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Ausgabe:

1916 Nr. 22

Spalte:

460

Autor/Hrsg.:

Wallis, Louis

Titel/Untertitel:

The Struggle for Justice 1916

Rezensent:

Hall, Thomas Cuming

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Seite 1

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459

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 22.

460

namentlich aus jüdifcher Feder entsprechen nicht mehr
den Forderungen, die wir heute zu Stellen berechtigt find.

M. beginnt mit der Anfiedlung Judas, der von Süden
aus in Palästina eindrang und einen kleinen Streifen des
zwifchen Mittelmeer und Totem Meere gelegenen Gebietes
Südlich von Jerufalem zu erobern und zu behaupten
wußte. In kurzen knappen Zügen zeichnet M. Judas
Entwicklung auf diefem Boden bis in die Zeit desSalomo.
Erft mit der Darfteilung der deuteronomiftifchen Reform
wird die Darfteilung eingehender, mit Recht, denn hier
liegen die letzten Wurzeln des Judentums, infofern die
Gleichung: Wort Gottes = heilige Schrift, die für das
Judentum charakteriftifch ift, auf die Kultusreform des
Jofias zurückgeht, ja auch der ihm eigene gefetzliche Standpunkt
hat feinen Ausgangspunkt in diefer Kodifizierung
des Deut, welches den Strom der lebendigen Entwicklung
, der bis dahin fo erfrifchend durch die Religionsge-
fchichte Ifraels raufcht, zum Stillstand brachte. Man wird
es nur billigen können, daß auch in den folgenden Abschnitten
von der äußeren Gefchichte nur die für die Entwicklung
des Judentums wichtigsten Ereigniffe herausgehoben
werden; der eigentliche Schwerpunkt liegt in
dem Beftreben, die treibenden Kräfte der inneren Entwicklung
des Judentums aufzuzeigen. Das ift überall mit
feinem Verständnis und gefundem Urteil gefchehen. Ich
verweife nur auf die Würdigung der Tätigkeit des Ezechiel
wie der Wirksamkeit des Ezra und Nehemja, es
werden nicht die bedenklichen Seiten verfchwiegen, infofern
die religiöfe Erkenntnis wieder zurückgeworfen wird
in ein längft überwundenes Stadium, es wird anderer-
feits aber doch das Verständnis für die Bedeutung diefer
Entwicklung für die Erhaltung des Judentums erfchloffen.
Befonders gelungen find M. die Abfchnitte, in denen
er das Verhältnis der Juden und Griechen zueinander, die
geistigen Strömungen in den beiden Jahrhunderten vor und
nach Chr. und das paläftinifche und babylonifche Judentum
zeichnet. Es war nicht leicht, bei der ungeheueren
Fülle und der Schwierigkeit der Probleme ein klares, die
wesentlichen Momente klar heraushebendes Bild zu geben,
aber M. hat mit Glück die Klippen umfchifft und alles
für das Verständnis der jüdifchen Entwicklung Notwendige
gegeben.

Es ift nur wenig, was Ref. zu beanstanden oder mit
Fragezeichen zu verfehen hätte. Ich weife, um einiges
zu nennen, auf S. 2, wo von dem auf benjaminitifchem
Gebiet gelegenen Jerufalem die Rede ift. Wir haben
freilich Eine Stelle diefes Inhalts, aber fie gehört Später
Zeit zu, die älteren Quellen wiffen nur von Jerufalem als
einer rein kanaanäifchen Stadt, und gerade darin zeigt
Sich Davids Klugheit, daß er diefe Stadt wählte und damit
der Gefahr entging, Stammeseiferfucht neu zu entfachen
. Zweifelhaft Scheint mir die auf S. 5 gegebene
Darstellung der Gefahren, die mit dem Bau des falomo-
nifchen Tempels gegeben waren: alle unfere älteren
Quellen wiffen von einer von Jerufalem drohenden Kultus-
zentralifation nichts. Bedenken habe ich auch betreffs der
Ausführungen M.s über den Dekalog. Bei einem für
weitere Kreife bestimmten Buch muß der Verf. fich ge-
wiffe Beschränkungen infofern auferlegen, als er die
Fragen, welche noch Gegenstand wiffenfchaftlicher Verhandlungen
find, möglichst unberührt laffen Soll. Die
Frage der Entstehung des Sabbaths ift noch eine fo umstrittene
, es find gegen die Anfetzung, die M. vornimmt,
fo fchwerwiegende Bedenken geltend gemacht — ich erinnere
nur an die Erzählung von der Befeitigung der
Athalja mit Hilfe der Palaftwachen —, daß es nicht angeht
, die Sache fo darzustellen, wie das S. 20 gefchehen
ift. M. hätte auch dann feinen Zweck erreicht, wenn er
die Frage der Entstehung des Sabbaths beifeite ge-
laffen und lediglich die Wertung betont hätte, die der
Sabbath hier im Dekalog gefunden hat. Doch was wollen
diefe und einige andere Kleinigkeiten im Verhältnis zu
der ganzen Arbeit M.s befagen? Tatsächlich ift fie vortrefflich
geeignet, dem Lefer ein klares und zutreffendes
Bild von der Entstehung und Entwicklung des Judentums
zu geben.

Straßburg i. E. W. Nowack.

Wallis, Louis: The Struggle for Justice. (V, 57 S.) 8°.

Chicago, III. (Leipzig, K. W. Hierfemann) 1916. 25 c.

In diefen fiebenundfünfzig Seiten gibt uns der Ver-
faffer eine kurze Überficht über feine Arbeit auf dem
Gebiete des Alten Teftaments, die er in feinem Buch
,Sociological Study of the Bible' ausführlicher und mit
reichlicherem Gebrauch des wiffenfchaftlichen Apparats
fchon veröffentlicht hat. Er findet in dem Alten Teftament
die Literatur eines uralten Streites zwifchen einer privilegierten
Klaffe und einem unterdrückten Volke. Das
Prophetentum Stammt aus der Wüfte und ift, nach Seiner

I Auffaffung, ein flammender Proteft im Namen der Gerechtigkeit
und der Religion gegen das Landmonopol und den
Luxus einer ariftokratifchen und übermächtig gewordenen
regierenden Klaffe. Der Triumph des Monotheismus über
den Polytheismus war deswegen der Triumph des demokratischen
Prinzips auf religiöfer Grundlage, denn Jahwe

I war der Gott der nomadifchen demokratischen Ifraeliten,
und kämpfte gegen die Vielgötterei der Amoriter, die
in der Ebene wohnten und die kapitalistische Organisation
einer älteren Nation fchon befaßen. Das hebräifche Volk
ift danach eine Mifchung der älteren ifraelitifchen Stämme
mit den Amoritern, und in diefem Mifchvolk blieb die
Jahwe-Überlieferung die Hauptfäule des demokratifchen

; Baues. Profeffor Wallis betrachtet es als den größten
Vorzug der modernen biblifchen Wiffenfchaft, daß durch
fie die wahre Bedeutung und der innere Sinn der Bibel
der Kirche gegenüber immer klarer gemacht wird. Diefer
Sinn fei der Kampf für Soziale Gerechtigkeit und eine
wahre Demokratie. Die Religion der heiligen Schrift findet
ihren beften Ausdruck nicht in einer Theologie fondern in
einer neuen Gerechtigkeit und befferen Sozialen Organifation.

Es ift unzweifelhaft ein großes Verdienst des Verfaffers,
daß er uns nochmal wieder auf die fozial-ethifchen Werte
im Alten Teftament aufmerkfam macht, und zwar in einer

j höchft intereffanten und geistreichen Art. Nur möchte

I man im Allgemeinen verfchiedenes gegen feine Methode
einwenden. Die Literatur des Alten Teftaments ift lange
nicht fo einfach wie fie in der Auslegung des Verfaffers
zu fein Scheint und kann nicht von einem Gesichtspunkt

1 aus fo reftlos erklärt werden. Dann möchte man etwas

I eingehender den Begriff,Demokratie' definieren. Die Organifation
eines arabifchen Stammes in der Wüfte ift

j weit entfernt davon, eine Demokratie in modernem Sinne
des Wortes zu fein, und Eigentumsrechte find genau ebenfo
heilig in primitiven Organisationen wie in den vorgeschrittenen
. Allein fie find nur anderer Art. Wir halten
es auch für irreführend, wenn man überhaupt ältere foziale
Zuftände zu einfeitig von dem Standpunkt einer modernen
Induftrieentwickelung aus beurteilt. In unferem Sinne
des Wortes gab es erft eine ,kapitaliftifche' Klaffe, nachdem
die Dampfmafchine das Verhältnis des Arbeiters zu feiner
Arbeit und feinem Arbeitgeber gänzlich geändert hatte.

Das Büchlein wird aber ohne Frage guten Dienft
leiften, denn es ift frifch und feffelnd geschrieben und
der Standpunkt ift intereffant und läßt vieles für fich
Sagen. In gewiffen Kreifen wird felbft die Einfeitigkeit
nicht fchaden, wenn das Buch die Augen öffnet und man
auf das foziale Element in der heiligen Schrift aufmerkfam
gemacht wird. In andern Arbeiten hat der Verfaffer
reichlich bewiefen, daß er auf dem Gebiet der altteftament-
lichen Forfchung über umfaffende Kenntniffe und eine
kritifche Methode verfügt, und feine feinfinnige Verteidigung
einer fo kühnen Hypothefe wird wohl manche zum
Nachdenken anregen.

New York. Thomas C. Hall.