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Ausgabe:

1916 Nr. 2

Spalte:

33-34

Autor/Hrsg.:

Hirsch, Hans

Titel/Untertitel:

Die Klosterimmunität seit dem Investiturstreit. Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches und der deutschen Kirche 1916

Rezensent:

Stimming, Manfred

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 2.

34

(Quellenfammlung zur deutfchen Gefchichte.) (VI,
89 S.) 8°. Leipzig, B. G. Teubner 1915. Kart. M. 1.80
Über den Zweck des Unternehmens hat fich Fritz
Vigener in dem zuerft erfchienenen zweiten Hefte 1914
ausgebrochen; feine Worte mögen auch die Abfichten
des neuen Bändchens kennzeichnen: Diefe Sammlung von j
Auszügen aus Gefchichtswerken des Mittelalters ,will dazu
anleiten, in den Gefchichtsquellen nicht nur Zeugniffe der I
Begebenheiten, fondern vor allem auch Erzeugniffe der
Geifter zu würdigen, um fo den Lernenden in die Formen |
und den Entwicklungsgang der mittelalterlichen Gefchicht- j
fchreibung einzuführen'. Gedacht als Hilfsmittel für Übungen
Hiftorifcher Seminare oder als ,ein befcheidenes
Lefebuch zur Ergänzung der Vorlefung', follen die dargebotenen
Auszüge das Lefen des Ganzen nicht erfetzen
oder hindern, fondern ,im Gegenteil dazu anregen und
hinleiten'. Behält man diefen Satz im Auge und bleibt
fich bewußt, daß nur das Durcharbeiten mindeftens größerer
zufammenhängender Abfchnitte der Quellen eine I
wirkliche Anfchauung vermitteln kann, fo ift auch diefes
Heft mit Dank zu begrüßen, das die Hauptarten der Ge-
fchichtfchreibung des frühen Mittelalters veranfchaulichen
will und trotz der durch die Raumverhältniffe gebotenen 1
Befchränkung für die Einführung von Anfängern ficherlich
gute Dienfte leiften wird, fo fehr diefe kurzen Auszüge
z. B. aus Gregor von Tours, Einhard oder Nithard eben 1
auch nur der erften Einführung dienen können. Die
Auswahl der berückfichtigten Gefchichtfchreiber fcheint
mir im allgemeinen gelungen, und mit Recht hat Kern ;
auch Ausläufer der chriftlichen Antike wegen ihrer Ein- |
wirkung auf die mittelalterliche Gefchichtfchreibung ein- I
bezogen, wie Eufebius-Rufinus, Hieronymus, Sulpicius
Severus, Auguftin und Orofius. Neben Hieronymus'Schrift
De viris illustribus hätte feine fo überaus einflußreiche
Weltchronik herangezogen werden follen, ebenfo die des
Beda; wenige Zeilen an der Hand des grundlegenden
Werkes von Quentin hätten von der fo verbreiteten Gattung
der ,hiftorifchen' Martyrologien eine Anfchauung
geben können, und wenn hier Gildas vertreten ift, fo fcheint
mir in den Rahmen des Bändchens auch Affers Leben
Alfreds des Großen zu fallen, deffen vortreffliche Ausgabe
von Stevenson (1904) unferen Studierenden bekannt
zu werden verdient. Aus Auguftins Werk De civitate
Dei würde ich die Lehre von den Weltaltern (XXII, 30)
aufgenommen, von Orofius den einen oder andern bezeichnenden
Abfchnitt aus dem letzten Buche hinzugefügt
haben. Bei den frühkarolingifchen Annalen hätte ich
die Annales Laureshamenses durch die Mosellani erfetzt
und den Zufammenhang diefer Annaliftik mit Oftertafeln
durch ein paar Zeilen veranfchaulicht. Wenn Frechulf
von Lifieux hier überhaupt Aufnahme finden follte, fo genügt
doch kaum der Widmungsbrief zur Kennzeichnung,
und von Thegan dürfte auch eines der temperamentvollen
Kapitel vom Jahre 833 fich der Beachtung empfehlen.
Doch das find perfönliche Wünfche, zu deren Erwägung
ich dem Bearbeiter die Gelegenheit einer zweiten Auflage
in nicht zu ferner Zeit wünfche. Für Jonas von Sufa
(S. 37) war von Krufchs Ausgabe auch die verbefferte Bearbeitung
in den Scriptores rerum Germanicarum (1905)
zu nennen,

Bonn. Wilhelm Levifon.

Hirtch, Hans: Die Klofterimmunität feit dem Inveftiturftreit.

Unterfuchungen zur Verfaffungsgefchichte des deutfchen
Reiches u. der deutfchen Kirche. (VIII, 230 S.) gr. 8°.
Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1913. M. 6 —

Die von Ulrich Stutz entwickelte Eigenkirchentheorie
hat fich als außerordentlich fruchtbar erwiefen; fie hat
nicht nur unfere Erkenntnis der mittelalterlichen Gefchichte
bedeutend vertieft und bereichert, fondern auch die For-
fchung im hohen Maße angeregt. An fie knüpft auch

die vorliegende Arbeit an, welche fich die Unterfuchung
der Immunität der feit dem Inveftiturftreite gegründeten
Reformklöfter zur Aufgabe gefleht hat. Die ungewöhnlich
reichen Ergebniffe der Unterfuchung kommen der
politifchen, der Rechts- und der Kirchengefchichte in
gleicher Weife zugute. Der vielfeitige Inhalt der vortrefflichen
Arbeit kann hier nur kurz fkizziert werden.
Den Stutz'fchen Ideen folgend, fleht der Verf. als
den Hauptprogrammpunkt der Kirchenreform nach der
verfaffungsgefchichtlichen Seite die Abfchaffung des weltlichen
Eigenkirchenrechtes feft. In der füddeutfchen
Klofterpolitik des Papftes Leo IX glaubt er einen Auftakt
zu diefen Beftrebungen zu fehen. Seit dem Inveftiturftreite
bedeutet Abbatia libera nicht mehr Zugehörigkeit
zur Reichskirche, fondern Verneinung der Laienherr-
fchaft. Der Papfit trat als Obereigentümer an die Stelle
der früheren Eigenkirchenherren. Die Ziele der Reformklöfter
und der Kurie gingen jedoch auseinander: diefe
wollten Befreiung von der weltlichen Herrfchaft unter
dem Schutze des Papftes, jene Eigentumsrecht anflehe
der weltlichen Eigentümer. Einig waren fich beide in
dem Streben, die aus dem Eigenkirchenrechte entwickelte
Vogteigewalt zu unterdrücken. Die eingeführten Be-
fchränkungen ließen fich jedoch nicht dauernd durchführen
; fafl überall gelangten die adeligen Kloftergründer
wieder in den vollen Befitz der erblichen Vogtei. So
wurden nicht der Papft, fondern die Vögte Erben des
Eigenkirchenrechtes. Der Umfang der Vogtsgerichtsbarkeit
wurde gewöhnlich durch die Formel ,Dieb und Frevel'
umfchrieben. Diebftahl ift nach den Feftftellungen des
Verf. der Prototyp aller unehrlichen Verbrechen, Frevel
die Kollektivbezeichnung aller blutigen Straffälle; beide
Begriffe in ihrer Verbindung geben den gefamten Inhalt
der Hochgerichtsbarkeit wieder. Eine befondere Stellung
nahmen die Zifterzienfer ein. Als Eigenbauer ohne Hörige
bedurften fie anfangs nicht der Gerichtsvogtei; fie flehten
fich unter den unmittelbaren Schutz, die Schirmvogtei,
des Kaifers. Friedrich I nahm jedoch auf Grund diefes
Schutzverhältniffes im Geltungsbereich der kaiferlichen
Güter- und Territorialpolitik (Oftfranken und Schwaben)
die Vogtei über die Zifterzienferklöfter als nutzbares Recht
für das Reich in Anfpruch. Auch fonft wurde die Gerichtsvogtei
bei den Zifterzienfern, die fpäter ebenfalls zurKolonen-
wirtfchaft übergingen, eingeführt. Sie geriet faft überall
in die Hände der Territorialherren und bildete die Grundlage
für die Ausdehnung der Landeshoheit über das
Klofterland. Ausgenommen von der Gewalt des Vogtes
blieb in der Regel das Gebiet der fogenannten engeren
Immunität. Hier übte entweder der Abt felbft die Hochgerichtsbarkeit
, oder die ftraffälligen Verbrecher waren
dem außerhalb wohnenden kompetenten Hochrichter zur
Aburteilung auszuliefern. Für das Inftitut der engeren
Immunität ftellt der Verf. zwei Wurzeln feft: eine römifch-
rechtliche: die alte römifche Immunität des kirchlichen
Grundeigentums und eine deutfch-rechtliche: die höhere
Befriedung befeftigter Orte. Beide vereinigten fich jedoch
bereits in fränkifcher Zeit zu gemeinfamer Rechtswirkung
. Mag auch diefer oder jener Punkt der Dar-
ftellung noch anfechtbar fein, fo gehören doch die fcharf-
finnigen und lichtbringenden Unterfuchungen des Verf.
zu den fchönften Früchten moderner Gefchichtsforfchuno-

Breslau. Manfred Stimming.

Jahrbuch für Brandenburgifche Kirchengefchichte. Hrsg. im
Auftrage des Vereins f. Brandenburg. Kirchengefchichte
v. Geh. Oberkonfift.-Rat Prof. D. Dr. Guflav Kawerau
u. Priv.-Doz. Prof. Lic. Leopold Zfcharnack. 11. u.
12. Jahrg. (IV, 359 S.) gr. 8°. Berlin, M. Warneck
1914.

Auch diefer Band zeichnet fich aus durch Mannigfaltigkeit
des Inhalts und Gediegenheit der Beiträge. Die

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