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Ausgabe:

1916 Nr. 24

Spalte:

512-513

Autor/Hrsg.:

Schwartz, Eduardus

Titel/Untertitel:

Acta Conciliorum Oecumenicorum. Tom. IV: Vol. 2 1916

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 24.

512

rakters der ariftotelifchen Ethik, die Eingliederung der Erörterung
über die <pikia in ihren Zufammenhang, die
Erklärungen über den Begriff der Mitte ufw. Und alles
das würde noch eindrucksvoller fein, wenn der Verfaffer
ein weniger fchwerfälliges Deutfch fchriebe. Aber trotzdem
kann ich dem Ganzen gegenüber erhebliche Bedenken
nicht unterdrücken. Der Verf. beanfprucht das
Recht einer gewiffen methodifchen Freiheit in der Handhabung
des uns überlieferten Materials. Dagegen ift
nichts einzuwenden. Aber es darf diefe methodifche
Freiheit doch nicht fo weit gehen, daß man in den ariftotelifchen
Sätzen etwas ganz anderes findet, als fich darin
finden läßt. Dahin gehört z. B. feine Interpretation von
met. 1025 b 14 und 28 auf S. 18, oder von met. 982 b
7 ff. auf Seite 90. Das führt denn auch zu Auffaffungen
wie der, daß Ariftoteles auf Grund des realen Unter-
fchiedes zwifchen dem notwendigen und dem der Veränderung
unterworfenen Sein die Einteilung aller Wiffen-
fchaften in theoretifche und praktifche gewinne (S. 16),

nun einmal find. Diefe Stellung zeigt fich am deutlichften
in feinem konfervativen Verhältnis zur Sklaverei: wohl
hat das Chriftentum von Anbeginn durch religiöfe und
fittliche Hebung der Menfchheit, vor allem durch Adelung
der Arbeit das Ende des Sklaventums vorbereitet. Aber
erft vom 5. Jahrhundert an arbeitet es auf die Aufhebung
der Sklaverei hin, auch jetzt langfam und indirekt.

K. zeigt bei Bearbeitung feines Themas eine gründliche
Kenntnis der alten Quellen wie der modernen Literatur
. Mit den freigerichteten proteftantifchen Theologen,
Troeltfch, Harnack, H. Holtzmann, Weinel geht er eine
weite Strecke zufammen. Er hat auch zweifellos in der
Hauptfache Recht. Sein Verftändnis von I Kor 7,21 ift
zutreffend und die Darlegung wegen der reichlichen Be-
rückfichtigung der alten Ausleger befonders dankenswert.
In allen Einzelheiten vermag ich ihm freilich nicht beizupflichten
. Die Art, wie felbft die Apokalypfe zu einem
Dokument der ftaatserhaltenden Gefinnung des Urchriften-
tums wird, leuchtet mir nicht ein. Auch vermiffe ich in

während er ihm in Wahrheit nur dazu dient, Metaphyfik dem Buche eine Berückfichtigung der bekannten Stellen
und Naturphilofophie oder die Wiffenfchaft vom unbe- Act. 2 und 4, in denen der Kommunismus als urchriftliche

wegten und die vom bewegten Sein voneinander zu
trennen. Auch die Einteilung der Ethik in einen Teil
(Buch I—V), der fich vorzüglich mit den materialen, und
einen zweiten, der fich mit den formellen Prinzipien des
tugendhaften Handelns befaßt (S. 55), leuchtet mir nicht
ein. Ich verftehe nicht, weshalb die dianoetifchen Tugenden
im Unterfchied von den ethifchen formellen
Charakter tragen follen, und ich verftehe es um fo
weniger, als der Verf. felbft S. 62/3 die einzelnen Tugenden
als bloß materielle Elemente der menfchlichen Vollkommenheit
bezeichnet. Vor manchen Irrtümern und
Schiefheiten würde ihn eine forgfältigere Benutzung der
neueren Literatur haben bewahren können. Ganz befonders
vermiffe ich die Berückfichtigung der verfchie-
denen Arbeiten über das Verhältnis der eudemifchen zur
nikomachifchen Ethik, obwohl der Verf. die eudemifche
Ethik wiederholt und offenbar ganz naiv als Quelle für
Ariftoteles benutzt. Auch das fiebente Buch hat ihm
keine Schwierigkeiten gemacht.

Königsberg-Pr. Goedeckemeyer.

Kiefl, F. PL: Die Theorien des modernen Sozialismus über
den Urfprung des Chriltentums. Zugleich e. Kommentar
zu 1 Kor. 7,21. (XXXII, 222 S.) gr. 8°. Kempten,
J. Köfel 1915. M. 3 —

Angeregt durch eine Auseinanderfetzung, die der
bayerifche Minifter von Frauendorfer mit dem Regensburger
Bifchof A. von Henle in der Kammer der Reichsräte
gehabt hat, befchäftigt fich K. mit jenen modernen
Theorien, die im Chriftentum ein Produkt der fozialen
Bewegung erblicken. Er charakterifiert fie in ihren hauptfächlichen
Vertretern, glaubt als die Wurzel ihrer Auf-
faffung die Philofophie Hegels erweifen zu können und
geht fodann zur Kritik über.

K. beklagt, daß die bisherigen Debatten über feinen
Gegenftand in hohem Maße der fcharfen Begriffsbe-
ftimmung entbehrten. Er leugnet fo wenig wie irgend
ein anderer Kenner der Verhältniffe, daß fich im Ur-
chriftentum auch foziale Regungen bemerkbar machen.
Aber er beftreitet entfchieden, daß es dadurch zu einer
,fozialen Bewegung' würde. Das Chriftentum, fo betont
er ftark, hat fich Jahrhunderte lang überhaupt nicht mit
der /ozialen Frage' befchäftigt. Seine Sendboten kümmern
fich nicht um die Hebung der fozialen Lage der
Menfchen. Es fällt ihm nicht ein, die foziale Ordnung
der antiken Welt zu bekämpfen. Vielmehr zeigt es einen
ausfchließlich religiöfen Charakter. Ganz unintereffiert
an den irdifchen Verhältniffen, wie es ift, erweift fich das
Urchriftentum dem Staat und feinen fozialen Einrichtungen
gegenüber als neutral; d. h. es läßt fie beliehen, wie fie

Sitte proklamiert wird.

Göttingen. Walter Bauer.

ActaConciliorumoecumenicorum.Iussuatquemandato societa-
tisscientiarumArgentoratensised.Eduardus Schwartz.
Tom. IV. Concilium universale Constantinopolitanum
sub Justiniano habitum, ed. Ed. Schwartz. Vol. II.
Iohannis Maxentii libelli. — Collectio codicis Novarien-
sis XXX. — Collectio codicis Parisini 1682. — Prodi
tomus ad Armenios. — Iohannis papae II epistula
ad viros illustres. (XXXII, 210 S.) gr. 40. Straßburg
i. E., K. J. Trübner 1914.

M. 30—; Subfkr.-Pr. M. 24—

Keine wiffenfchaftliche Körperfchaft konnte den außerordentlichen
Befchluß faffen, die Akten der ökumeni-
fchen Konzilien neu herauszugeben, wenn nicht zuvor
ein Gelehrter diefen Befchluß gefaßt hatte, und kein Gelehrter
konnte ihn faffen, der nicht mit dem freudigen
Zutrauen zur eigenen Kraft das lebendigfte Intereffe für
den großen Gegenftand verband. In beiden Fällen gehörte
aber noch ein Wagemut hinzu, der vor der be-
deutendften Aufgabe und denhöchftenAnftrengungen nicht
zurückfchreckt und der fich zutraut, den Widerftand der
fpröden Objekte zu befiegen. Kein Neudruck, fei es auch
mit einigen Zufatzftücken, fondern eine völlig neue, nicht
nur bereicherte, fondern überall zuverläffige Ausgabe! Denn
überall laffen die bisherigen Ausgaben im Stich, mag
man auf die Überlieferungsgefchichte und Ordnung der
Urkunden und Stücke, mag man auf die Sicherheit des
Textes, mag man auf die Vollftändigkeit blicken.

Eduard Schwartz übernahm imj. 1909 unter den
Aufpizien der Straßburger Gefellfchaft der Wiffenfchaf-
ten, die in diefem Unternehmen aufs neue ihre Ebenbürtigkeit
neben den älteren Akademien bekundet hat,
das große Werk. Ein Anderer unter uns hätte es fchWerrich
übernehmen können; darum gebührt ihm, dem Kir-
chenhiftoriker unter den Philologen, doppelter Dank. So
wird diefe Ausgabe eines der wichtigften Denkmäler der
Epoche werden, in der nach Bernays Vorgang, der nicht
vergeffen werden foll, Philologie und Kirchengefchichte
wieder zufammengearbeitet haben. Wie lange diefe Epoche
währen wird, wer weiß es? Denn wir müffen damit
rechnen, daß über kurz oder lang wieder Probleme aus
anderen Zeitaltern in den Mittelpunkt der philologifchen
Arbeit treten werden. Aber was fchon jetzt durch das
Zufammenarbeiten erreicht ift, das bleibt nicht nur unverloren
, fondern wird auf kirchengefchichtlichem Gebiet
auch fortwirken.

Die neue Ausgabe foll in acht Abteilungen und mehr