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Ausgabe:

1916 Nr. 2

Spalte:

548-549

Autor/Hrsg.:

Kirmis, Fr.

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Frage nach dem Datum der Geburt, des Todes und des Abendmahls Jesu. Eine historisch-exeget. Studie 1916

Rezensent:

Bauer, Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 25/26.

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die allerdings befremdliche Herabfetzung der Pfychologie
zu einer bloßen ,Naturwiffenfchaft' zufammenhängt. Der
Verf. dagegen holt es wieder hervor und verfchärft es
mit allem Nachdruck. Wir erhalten alfo einen dem
logifchen Subjekt immanenten, den pfychologifchen Subjekten
aber transfcendenten, durch Ergänzung und Unterlegung
der unmittelbaren Erfahrung hervorgebrachten
Ding-Zufammenhang in der Natur und Wirkungs-Zu-
fammenhang in der Gefchichte. Sein Realitätscharakter
wird noch gefteigert und endgiltg bewiefen durch feinen
Widerftand gegen die Subjektivitäten des Willens, in
welchem allein das eigentlich Subjektive der empirifch-
pfychologifchen Subjekte liegt, womit ein bekannter Gedanke
Diltheys aufgenommen ift. Das führt beim Verf.
zu einer erneuten Zentralfteilung der pfychologifchen Probleme
, alfozu einer fehr fchwierigenModifikation desIdealismus
von der Pfychologie her. Das zieht ihn dann natürlich
in alle Schwierigkeiten der pfychologifchen und phyfiolo-
gifchen Wahrnehmungstheorien und der entfprechenden
phyfikalifchen und chemifchen Korrelate hinein, ferner
in noch fchwierigere Theorien von der Erfahrbarkeit
fremder Subjekte oder des fremden, einem fremden
Leib zugeordneten Seelenlebens. Die Schwierigkeit befiehlt
nicht nur in dem kontroverfen Charakter diefer
Theoren, wo der Verf. fich mit vielen ,Vielleicht' und ,Wenn
auch' ihilft und wo jedenfalls meine Urteilskompetenz
aufhör t. Die Schwierigkeit liegt vielmehr ganz prinzipiell
in der Bedrohung des ganzen Ausgangspunktes vom
Standpunkt der Immanenz und des logifchen Subjektes.
Ein realer Dingzufammenhang, mit ihm unterlegten, zu
ihm hinzuzudenkenden Gefetzen und Subftanzbegriffen,
ift Gegenftand der Wahrnehmung für die empirifch-
pfychologifchen Subjekte und geltender Begriff für das
logifche Subjekt. Man fieht nicht recht, was dabei für
den Standpunkt der Immanenz noch übrig bleiben foll,
und an Stelle des logifchen Subjektes ift doch offenkundig
das empirifch-pfychologifche getreten. Dann
aber geht das ganze philofophifche Denken hinüber auf
einen ganz anderen Einfatzpunkt, auf die Bearbeitung
der Erfahrung zu logifch objektivierter und gereinigter Realität
eines dem empirifchen Subjekt transzendenten Seins,
von der aus dann wieder in alter Weife das pfychologifche
Subjekt und fein Denken problematifch wird. Ich glaube
nicht, daß auf diefe Weife die oben berührten Bedenken
gegen Rickerts Theorie der ,Gegenftändlichkeit' wirklich
behoben werden können. Ich glaube vielmehr, daß aus
diefen Schwierigkeiten nur metaphyfifche Theorien einen
Ausweg gewähren, die fich auf das Verhältnis des empi-
rifch-pfychologifchen Subjekts zum logifchen beziehen.
Der Verf. deutet mehrmals folche an, lehnt fie aber ab.
Von ihnen kann hier natürlich nicht weiter die Rede
fein. Ich hebe nur hervor, daß des Verf.s Streben nach
Realismus an allen Punkten die Vergewaltigung der Erfahrung
durch logifche Notwendigkeiten ablehnt und auch
die Selbftbegründung der praktifchen Vernunft durch
autonome Selbftbeftimmung d. h. metaphyfifche Freiheit
nachdrücklich hervorhebt. Doch habe ich von feinen
Theorien über die Objektivität der Zeit wieder den Eindruck
, als ob feine Freiheitslehre dadurch ins Gedränge
käme.

Es find uralte Fragen in neuer Durchdenkung, und
im Hinblick auf den neueften Stand der Wiffenfchaft,
außerordentlich anregend und lehrreich behandelt, aber
ohne Abfchluß, wie das nicht anders fein kann. Für
die Theologen ergibt fich daraus, wie weit ihr Gegenftand
von jeder Möglichkeit eigentlich wiffenfchaftlicher Behandlung
, fofern fie nicht eine hiftorifche ift, abliegt und
wie fehr fie in deffen fyftematifcher Erfaffung fich auf
das Einfachfte und wefentlich Religiöfe konzentrieren
müffen, wenn fie nicht in alle Endlofigkeiten der modernen
Philofophie hoffnungslos verwickelt werden oder
überflüffige Künfte treiben wollen. Der heute zunehmende
Realismus zerbricht den logifchen Monismus fowohl in

feiner objektiviftifchen als in feiner fubjektiviftifchen Form
Das gibt dem Gottesglauben mehr Raum und Bewegung
, fobald er hinreichend Grund und Kraft in fich
felber hat.

Im übrigen enthält das Buch einige finnftörende
Druckfehler. S. 141 muß es ftatt ,unverkennbar' unerkennbar
heißen, S. 422 ftatt unabänderlich' unabhängig.
S. 461 Zeile 19 muß es jedenfalls und ftatt ,von' heißen.

Berlin. Ernft Troeltfch.

Conrad, Geh. Konfift.-Rat Pfr. Dr. Paul: Sonne und Schild.

Sonntagsbetrachtungen über die neuen (Eifenacher)
Evangelien. (164 S.) 8°. Berlin, Schriftvertriebsanftalt
(1916). M. 1.10; geb. M. 1.50

Für den, der fich berufsmäßig mit der religiöfen
Kriegsliteratur zu befchäftigen hat, ift das etwas ermüdend
. Trotz der Verfchiedenheit der Individualitäten, trotz
des ernften Bemühens, den Dingen eine neue Seite abzugewinnen
, fie in neue Einkleidung zu bringen, trotz
aller Beifpiele aus Gefchichte und Leben, trotz aller Zitate
aus alten und neuen Liedern, fowie aus Feldpostbriefen
, ■— es kehren doch immer diefelben Gedanken
und Gedankengänge wieder. Im erften Jahre: wie waren
wir vordem fo mutlos und verzagt — wie find wir jetzt
befchämt. Im zweiten: Wie herrlich die Erhebung unferes
Volkes, welche Hoffnungen durften wir hegen — was ift
daraus geworden? Und ähnlich. Wie zahllofemale bin ich
in den Predigten und Reden, dem ,Tanz um das goldene
Kalb' nach dem Jahre 1870 begegnet — in den vorliegenden
Betrachtungen allein zweimal. Das alles ift ja
begreiflich. Man kann fich diefer Einmütigkeit nur von
Herzen freuen. Man kann auch nicht von dem Prediger
verlangen, daß er immer etwas Neues bringt. Wenn nur
die Perfönlichkeit dahinter fleht, wenn nur der tiefe, ernfte
Wille, fich zum Sprachrohr Gottes hinzugeben, darin ver-
fpürt wird, dann werden auch die fchlichteften Gedankengänge
der Kraft und Wirkung nicht verfehlen. Aber
gedruckt, in Maffe, kann es tödlich wirken, und man
fragt fich immer wieder: ift denn das Bedürfnis darnach
wirklich fo groß: daheim — in den Schützengräben?
Verfandt wird ja maffenhaft. Ob auch alles gelefen und
gefchätzt? Nach meinen Erfahrungen ift auch hier Vorficht
geboten.

Diefe Vorbemerkungen follen kein Grabgeläute für
die vorliegenden Betrachtungen von Dr. Conrad fein. Er
gehört zu den fruchtbarsten Arbeitern auf diefem Gebiet.
Seine kleinen Schriftchen find in ungezählten Exemplaren
hinausgegangen, und find, wie ich weiß, mit Dank aufgenommen
und mit Segen gelefen worden. Auch diefe
Sonntagsbetrachtungen über die neuen (Rifenacher) Evangelien
, oder vielmehr über ausgewählte Worte aus diefen,
bekunden feine Berufung dazu. Sichere Gedankenführung
und fchlichte klare Sprache, die Gabe, den Text in ein
neues Licht zu stellen und ihn fchön und lebendig zu
illustrieren, geistliche Wahrheiten ungefucht an natürliche
anzuknüpfen, starkes und gefundes vaterländifches Empfinden
, doch nicht auf Kosten der nüchternen Wahrheit,
und vor allem nicht der Ewigkeit, zeichnen fie aus. Ernsten
Menfchen draußen, die einen Erfatz für fehlenden
Gottesdienst fuchen, können fie ficherlich wertvolle Dienfte
tun. Aber das Angebot an dergleichen ist wirklich fehr
stark. Unfere Kirche darf freilich darauf stolz fein, daß
des Befferen fo viel und des Geringwertigen fo wenig
darunter ift.

Frankfurt a/M. Georg Schloffer.

Referate.

Kirmis, Fr.: Beiträge zur Frage nach dem Datum der Geburt, des
Todes und des Abendmahls Jelu. Eine hiftorifeh-exeget. Studie.
(IV, 47 S.) Lex.-8'. Breslau, F. Goerlich 1915. M. 1.50
Das Heft, in dem K. die drei im Titel genannten Fragen