendes Verzeichnis
der von Morin verwendeten Koinzidenzen zwifchen
dogmatifchen und exegetifchen Arbeiten Julians aufzu-
ftellen, zu denen der Hiob-Kommentar keine Parallele
enthält Für die Löfung der Frage nach der Entftehungs-
zeit wird die Ausfüllung diefer Lücke befonders ins Gewicht
fallen. Ich hoffe, daß die Leitung des Wiener Corpus
Scr. Eccl. Lat. die wahrlich lohnende Aufgabe übernimmt,
uns in einem Bande mit den kritifch wiederhergeftellten
Schriften diefes Julian zu befchenken, und wäre meiner-
feits es fehr zufrieden, wenn zum Zweck bequemer Ver-
gleichung mit Julians Hiobkommentar im gleichen Bande
ein echter ,Philippus presb.' dargereicht würde.

Marburg (Lahn). Ad. Jülich er.

Möhler, Dr. Ludw.: Die Kardinäle Jakob u. Peter Colonna.

Ein Beitrag zur Gefchichte des Zeitalters Bonifaz' VIII.
(Quellen u. Forfchungen aus dem Gebiete der Gefchichte.
17. Bd.) (XV, 285 S.) Paderborn, F. Schöningh 1914.

M. 12 —

Die vorliegende Arbeit entflammt der Schule Heinrich
Finkes in Freiburg. An der Hand gedruckter und
ungedruckter Quellen — eine Anzahl wertvoller bislang
unbekannter Dokumente hat der Verf. im Anhange veröffentlicht
— find Leben und Wirken der beiden Kardinäle
Jakob und Peter Colonna in allen Einzelheiten gründlich
unterfucht und dargeftellt. Naturgemäß fleht im Mittelpunkte
der Streit mit Bonifaz VIII., deffen Urfprünge und
Zufammenhänge nach der Anficht des Verf. noch nicht
genügend aufgeklärt waren. Wie kam es, daß fich die
beiden Colonna mit dem Papft, für den fie felbft ihre
Wahlfti mme abgegeben hatten, tödlich verfeindeten und
ihn bis über das Grab hinaus mit ihrem Haffe verfolgten?
Der Streit entfprang nach den glaublichen Ausführungen
des Verf. perfönlichen Gegenfätzen. Durch fein felbft-
herrliches Regiment und durch feine fchroffe und rück-
fichtslofe Art machte Bonifaz fich die Kardinäle zu F'ein-
den. Gelegentlich des Schatzraubes von 1297 kam der
bisher im geheimen geführte Kampf zum offenen Ausbruch
. Der Papft ergriff die erwünfchte Gelegenheit, um
der Machtftellung des Haufes Colonna ein Ende zu machen:
er raubte den Colonna alle ihre Ämter und Befitzungen
und zwang die beiden Kardinäle als landfremde Flüchtlinge
die Gaftffeundfchaft des franzöfifchen Hofes in An-
fpruch zu nehmen. Hier floß der perfönliche Streit zwifchen
Bonifaz und den beiden Colonna mit dem welt-
gefchichtlichen Kampfe zwifchen dem univerfalen Papft-
tum und der franzöfifchen Nationalkirche zufammen.
Philipp der Schöne bediente fich der Kardinäle als Werkzeuge
gegen die Kurie. Das traurige Schickfal der beiden
Colonna erklärt ihre Erbitterung gegen den Papft. Sie
fchreckten vor keinem Mittel zurück, um fich an ihrem
Todfeinde zu rächen. Während fie zu feinem Lebzeiten
die Rechtmäßigkeit feines Papfttums angefochten, fuchten
fie ihn nach feinem Tode als einen Häretiker zu brandmarken
. In der hart umftrittenen Frage, ob Bonifaz VIII.
ein Ketzer gewefen fei, ftellt fich der Verf. auf die Seite
derer, welche die Zeugenausfagen in dem gegen den Papft
angeftrengten Prozeß für unglaubwürdig halten und Bonifaz
von dem Verdachte der Härefie freifprechen. Die
Darfteilung des Verf. ift gründlich, klar und objektiv,
wenn auch ein wenig trocken und farblos. Das Buch ift
eine Folge von Einzelunterfuchungen, keine eigentliche
Biographie. Ein näheres Eingehen auf die Charaktere
der handelnden Perfonen hätte ficherlich die Tatfachen
diefes perfönlichen Kampfes zwifchen dem Papft und den
beiden Kardinälen noch fchärfer hervortreten laffen.

Breslau. Manfred Stimming.

Seeliger, Prof. Dr. Gerh.: Deutfche u. englifche Reformation.

Ein Vortrag. (28 S.) 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1915.

M. — 50

Der verdiente Leipziger Hiftoriker behandelt in feinem
lichtvollen Vortrage ein fehr zeitgemäßes Thema, fo wenig
er auch direkt dabei auf die Situation des Tages Streiflichter
fallen läßt: mühelos wird der Lefer diefe hinzufügen
können. Die Verfchiedenheit der Religiofität beider
Völker, die wir jetzt fo ftark empfinden, führt er auf die
Verfchiedenheit der Reformation, die fie erlebt haben,
zurück. Beide Reformationen reihen fich an mittelalterliche
Erfcheinungen an. Die englifche Reformation fetzt
an die Bewegungen an, in denen der Staat Einfluß auf

i die Kirche zu gewinnen fuchte. Heinrich VIII. hatte,
nicht von Gewiffensfragen getrieben, fondern lediglich nach
Zweckmäßigkeitserwägungen die Verfaffungsfrage als
Machtfrage des Staates im Auge; fein Volk folgt ihm bei
feiner Loslöfung von Rom, weil die Befeitigung des maßgebenden
Einfluffes der fremden Macht und der finanziellen
Leiftungen für Rom den englifchen Volkswünfchen
entfprach. Erft nachträglich und notgedrungen nimmt
die englifche Reformation dies und das der reformato-
rifchen Lehre auf, aber in widerfpruchsvoller Art, im

! Schwanken zwifchen Katholizismus und Proteftantismus.
Die deutfche Reformation ift dagegen die Vollenderin der
wahrhaft religiöfen Beftrebungen des fpäteren Mittelalters:
Luther fchafft eine neue Religiofität ohne jede Rückficht

| auf Verfaffungs- und politifche Prägen. Betreffs letzterer,
die erft in weiterer Folge Berückfichtigung forderten, kam
die deutfche Reformation begreiflicherweife zu wechfel-
vollen Ergebniffen. Diefe Grundgedanken führt der Verf.
weiter aus, erklärt daraus, daß England das Kirchentum

! der politifchen Machtidee dienftbar macht, warum grade,
der Calvinismus in England Aufnahme fand: der ftarke
Zug diefes nach Herrfchaft, die Übertragung altjüdifcher
Machtvorftellungen auf das eigne ftaatliche Sein kamen
dem Zuge der englifchen Reformation entgegen. Im
Puritanertum wird der Glaube, daß England als auserwähltes
Volk zur Herrfchaft über die ganze Ende benimmt
fei, genährt. In der Entwicklung der Reformation
in England wirkt zugleich das Verhältnis der Angel-
fachfen zur Religion überhaupt mit: Beobachtung der
äußeren Form, zähes Fefthalten an ihr wie an einem geheiligten
Erbe, aber Willkür in allem, was unter der gleichmäßigen
Form gefchieht. Trotz aller nachträglichen An-