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Ausgabe:

1916 Nr. 23

Spalte:

490

Autor/Hrsg.:

Jong, K. H. E. de

Titel/Untertitel:

Hegel und Plotin. Eine kritische Studie 1916

Rezensent:

Dorner, August

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489

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 23.

490

Zweck erreicht ift, wird fchwerlich bezweifelt werden.
Nicht die Vulgata, die große Mehrheit der Handfchriften,
auf denen faft alle Herausgeber fußen, fondern der, jetzt
zwar verlorene, Fuldensis verdient den Vorzug. Der Belgier
Callewaert hatte das 1902 zuerft energifch behauptet,
— nachdem Havercamps felbftändiges Urteil 1718 fich
nicht durchgefetzt hatte —, G. Raufchen in feiner kleinen
Ausgabe des Apologetium hatte dem Fuldensis wenig-
ftens an der Hälfte der ftrittigen Stellen den Vorzug gegeben
und mit Recht in feiner Antikritik gegen Schrörs'
wunderliche Thefe, wonach in der Vulgata eine spätere
Rezenfion von Tertullians Hand, im Fuldensis ein erster
Entwurf vorliege, diefe Bevorzugung noch gesteigert.
Aber erft Löfftedt, ein auch fchon durch andere Arbeiten
um die Patrologie verdienter fchwedifcher Gelehrter, hat
das Problem fo fcharf wie möglich fixiert und durch
methodifche Verwertung aller Hilfsmittel die Entfcheidung
herbeigeführt.

Nach einem einleitenden Kapitel weift er zuerft
S. 16—59 an einer Auswahl von Stellen aus allen Teilen
des Apolog. nach, daß im Fuld. die echte Textgeftalt
vorliegt, während Vulg. eine aus mangelhaftem Verftändnis
für Tertullians Gedanken wie für feine Ausdrucksweife vorgenommene
, auf Vulgarifierung bedachte Rezenfion des
echten Textes darfteilt. Ihre Entftehungszeit feftzulegen
hütet fich der durchweg vorfichtige Verfaffer. S. 60—73
gelangen die Fehler des Fuld. zur Erörterung; L. geht
foweit, felbft bei diefem einzelne Anwandlungen von Re-
zenfionsluft zuzugeftehen, in der Regel find es nur Nach-
läffigkeiten und Zufallsverfehen. S. 74—120 folgt zur
Beftätigung der gewonnenen Ergebniffe eine Reihe von
bisher meist in falfchem Text übernommenen und darum
auch nicht richtig verftandenen Stellen, darunter übrigens
einige, z. B. S. 80. 81. 94, wo es fich um neue Konjekturen
handelt gegenüber gemeinfamer Überlieferung bei Vulg.
und Fuld.

In den meiften Fällen hat L.'s Argumentation auf
mich fchlechthin überzeugend gewirkt: es ift gut, dal! er
der inneren Kritik das erfte Wort gewährt, felbftver-
ftändlich forgfältigft den fpätlateinifchen Sprachgebrauch
und die Befonderheiten in Tertullans Stil — nicht etwa nur
an der Hand fremder Sammlungen! — berückfichtigt.
Sehr erfolgreich zieht er Parallelen aus Tertullians Ad
nationes heran, und fonftige indirekte Überlieferung aus
dem Apologeticum, namentlich Rufins Kirchengefchichte,
die Altercatio Heracliani und (Pf.?-) Cyprians Quod
idola dii non sint. Nur S. 34h vermiffe ich den Hinweis
darauf, daß diefer doch gewiß alte Zeuge c. 13 aus
Apolog. 21,18 abgefchrieben hat und zwar nach dem
Vulg.-Text (Syriam) tunc ex parte Romana: das Roma-
nam des Fuld. hat mir dort L. auch nicht fo plaufibel
gemacht wie die Unechtheit des Jefum zwifchen in crucem I
und dedi sibi. Ein Argument, das L. oft für allein ent-
entfcheidend hält, und doch glücklicherweife beinahe nie j
allein entfcheiden läßt, ift die feine rhythmifche Klaufel.
Tertullians Geneigtheit, auch an diefem Punkte fich als
glänzenden Stiliften zu erweifen, hätte man längft bei der
Textkritik mehr in Betracht ziehen follen, aber daß er
zum Sklaven diefer Mode geworden wäre, widerlegt auch
der Fuldensis.

An wenigen Stellen, auf die hier nicht näher eingegangen
werden kann, fcheint mir L. Widerfpruch herauszufordern
.

Auf S. 37 f. 97 f. wird fich das per Chrifium nicht wohl als Glauben
an Gott in chriftlichem Sinne deuten laffen; der Proteft S. 74f. gegen
quam imniusicos de musicis Apol. 1,8 verliert feine Kraft, wenn wir den
Wortlaut des Anacharsis-Spruchs nicht genau kennen, auf den Tertullian
anfpielt. Und S. 87 wird man die Worte et scabiosa hinter et tabidosa
(die doch wahrlich leicht ausfallen konnten I) nicht als zweifellos unecht
Itreichcn, weil fie in Ad nat. 1,10 nicht flehen. Aus welchem Grunde
find fie denn und woher in Vulgata eingefchoben worden? Hat denn
Tertull. nicht auch fonft den Text von Ad nat. im Apolog. bereichert?
Auch möchte ich Vulg. bei Apolog. nicht fo feierlich als neue unge-
fchickte Rezenfion des erften Tertullian bezeichnen, oder beffer nicht fo
viel Abficht bei deren Verderbniflen vorausfetzen. Merkwürdig kontraftiert

zu der Befonnenheit L.s im Abwägen aller Momente Für und Wider die
ftarke Sprache, mit der er die Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit
früherer Abfchreiber und Tertullian-Editoren mehrfach herausftreicht. Es
wäre an einer derartigen Zeufur genug gewefen. Aber an Wiederholungen
ift das Büchlein auch fonft reich: zum Teil ließen fie fich
freilich nicht vermeiden, wenn immer wieder diefelben Fehler feftgeftellt
und befchrieben werden mußten. Etwas breiter als nötig ift die Darfteilung
doch geworden: brauchte auf S. 97 eines vom Fuldensis handelnden
Werkes noch mit ,diefe letztgenannte Handfchrift' umfehrieben zu werden?

Diefe Ausftellungen betreffen indes lediglich Äußerliches
und Nebenfächliches; fonft erntet man hier die
Früchte von gediegenem Wiffen, befonnenem Urteil, ausgezeichneter
Forfchungsmethode.

Marburg. Ad. Jülich er.

long, Priv.-Doz. Dr. K. H. E. de: Hegel und Plotin. Eine
krit. Studie. (V, 36 S.) gr. 8». Leiden, Buchh. u.
Druckerei vorm. E. J. Brill 1916. M. 1.50

Der Verfaffer befchränkt feine Kritik auf Hegels
Darftellung Biotins in feiner Gefchichte der Philofophic
und betont Hegels mangelhaftes Quellenstudium, feine
Abhängigkeit von Tiedemann und Tenemann. Sein Apri-
orismus, fein Gedanke, die Gefchichte der Philofophie als
Syftem der Entwicklung aufzufaffen, habe ihn an einer
objektiven Auffaffung der Gefchichte verhindert. Man
gewinnt den Eindruck, daß De Jong fich als Kritiker unendlich
erhaben über Hegel vorkommt, eine Selbstüberhebung
, die häufig .objektiven' Historikern begegnet, die
über der Einzelforfchung den Zufammenhang der Ent-
wickelung vernachläffigen.

Aus De Jongs Darfteilung ein klares Bild von Hegels
Auffaffung Biotins zu gewinnen, wäre ein vergebliches
Bemühen.

Godesberg a. Rh. Dorner.

Role, Hans: Die Baukunft der Cifterzienfer. (VII, 144 S. m.
88 Abbildgn. u. 4 Taf.) Lex.-8°. München, F. Bruckmann
1916. M. 6—; geb. M. 7.50

Der Kirchenbau der Zifterzienfer ift eines der inter-
effanteften, aber auch eines der delikatesten Kapitel aus
der Gefchichte der kirchlichen Architektur. Es erinnert
lebhaft an das Thema von dem Werden der altchrift-
lichen Bafilika, deren fertige Form und Art wir kennen,
deren embryonale Anfänge und früheste, der reifen Ge-
ftaltuiig vorangehende Entwickelung aber im Dunkel
liegt und für uns bis zu einem gewiffen Grade wohl
immer unter dem Schleier des Geheimniffes bleiben wird.
An fich möchte es zwar fcheinen, als läge die Entstehung
der zifterzienfifchen Baukunft in hellerem Lichte der Gefchichte
. Wenn wir aber wiffen, daß die literarifchen
Quellen fo gut wie gänzlich verfagen, fofern von den vier
wichtigsten legislatorifchen Schriften des Ordens drei,
nämlich das Exordium Cisterciensis coenobii, die Con-
suetudines und die Carta caritatis, d. i. die Verfaffungs-
urkunde, von Baukunft überhaupt nicht reden bzw. Bau-
vorfchriften nicht enthalten und die vierte, die Kapitels-
befchlüffe, nur negative Bestimmungen gibt: Bilderverbot,
Turmverbot u. dergl., aber auch fonftige Äußerungen
wie des hl. Bernhard gegen die Verwendung von phan-
taftifchen Fabelwefen in der Ornamentik keinerlei Erfatz
bieten, und daß andererfeits die monumentalen Quellen,
die eigentlichen Zifterzienferbauten, erft einfetzen mit
den Schöpfungen der dritten Generation, fofern nicht
nur von den Stiftungsbauten der Mutterabteien jede
Spur yerfchwunden, fondern auch von den erften, diefe
primitiven Anlagen erfetzenden Monumentalbauten der
Stammklöfter nichts mehr erhalten ift, fo wird unmittelbar
deutlich, daß auch hinfichtlich der Genesis und der in ihr
fich gestaltenden Eigenart der Zifterzienferarchitektur
der Hypothefe und dem Rückfchluß und der forgfältig-
ften Analyfe und dem umfichtigften Vergleich die breiteste
Grundlage zu einem Fortfehritt in der Erkenntnis

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