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Ausgabe:

1916 Nr. 3

Spalte:

61-64

Autor/Hrsg.:

Frankl, Paul

Titel/Untertitel:

Die Entwicklungsphasen der neueren Baukunst 1916

Rezensent:

Strzygowski, Josef

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61 Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 3. 62

Herrfchaft kommen — mit der Macht der Wahrheit. So Körper und Licht. Die Entwicklung werde herbeigeführt
kann die Bibel in ganz neuer Problemftellung dem Dog- durch das Wirken von Pol und Gegenpol. Im Zweck
ma geradezu gegenübergefetzt werden. Eine ruhig weiter- j arbeite der urfprünglich gebundenen Perfönlichkeit die
gehendeEntwicklung zeigen diefe Männer; die drei Perioden i Freiheit der Gefinnung entgegen, fie dränge vom Endin
Tellers Leben, die der Verf. unterfcheidet, bedeuten ; liehen zum Unendlichen, vom Fragment zur Einheit, vom
keinen Sprung oder Bruch. Faft unperfönlich mutet uns j Makrokosmos zum Mikrokosmos. Im Raumproblem wirke

folche Geftalt an; nicht große Perfonen fondern große
Prinzipien, eine neue Wiffenfchaft fetzt fich durch, Schritt
um Schritt, aber darum ohne Rückfehritt, und als Grundlage
für die Arbeit der Zukunft. Jeder diefer Männer
hat mitgeholfen an der großen Aufgabe jenes Zeitalters,
der Auseinanderfetzung zwifchen der alten Religion und
dem neuen Weltbild.

der Pol Divifion der Addition entgegen, im Körperlichen
die durchläffige Kraft der zentralifierenden, im Licht
(und der Farbe) ftehe der Vielbildlichkeit die Einbildlich-
keit gegenüber. Diefe ,Polaritäten der Stilgefchichte' bewähren
fich für ihn im Gegenfatz von Renaiffance und
Barock, verflüchtigen fich aber in Rokoko und Klaffizis-
mus. Damit fällt m. E. das ganze Syftem famt der

Göttin n jr Kohlmeyer ! Polaritätentheorie. Die Scheidung von Gebundenheit und

! Freiheit der Perfönlichkeit find nicht Pole, die beftimmte
I Stile in der Gefinnung kennzeichnen, fondern gehören zu
Frankl, Paul: Die Entwicklungspharen der neueren Baukunlt. | jeder künftlerifchen Regung, ihre Spannung liegt im Wefen
/ttttt tQ„ c „„ AU.-,j m r 1 on der Kunft überhaupt. Der .Zweck' ift im Gebiete der

(VIII, 187 S. m. 50 Abbüdgn. u. 12 Tafeln.) gr. 8«. Baukunft gleich zu fetzen der Gebundenheit der Perfön-
Leipzig, B. G. Teubner 1914. M. 6—; geb. M. 7.50 ; lichkeit im Rahmen des Geiftigen, der Bedeutung. Des-
Es ift ein achtenswertes, planmäßiges Vorgehen, das halb muß dem Zweck, der von der herrfchenden Kultur
dem Buche zugrunde liegt. Damit die von der Redaktion 1 beftimmt wird, ein Gegenpol in der freien Perfönlichkeit
erbetene, fcheinbar ablehnende, Befprechung nicht mißver- i des Künftlers entgegengeftellt werden, deren feelifcher
ftanden werde, fei von vornherein gefagt, daß Referent ! Gehalt fich im Wege der Kunft unter allen Umftanden
den fyftematifchen Problemen, die fich Frankl ftellt, feit S durchzuringen fucht. Und ähnlich ift es im Gebiete der
Jahrzehnten nachgeht. Da nun Frankl davon keine Kennt- | Form. Diefe als Ausfluß der freien künftlerifchen Perfön-
nis genommen hat — vgl. zuletzt den Auffatz ,Der Wandel 1 henkelt muß einer andern, die gebunden ift, gegenüber

der Kunftforfchung'. Zeitfchrift für bildende Kunft Bd. L
(1914/5) S. 3 t". — fo mußten Gegenfätze entftehen, die fich
im vorliegenden Falle um fo mehr zufpitzen, als Rezenfent
in einer umfaffenden Arbeit über den altchriftlichen

geftellt werden, ich nenne fie die Geftalt Ihr gehören
nicht nur die der Natur als verftändliche Zeichen entnommenen
Gebilde an, auch das was urfprünglich freie Form
war, dann durch Gewohnheit gebunden wurde, wie die

armenifchen Kirchenbau fteckt, der reiner als die neuere | Geftalten, die der Hiftorismus zeitigt, der ,aus der Kunft

Baukunft in Europa auf dem Boden des Raumbaues mit
dem Leitmotiv der Kuppel fteht. Daraus hat fich ein
Maßftab für die Einfehätzung der europäifchen Entwicklung
ergeben, den Frankl nicht kannte. Ich möchte daher
ausdrücklich bitten, aus der Gegenftellung, die ich dem
Buche gegenüber einnehme, nicht etwa zu fchließen, daß
es nicht gut fei. Im Gegenteil; wenn ich mich überhaupt
damit auseinanderfetzen kann, fo liegt das nur daran, daß

die Kunft verdrängt'. Geftalt ift die gebundene, Form
die freie Erfcheinung im Kunftwerk. Die eigentlichen
Pole find fo Gebundenheit und Freiheit der Perfönlichkeit,
Bedeutung und Erfcheinung des Werkes. Ich will nun
zunächft die Probleme der Erfcheinung, dann die der
Bedeutung in der neueren Baukunft nach Frankl, durch-
fprechen. Für das Syftem vgl. Potpefchnigg ,Einführung
in die Betrachtung von Werken der bildenden Kunft'

die Arbeit Frankls eben neue Wege geht und zugleich ! (Wien 1915). Man wird dort eine klarere Syftematik ver-
mit großer Hingabe und Gewiffenhaftigkeit gearbeitet ift, ^eten finden, als fie Frankl, in Wölfflin und Schmarfow
vor allem ohne jene Scheu vor einer fyftematifchen Zu- ; fußend, zu geben vermag.

fammenfaffung der Probleme, denen der Durchfchnitts- Frankl hat in jahrelangen gewiffenhaften Forfchungen

kunfthiftoriker von Fach heute noch fo gern ausweicht, j und auf Reifen das Material gefammelt, mit dem er jetzt
An der Baukunft von 1420—19-00 will der Verfaffer, j arbeitet. Er hätte einleitend vielleicht fagen können, daß
der leider mehr als er ahnt, von Wölfflin und Schmarfow er eine Entwicklungsgefchichte des Kuppelbaues gibt und
abhängig ift, die Pole der nach feiner Überzeugung be- 1 dabei nicht mehr zu fcheiden vermag zwifchen den ein-
ftimmenden vier Elemente: Raum, Körper, Licht und ! zelnen Ländergruppen — wie es bisher üblich war —,
Zweck auffuchen und zeigen, wie zwifchen diefen Polen j es vielmehr mit einer Weltkunft zu tun habe, die örtlich
Stilphafe um Stilphafe fchwingt. Der Wille zur Feft- I Grenzen ebenfowenig kenne, wie etwa der Jefuitenorden.
ftellung gewiffer Polaritäten ift die Tendenz der Arbeit, die j Im erften Abfchnitt behandelt Frankl die Entwicklungsais
eine proviforifche bezeichnet wird, weil fpäter in ana- phafen der Raumform und fpitzt fie zu auf die Pole
loger Methode die älteren Zeitftrecken der Entwicklung der ' Addition und Divifion. Wozu die Fremdworte? Neben-
Baukunft unterfucht werden follen, ,um dann durch den ; Ordnung und Unterordnung täten es als Bezeichnungen
Vergleich der ganzen Epochen und ihrer Entwicklung zu gerade fo gut. Die Hauptfache wäre gewefen zu betonen,
einem Einblick in den Organismus des Verlaufes zu ge- | daß der hergebrachte Langhausbau, foweit er kreuzgelangen
'. Es ift allo eine große Aufgabe, die fich der Ver- | wölbt ift, Nebenordnung, der Kuppelbau im Prinzip Unter -
faffer ftellt und als deren erfter Teil und Löfungsverfuch Ordnung herausfordert. Bei Frankl kommt m. E. vieles
das vorliegende Buch erfcheint Ich glaube, es mußte fich unklar heraus, weil er diefes latente Ziel nicht an die Spitze

ftellt und die verfchiedenen Irrwege des Suchens zu wenig
auseinander hält. Er hätte nur ahnen follen, daß der
Kuppelbau ähnlich wie der Langhausbau die reinfte Entwicklung
bei Eintritt der Renaiffance längft hinter fich
hatte. Aber wer weiß etwas von diefer großen Blüte des
Kuppelbaues im Perfifch-Armenifchen ? Dort war der
Kuppelbau das Urfprüngliche und wurde durch den vom
Weiten und Süden vordringenden Langhausbau zwar beeinflußt
, fo daß neue Zwifchenformen entftanden, die Unterordnung
unter die Kuppel aber und die Einheitlichkeit
der Raumwirkung durchaus entfeheidend blieb. Man kann
nicht über Renaiffance arbeiten, ohne für den Kuppelbau
die von Armenien ausgehende chriftliche Kuppelkirche

rächen, daß der Autor beim Ende ftatt mit dem Anfang
der Entwicklung begonnen und nur das Gebiet der Baukunft
ins Auge gefaßt hat. Die natürliche Art des Vorgehens
(d. h. monographifch im Hinblick auf die Baukunft
, aber mit dem Blick auf das Ganze der bildenden
Kunft von ihren Anfängen an) hätte Frankl vielleicht die
beftimmenden Elemente, den Wert der Frage nach den
Polen und feine feltfame Einfehätzung der Aefthetik in
anderem Lichte erfcheinen laffen.

Frankl hat fich folgendes Syftem für die Methode feiner
Forfchung zurechtgelegt (S. 1741). Er trennt zwifchen
Gefinnung und Form; erftere äußere fich in dem Verhalten
zum Zweck, letztere in dem Verhalten zu Raum,