Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1916 Nr. 23

Spalte:

492-494

Autor/Hrsg.:

Bürckstümmer, Christian

Titel/Untertitel:

Geschichte der Reformation und Gegenreformation in der ehemaligen freien Reichsstadt Dinkelsbühl (1524-1648) 1916

Rezensent:

Schornbaum, Karl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

491

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 23.

492

und einer Aufhellung der gefchichtlichen Vorgänge und
Erfcheinungen gegeben ift.

Rofe hat nun das Problem von dem Urfprung und
dem Wefen des zifterzienfifchen Kirchenbaues oder, wie
er es formuliert, die Frage, ,was man unter dem Stil der
Zifterzienfer zu verftehen hat, wenn man fich diefes Ausdruckes
etwa bedienen will' (138), mit hingebendftem
Fleiß, umfaffender Literatur1- und Sachkenntnis, gründlichem
Studium der Denkmäler und einem bei einem
Anfänger befonders zu betonenden Sinn für architek-
tonifche, konftruktive und künftlerifche Kräfte und Werte
neu angefaßt und feine auf genauefter Betrachtung der
gefchichtlichen Zufammenhänge und der einzelnen Bauteile
und Bauglieder an den Denkmälern fußenden Unter-
fuchungen in einer reich ausgeftatteten, unter der Ägide
H. Wölfflins und Ad. Goldfchmidts, vor allem aber in
fteter Fühlung mit den einfchlägigen Erörterungen un-
feres bedeutendften Kirchenbauhiftorikers, G. Dehios,
entftandenen, überaus lehrreichen Studie mit Beigabe
von 88 bisher unveröffentlichten Außen- und Innenaufnahmen
der hervorragendften Zifterzienferkirchen und
4 Tafeln mit 6 Chorformen, 5 Aufriffen und 4 Querschnitten
verarbeitet.

Hat man bisher geglaubt, die Baukunft der Zifterzienfer
erklären zu können aus der Bauregel des Ordens,
,obwohl zugegeben wird, daß das Kriterium der asketi-
fchen Einfachheit das einzig Durchgreifende ift' (1), fo
flicht Rofe diefe Kunft von ganz anderem Boden, nämlich
von ihrem Mutterboden aus zu verftehen, d. h. ,als
das befondere Erzeugnis Burgunds, deffen Frühgotik im
12. Jahrhundert allein von den Zifterzienfer-Mönchen ge-
ftaltet und dann als kanonifche Ordens-Baukunft von der
Weiterentwicklung zur Hochgotik ausgefchloffen wird' (6).
Ein überaus glücklicher Gedanke, der das ganze Buch
durchzieht und für deffen hiftorifche Wirklichkeit es den
Nachweis erbringt! Darnach ftellt fich die ganze kirchliche
Bauweife der Zifterzienfer bei allen ihren mannigfachen
Ausprägungen in ihrer Gefamtheit dar ,als eine beftimmte
Phafe der burgundifchen Frühgotik, für deren Eigenart der
Ordensgeift erst in zweiter Linie verantwortlich ift'. Ausnahmen
beftätigen die Regel. So ift echt burgundifch
die oblonge Form des Einzeljoches, in welcher das
Kreuzrippengewölbe fofort eingefpannt erfcheint, im Un-
terfchiede zu der durchweg auf quadratifcher Bafis konfluierten
Kreuzwölbung (Nord-/Frankreichs (25, 44);
burgundifch und antifranzöfifch-gotifch (zugleich anti-
provengalifch und antikluniazenfifch) die Bildung des
bafilikalen Querfchnittes der Zifterzienferkirchen, der auf
Verminderung der Höhe des Mittelfchiffes gegenüber
den Seitenfchiffen drängt und mit zunehmender Beftimmt-
heit die Proportion der Räume zueinander dämpft (44f.);
eine burgundifche Eigentümlichkeit ift ferner die weltliche
Vorhalle, die die Zifterzienferkirchen mit denen der
Kluniazenfer, freilich unter fehr verfchiedenen formalen
und materialen Vorausfetzungen, gemein haben (70 f.);
burgundifch fchließlich auch die von der jüngeren burgundifchen
Schule', d. h. den Nachfolgern der großen
Clunybauten übernommene Abneigung gegen fichtbare
Hilfskonftruktionen am Außenbau, das find hier die
offenen Strebebögen am Langhaus (icö ff.), eine Abneigung
, die zwar nicht, wie ich bemerken möchte, auf
Burgund befchränkt ift, für die Zifterzienfer aber nur in
der burgundifchen Tradition beruht. Gegenüber diefen
grundlegenden konftruktiven und raumgeftaltenden Motiven
tritt das fpezififch Zifterzienfifch-Monaftifche ent-
fchieden zurück; ein Pofitives ift daran nur die Anlage
des platten Chores mit den Einzelkapellen, die jedoch
keineswegs Gefetz noch durchgängig Gebrauch ift (80ff);
im übrigen find es nur Negationen, die der Ordensgeift

1) Vielleicht konnte in der Literaturübersicht (S. 139) noch genannt
werden Alfons Bellesheim, Geschichte der kathol. Kirche in Irland
, I, Mainz 1890, der S. 655(1". von den Zisterzienserkirchen Irlands
handelt.

an die Ordenskirchen heranbringt, wobei freilich nicht
zu leugnen ift, daß fie diefen eine eigene Note geben:
der Verzicht auf alles Dekorative (1,4 uff), die Turm-
lofigkeit (63 ff), die Abkragung der Pfeilerdienfte im
Widerwillen gegen die nordfranzöfifch-gotifche Bündelung
des Pfeilers (125).

In diefem letzten Punkte offenbart fich aber einer
jener charakteriftifchen Züge, die den romanifierenden
oder beffer retardierenden, fchlechthin konfervativen
Geift der Zifterzienferarchitektur mit Händen greifen
laffen, den Geift, der, nachdem er einmal frifch und von
keiner Tradition gehemmt, aus reiner Opportunität das
wichtigfte Element der Gotik, die Kreuzrippe, übernommen
, über die damit gewonnene Stufe der (burgundifchen
) Frühgotik nicht hinausgekommen ift.

Wie Burgund bzw. die Zifterzienfer, die um die Mitte
des 12. Jahrhunderts deffen Kirchenbau vertraten, zu der
Kreuzrippe und damit zur eigentlichen Gotik gekommen
find, ob durch Entlehnung aus der Isle-de-France oder
auf dem Wege felbftändiger, über die burgundifchen
Gratgewölbe hinaus gewonnener Erfindung, ob alfo die
um 1150 begonnene Abteikirche von Pontigny und ihre
nicht mehr erhaltenen Schwertern und etwaige(n) Vor-
läuferin(nen) hinfichtlich ihrer kreuzrippengewölbten Bedachung
originale oder von Frankreich abgeleitete
Schöpfungen find, diefe Frage muß auch Rofe noch un-
entfchieden laffen; die Wahrfcheinlichkeit fpricht auch
ihm, wie ich glaube, mit Recht, für die letztere Alternative
, d. h. für franzöfifchen Import der ,augiva'. Aber
fo oder fo, an feiner Auffaffung der Zifterzieifferbaukunft,
wie er fie vorträgt und dartut, ändert diefes vorerft un-
gelöfte Rätfei nichts.

[4,14 1. Cluniacensem (1. -um; 4,12 v.u. sunt st.-d; 5, 65, 96, 101
parochial (1. parocchial (richtig nur S. 76); 15,4 Madelcine (l.-aine; 15,4
v. u. 30 ft. 60 (St. Bernhard trat nicht mit 60, fondern mit 30 Genoffen
in Clteaux ein); 37,5 v. u. 58 ft. 91; 70,13 des fl. der; 135,13 v. u.
Seiten- ft. Seiter-].

Berlin. Georg Stuhlfauth.

Bürckftümmer, Dek. Ffr. Lic. Dr. Chrifiian: Gelchichte der
Reformation und Gegenreformation in der ehemal. freien
Reichsltadt Dinkelsbühl (1524—1648). 2 Tie. (Schriften
des Vereins f. Reformationsgefchichte. Nr. 115/16 u.
119/20.) (VII, 167 u. V, 193 S.) gr. 8°. Leipzig, R. Haupt
in Komm. 1914/15. 4 —

Nunmehr hat auch die Reformationsgefchichte der
Reichsftadt Dinkelsbühl eine ihrer Bedeutfamkeit ent-
fprechende Darftellung gefunden. Man hat fie fchon
lange erwartet. Denn fchon nach den bisher vorliegenden
recht dürftigen Notizen und Bearbeitungen handelte es
fich da um eine reiche Vergangenheit. Diefe Erwartungen
find nunmehr reichlich erfüllt worden. Eine
wechfelvolle Gefchichte von heftigen Kämpfen, ftillem
Arbeiten, zähem Ringen zieht da vor unterem Auge
vorüber. Die Geftaltung aber der Bewegung in dem
kleinen Territorium ift nicht zum minderten durch den
Gang der Entwicklung im ganzen Reiche felbft bedingt.
Die Lokalgefchichte und die Reichsgefchichte ftehen im
engen Zufammenhänge.

Wenn wir die Reformationsgefchichte Dinkelsbühls
überfchauen, fie ift ein glänzendes Ehrenzeugnis für die
Reformation; daß es fich hier um wirklich religiöfe Bewegungen
handelt, tritt klar zu Tage; zugleich lehen wir
aber, welche Kraft ihnen deswegen innewohnte.

Im 16. Jahrhundert verftand fich die Verbindung von
Religion und Politik, die uns fo ferne liegen follte, von
felbft. Ohne das Eintreten der Landesobrigkeit wäre die
Reformation wohl nicht durchgedrungen; die Gefchichte
manches Territoriums — wir denken nur an die Oberpfalz
— liefert einen deutlichen Beweis. Aber hier fehen
wir, wie fich der evangelifche Glaube trotz aller Bedrückung
durch die Obrigkeit nicht nur zu erhalten fon-