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Ausgabe:

1916

Spalte:

445-446

Autor/Hrsg.:

Schlatter, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Geschichte der Basler Mission 1815 - 1915. 1. Bd.: Die Heimatgeschichte der Basler Mission 1916

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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rührungsflächen vorhanden, in dem Umfange, daß man
Rouffeau geradezu als den konfequenten Vollender der
neucalvinifchen Anfätze bezeichnen kann; aber man fieht
auch fofort, daß diefer Zufammenhang auf Korten des
Calvinismus entfteht, der in immanenter Bewegung dem
modernen Rationalismus zufteuert.

Befondere Aufmerkfamkeit verdienen die mit dem
Thema zwar nur lofe zufammenhängenden, aber dafür an
fich um fo wertvolleren Beobachtungen über den Zu-
fammenftoß des Gefühlsprinzips mit dem Rationalismus
in Rouffeaus Glaubensbekenntnis. Gefühlsnotwendigkeit
und Vernunftgemäßheit Breiten fich hier in ungelörter
Disharmonie um das Recht auf die Beglaubigung des
religiöfen Bewußtfeins. Der Knoten wird mit Cordier in
der Weife zu löfen fein, daß das neue Gefühlsprinzip die
Widerftände der älteren, rationaliftifchen Methode nicht
völlig zu überwinden vermocht hat. Die perfönlichfte
Entdeckung Rouffeaus ift nicht ftark genug gewefen, um
die Macht des auch ihn beherrfchenden Zeitgeiftes zu
brechen.

Eine wertvolle Zufammenftellung der Rouffeau-Lite-
ratur ift als dankenswerter Anhang der lehrreichen Abhandlung
beigegeben.

Berlin. Heinrich Scholz.

Schlatter, Pfr. Wilh.: Gerchichte der Basler Million 1815—
1915. Mit befond. Berückficht, der ungedruckten Quellen
dargeftellt. (In 3 Bdn.) 1. Bd.: Die Heimatgefchichte
der Basler Miffion. (XII, 422 S.) Lex. 8°. Bafel, Basler
Miffionsbuchh. 1916. Subfkr.-Preis M.4—; geb. M. 5.20

Dies Werk ift zur Jahrhundertfeier der Basler Miffion
vom Miffionskomitee felbft in Auftrag gegeben. Es ift
auf drei Bände angelegt. In dem künftigen 2. und 3.
Bande follen die afiatifchen und afrikanifchen Miffions-
gebiete Bafels dargeftellt werden, während der vorliegende
1. Band die Heimatgefchichte der Basler Miffion
erzählt. Von dem bahnbrechenden Werke Paul Epplers
,Gefchiclite der Basler Miffion 1815 — 1899' (Bafel, Miffions-
buchhandlung 1900) unterfcheidet fich diefes Werk: 1.
durch die Weiterführung der Darftellung von 1899 bis
1914; 2. durch erheblich größeren Umfang und größere
Vollftändigkeit im Einzelnen; 3. durch ausgiebige und
zweckmäßige Wiedergabe vieler Abfchnitte aus bisher
ungedruckten Quellen, — Berichten, Briefen und Protokollen
der Sitzungen des Miffionskomitees, wodurch ebenfo
die Anfchaulichkeit wie die Möglichkeit der Beurteilung
gefördert wird; 4. durch feine Anlage infofern, als
Eppler die Gefchichte der Miffionsgebiete periodenweis
mit der Heimatgefchichte verknüpft hatte. — Immerhin
bleibt das Epplerfche Werk das grundlegende, auf deffen
Schultern das Schlatterfche und alle andern neueren
Darftellungen der Basler Miffion flehen. Die Gliederung
der Gefchichte, nämlich nach dem Zeitalter der einzelnen
bedeutenden Miffionsinfpektoren, wie Eppler fie bereits
eingeführt hatte, ift innerlich notwendig und fachlich gegeben
. Schlatter hat es verftanden, ein lebensvolles, in
fich abgerundetes und naturgetreues Bild der Heimats-
gefchichte der Basler Miffion zu geben, deren Entwicklung
in fachlicher wie in perfönlicher Hinficht außerordentlich
fpannend und lehrreich ift. Freilich hätte vielleicht
doch die Aufnahme der Miffionsarbeit in den einzelnen
Gebieten etwas deutlicher auch fchon in diefem
erften Bande hervorgehoben werden müffen, und das
4. Kapitel des I. Abfchnittes (das Werk am Kaukafus)
fällt eigentlich aus dem felbftgewählten Rahmen heraus.
Die Beleuchtung und Beurteilung ift felbftverftändlich
die überlieferte pietiftifche, meift in der befonnenen und
gemäßigten Art, wie man fie von Bafel gewohnt ift.
Doch werden die feparatiftifchen und fektiererifchen
Richtungen freundlicher behandelt als die kirchlichen
oder gar als die liberalen. Die englifchen und ameri-

kanifchen Einflüffe werden z. B. S. 369 recht hoch ein-
gefchätzt. Über die Auseinanderfetzung mit dem Allg.
ev. prot. Miffionsverein werden S. 352 wohl die Tatfachen
wiedergegeben, aber gerade damit Zweifel an der
vollen Gerechtigkeit geweckt. Auch Langhans ift trotz
feiner Schärfe und Einfeitigkeit S. 285 f. doch wohl nicht
ganz billig gewürdigt. Andererfeits ift in fehr ernften
zeitgenöffifchen Basler Miffionskreifen felbft weniger
günftig über Hebich geurteilt worden, als es nach S. 238 f.
fcheint. An kleinen Verfehen bemerke ich folgende: von
Meyer (S. 39) war nicht Senior, fondern Senator in
Frankfurt; für Lieder werden S. 75 zwei Todesjahre
(1838 und 1865) angegeben; auf S. 217 muß es wohl
ftatt Abu de Aburi heißen. Die reichhaltige biogra-
phifche Literatur ift wenig verwertet. Daß mein doch
immerhin umfangreiches und felbftändiges Buch .Einführung
in die ev. Miffionskunde im Anfchluß an die
Basler Miffion' (Tübingen 1902, 340 S.) selbft bei der
Literatur auch nicht einmal dem Titel nach erwähnt ift,
muß ich entfchuldigen, da der Verfaffer es fertig gebracht
hat, felbft Epplers grundlegendes Werk lediglich im Vorwort
zu ftreifen, ohne es im 4. Kapitel des V. Abfchnittes,
wo er die Literatur der letzten Jahrzehnte befpricht
S. 357 ff., auch nur zu nennen, gefchweige gebührend
hervorzuheben. Dem Werke an fich tut das freilich
keinen Abbruch.

Frankfurt a. M. W. Bornemann.

Joachimlen, Prof. Paul: Vom deutfehen Volk zum deutlchen
Staat. Eine Gefchichte des deutfehen Nationalbewußt-
feins. (Aus Natur u. Geifteswelt. 511. Bdchn.) (III,
130 S.). kl. 8°. Leipzig, B. G. Teubner 1916.

M. 1 —; geb. M. 1.25

Kaerft, Julius: Das gelchichtliche Welen und Recht der deutlchen
nationalen Idee. (III, 61 S.) 8°. München, C. H.
Bock 1916. M. 1.50

Eine Gefchichte des deutfehen Nationalbewußtfeins
von Armin bis zu Wilhelm II. wird jetzt lebhafter Teilnahme
begegnen. Joachimfens Buch verdient fie auch
redlich, da es auf kurzem Raum eine erftaunliche Fülle
bietet. Der Gefichtskreis ift fo weit wie möglich gezogen;
er umfchließt Religion und Kirche, Kunft und Dichtung,
Wiffenfchaft und Philofophie, Technik und Wirtfchaft neben
dem fpezififch Politifchen. Natürlich ift das Meifte nur
knapp, manches zu knapp angedeutet. Man hätte das
Büchlein gern zu einem Buch erweitert. Die ftärkfte Wirkung
leitet J. von Luther und Bismarck ab. ,Ich meine,
die größte Bedeutung Luthers für die Entwicklung des
deutfehen Charakters liegt darin, daß er ihn dauernd auf
die Frömmigkeit gegründet hat' Für die letzten Jahre
vor dem Weltkrieg bezeugt J. mit Genugtuung das Hervor-
! treten eines neuen Idealismus. Der Krieg hat offenbar
i gemacht, wie weit unfere nationale Entwicklung doch vorangekommen
war. Aber der Probleme und Aufgaben bleiben
genu<j.

Zu J. bildet Kaerft eine fchöne Ergänzung. Während
J. uns im Fluge, in gradlinigem Zug, durch die gefchicht-
liche Entwicklung führt, diefe möglichft objektiv fchildert,
fo daß feine eigene Auffaffung mehr angedeutet als aus-
gefprochen wird, ftellt uns K. auf einen beherrfchenden
Höhepunkt und läßt uns von da im Rundblick und Rückblick
den durchmeffenen und den zur Seite gelaffenen
Raum betrachten, lehrt uns mit feinen Augen die Dinge
fehen, läßt uns fie wiederholt betrachten, damit wir alle
wichtigen Züge erkennen. Das Hauptaugenmerk Ks ift
auf die Unterfcheidung unferer deutfehen Kultur und
nationalen Idee von der wefteuropäifchen gerichtet. Diefe
ift immer noch wefentlich durch die Aufklärung bedingt;
auch wo religiöfe Ideen zugrunde liegen, find fie zu
Aufklärungsgedanken verflüchtigt. Der Rationalismus der
Gleichheit, der Individualismus als Utilitarismus, nivellieren-