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Ausgabe:

1916

Spalte:

464-465

Autor/Hrsg.:

Latysew , Basilius

Titel/Untertitel:

Hagiographica Graeca inedita 1916

Rezensent:

Anrich, Gustav Adolf

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Zielinski, Prof. Th.: Cicero im Wandel der Jahrhunderte.

3., durchgefeh. Aufl. (VIII, 371 S.) 8°. Leipzig, B. G.
Teubner 1912. M. 6—; geb. M. 7 —

Als im Januar 1895 der zweitaufendfte Jahrestag von
Ciceros Geburt wiederkehrte, hielt Zielinski in der Hifto-
rifchen Gefellfchaft der Petersburger Univerfität einen
Vortrag, um diefes Ereignis zu feiern. Aus diefem Vortrag
wurde ein Büchlein, dann ein ftattlicher Band, der
nunmehr in dritter Auflage vor uns liegt. Das ift die 1
befte Kritik für ein Buch, das fleh zwar an weitere Kreife j
wendet, mit ftarkem Temperament und in prickelndem
Stil gefchrieben ift, das aber überall auf folider Forfchung
beruht und es auch nicht verfchmäht, auf faft hundert
Seiten Anmerkungen das gelehrte Rüftzeug auszubreiten.
Es ift ein kulturgefchichtliches Buch, aber geboren aus
dem ganz perfönlichen Verhältnis, das der Verfaffer zu
feinem Helden hat, aus dem Wunfche, eine Dankesfchuhi
abzutragen für das, was Cicero der ganzen Menfchheit
wie dem Verfaffer felber gewefen ift. Einen befondei'< n
Stachel erhielt diefer Wunfeh durch den Gegenfatz, in j
dem fleh Z. nicht bloß zu den Anfchauungen der Leute,
die fleh durch die Erinnerungen an die Sekundanerbank
beftimmen laffen, fondern auch zu dem von einem Meifter
wie Mommfen gezeichneten Cicerobilde befand. So
kommt es, daß bald latente, bald offene Polemik das
Buch durchzieht. Der Ton, den Z. dabei gegenüber den !
,Cicerokarikaturiften' anfehlägt, ift häufig nichts weniger j
als erfreulich; doch wirkt verföhnlich die echte Leiden-
fchaft, mit der er für den verehrten Mann eintritt.

Am meiften gilt das natürlich für die Abfchnitte, die
dem lebenden Cicero gewidmet find. In einem kurzen
Überblick über das Leben kennzeichnet er zunächft die
Grundrichtung von Ciceros politifchem Denken, dann bringt [
er die Kunft und innere Berechtigung feines Stiles zur
Anerkennung, ftellt weiter ein Mofaik aus Ciceros philo- I
fophifchen Werken zufammen und verflicht endlich eine
pfychologifche Analyfe feiner Perlönlichkeit. Überall finden
fich felbftändige Beobachtungen, feinfinnige Bemerkungen,
und wenn er z. B. bei dem Politiker Cicero den kon-
ftanten Zug betont, der in feinem Bekenntnis zum feipio- :
nifchen Ideal der gemäßigten monarchifche, ariftokratifche j
und demokratifche Elemente verbindenden Verfaffung
liegt, fo ift das zweifellos ein Moment, das in Mommfens j
Cicerobild zu fehr in den Hintergrund tritt. Gelegentlich j
fchwingt aber naturgemäß das Pendel zu fehr nach der j
andern Seite aus, und die hiftorifche Betrachtung wird |
durch unbewußte Apologetik beeinträchtigt. So ift es 1
verfehlt, daß Z. Cicero durchaus zum originalen Philo-
fophen ftempelr. will, und wenn er Ciceros eigenfte Tat
darin fieht, daß diefer bewußt in der descriptiven Güterlehre
fich auf den 1 keptifchen, in der imperativifchenPflichten-
lehre auf den dogmatifchen Standpunkt ftelle, fo beruht |
das, wie ich fchon in der Einleitung zu meiner Ausgabe |
der Tusculanen dargetan habe, auf unrichtiger Interpretation
der Hauptftelle de off. 1,7. Es fcheitert diefe Auf-
faffung aber vor allem auch daran, daß gerade in dem 1
Werke über die Pflichten Cicero fich immer wieder (II, 7.8,
111,20.33) ausdrücklich zur Skepfis bekennt. Ausdrücklich
fpricht er dort auch gleich im Eingang (1,2) aus, daß er
nicht auf die Geltung eines originalen Philofophen An-
fpruch macht, fondern nur die Philofophie feinen Landsleuten
nahe bringen will. Gern unterfchreibe ich Z.s Bemerkung
, ,daß die Kulturgefchichte nicht viele Momente
kennt, die an Bedeutung dem Aufenthalte Ciceros auf j
feinen Landgütern während der kurzen Alleinherrfchaft 1
Cäfars gleichkämen.' Aber diefe Bedeutung beruht nicht
auf einer originalen philofophifchen Leiftung Ciceros, |
fondern darauf, daß er die Schätze der griechifchen Bildung j
in feinem reichen Geifte aufgefangen, fie mit dem römifchen
Wefen zu einer harmonifchen Einheit verfchmolzen und
dadurch ihre Wirkfamkeit in der abendländifchen Kultur
ermöglicht hat.

Die Nachwirkung Ciceros verfolgt Z. zunächft durch
das werdende Chriftentum, das tatfächlich im Abendlande
ein befonderes Gepräge dadurch erhalten hat, daß die
führenden Männer die griechifche Philofophie durch la-
teinifche Media ■— neben Cicero darf man Varro und
Seneca nicht vergehen — kennen lernten. Der Abfchnitt
gipfelt in der ,Tragödie des Glaubens', die an den Namen
Auguftins und feinen Streit mit Pelagius anknüpft. Dann
tut Z. einen großen Sprung und fchildert, wie Cicero die
Renaiffance formal wie materiell befruchtet, wie er zur
Befreiung der Perfönlichkeit mitgewirkt hat. Endlich zeigt
er noch, wie die englifche und franzöfifche Aufklärung
an theologifche und moralifche Erörterungen ciceronifcher
Schriften anknüpft, wie fie aus diefen für ihre politifchen
und allgemein menfehlichen Ideale Nahrung zieht, wie in
der Revolution auch ciceronifche Redekunft wieder zu
einer lebendigen Macht wird.

Man wird fich beim Lefen diefer Abfchnitte immer
gegenwärtig halten, daß Z. die Literaturen eben zu dem
Zwecke durchftreift hat, um Spuren Ciceros aufzufinden,
und daß er bewußt feinen Blick von andern Einflüffen
abwendet. Manch Urteil fällt, das man ftillfchwcigend
einfclnänken oder berichtigen wird: ,Wie Livius als Stil-
künftler, war Horaz als Philofoph ein Schüler Ciceros'.
,Es waren Cicero und Auguflin, die fich im pelagianifchen
Streite gegenüberftanden.' ,Die Renaiffance war vor allen
Dingen eine Wiederbelebung Ciceros und erft nach ihm
und dank ihm des übrigen klaffifchen Altertums.' Nicht
feiten wird man auch einen allzu künftlich geknüpften
Faden löfen. Manches wird man auch vermiffen oder
anders wünfehen. Aber im ganzen wird man dem be-
lefenen, weitblickenden Verfaffer gerne folgen und reiche
Anregung und Belehrung aus dem Buche fchöpfen.

Göttingen. Max Pohlenz.

Latysew, Bafilius: Hagiographica Graeca inedita. (Memoires

de l'Academie imperiale des sciences de St.-Peters-
bourg. VIII« Ser. Claffe hist.-phil. Vol. XII, 2.) (LVI,
152 S.) 4°. Petersburg 1914. M. 4.50

Latysew bietet eine Sammlung von 12 griechifchen
hagiographifchen Texten, von denen bisher nur Nr. 3 und
5 in faft unzugänglichen Akoluthien ediert waren. Es
find: 1. Passio Charalampii inc. ßaaü.tvovxoq, in lateinifcher
Überfetzung ASS. Febr. II 382 ff, beidemale mit einem
unmöglich urfprünglichen abrupten Anfang. 2. Vita Leonis
Catanensis inc. to xaxa xbv aqiayaoxov. Eine inhaltlich
wefentlich gleiche, um die Hälfte kürzere Vita inc. jiaxt(uc,
in lateinifcher Überfetzung ASS. Febr. III 323 ff, ift entweder
die Vorlage der unfern oder aus einer Vorlage
diefer letzteren, nicht aber aus ihr felbft genoffen. 3. Passio
ss. Manuel, Säbel et Ismael inc. ol fihv alloi: die meta-
phraftifche Bearbeitung der immer wieder durchfehim-
mernden Paffio ASS. Jun. III 290ff. inc. xaxa. xbv xaioür,
ein Verhältnis, das fchon in den ASS. erkannt ift, womit
ftimmt, daß die Synaxarnotiz auf letztern Text zurückgeht
. 4. Passio Panteleemonis inc. ßaoiXtvoi'xoq, die Vorlage
der P. G. 115, 448 fr. edierten metaphraftifchen Passio
inc. zr/q eldcofaxt/q. 5.6. Zwei Enkomien auf Panteleemon
inc. ßavftaOxöq und eßxi uev ovdiv. Die ausführliche Erzählung
der Paffion im erften Text geht ficher, die kürzer
und allgemeiner gehaltene im zweiten wahrfcheinlich auf
unfre Paffio zurück; der erfte Text fteht in der Ausgabe
des xav(bv naoarJjjxixöq unter dem Namen des Niketas
Paphlagon. 7. Passio Stephani papae et sociorum inc.
xaxa xovq xainovq, ziemlich treue Überfetzung des lat.
Originals ASS. Aug. I 139fr. 8. Passio Photii et Aniceti
inc. Ixovq ötvxtQov. Die ASS. Aug. II 707,12 haben
diefen Text mit Unrecht als metaphraftifch angefprochen;
er liegt bereits der Synaxarnotiz zugrunde, und der Stil
ift nicht der des Metaphraften. Das kurze fiaQTVQtov iv
ovi'xofiqj ASS. 707fr fcheint nach den wörtlichen An-