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Ausgabe:

1916 Nr. 2

Spalte:

439-440

Autor/Hrsg.:

Buchner, Max

Titel/Untertitel:

Die deutschen Königswahlen und das Herzogtum Bayern vom Beginn des 10. bis zum Ende des 13. Jahrh. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichtedes Kurrechtes der Laienfürsten 1916

Rezensent:

Lerche, Otto

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439

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 20/21.

440

Cannes find ebenfo erwähnt wie die Gefangenichaft des
Ex-Marfchalls Bazaine in Ste. Marguerite. Der Wert der
Arbeit liegt weniger in der geiftigen Durchdringung des
Stoffes als in feiner Zufammenfaffung.

Kiel. G. Ficker.

Buchner, Priv.-Doz. Dr. Max: Die deutschen Königswahlen
und das Herzogtum Bayern vom Beginn des 10. bis zum

Ende des 13. Jahrh. Ein Beitrag zur Entftehungsge-
fchichte des Kurrechtes der Laienfürften. (Unter-
fuchungen zur deutfchen Staats- und Rechtsgefchichte,
117. Heft.) (XXIV, 179 S.) gr. 8°. Breslau, M. &
H. Marcus 1913. M. 640

Wir haben in diefer Zeitfchrift von der letzten größeren
Arbeit Buchners auf diefem Gebiete ,die Entftehung
der Erzämter und ihre Beziehung zum Werden des Kurkollegs
' (1911) in ausführlicher Weife Notiz genommen.
Das Thema ift zudem fo wichtig auch für die Entwicklung
der mittelalterlichen deutfchen Kirche und ihrer
Verfaffung, daß ein Eingehen auf die Fragen der Königswahl
in diefer Zeitfchrift berechtigt ift. Auch den Re-
fultaten unfrer Arbeit kann man wie der früheren Buchners
uneingefchränkt zuftimmen, und es fei geftattet, hinzuzufügen
, daß fowohl die Formulierung aufzuftellender
Thefen wie auch die Abwägung der Gründe und Gegengründe
, ferner die Heranziehung und Sichtung der Quellen
und fchließlich auch die Auseinanderfetzung mit den
Meinungen anderer über jedes Lob erhaben ift. Die
Formulierung der Thefen ift fehr vorfichtig. B. entfchließt
fich gelegentlich lieber zu einem non liquet, als daß er
ohne rechte Begründung eine vielleicht mögliche aber
fchließlich doch nicht unbedingt haltbare Feftftellung
wagt. Die Heranziehung der Quellen ift außerordentlich
vollftändig und reichhaltig. Es ift B. gewiß hoch anzurechnen
, wenn er imftande ift, die bayerifchen Quellen,
die fo ganz für das unbedingte Vorhandenfein einer bayerifchen
Kur fprechen, ohne Bedenken hinter andere wichtigere
, aber nicht in ein für Bayern günftiger liegendes
Bild paffende, urkundliche Quellen zurückzuftellen. Freilich
erwartet man das ja von dem unparteiifchen Hifto-
riker im Allgemeinen; hier jedoch hätte der Gedanke,
den bayerifchen Quellen in Sachen der bayerifchen Kur
den Vorzug zu geben, nicht einmal fo fern gelegen, da
einerfeits die politifchen Möglichkeiten vorhanden waren
und andererfeits die gegnerifchen Quellen gegenteiliges
nicht explicite mitteilen, fondern höchftens verfchweigen.
Und zur richtigen Verwertung deffen, was die Gegner
verfchweigen, gehört verftändnisvolle und kritifche Unbefangenheit
in hohem Maße. Befonders angenehm aber
wirkt an dem Buche Buchners die außerordentlich vornehme
Kampfesweife — wenn man von einer folchen
reden darf—gegen die wiffenfchaftlichen Gegner. B. kehrt
vielfach zu den älteren Theorien, die von Ficker, J. Fr.
Böhmer, Weiland, Philipps und anderen aufgeftellt und
zum Teil mit großem Scharffinn verteidigt find, zurück.
Freilich tritt er nicht fklavifch in ihre Fußtapfen, wenn
es auch immer ein Zeichen von hiftorifchem Verftändnis
ift, wenn man J. Fickers Thefen richtig anwendet. In
eigener Forfchung und mit neuen und gefchickt gewählten
Beifpielen ift B. in der Lage, die von Ficker zumal auf-
geltellten Sätze zu bekräftigen und zu erhärten. Wenn
fomit der Arbeit ein wohltuender konfervativer Zug eigen
ift, fo muß andererfeits betont werden, daß fie fich gefchickt
und einwandfrei in Form und Beweis mit den
neueren Forfchungen auf diefem Gebiete auseinanderfetzt.
Während fich Buchner in den Refultaten häufig mit denen
Blochs (die ftaufifchen Kaiferwahlen und die Entftehung
des Kurfürftentums 1911) trifft, fleht er fich jedoch gezwungen
, die fich faft über ein Jahrzehnt erftrecken-
den zahlreichen und z. T. umfangreichen Forfchungen
M. Krammers in einzelnen wichtigen Ergebniffen abzulehnen
. Das gefchieht — es muß das betont werden — in
außerordentlich vorfichtiger und anerkennenswerter Weife.

Aus den Arbeiten Buchners — neben der oben
genannten kommen noch mehrere zum Teil umfangreiche
Auffätze in der hiftorifchen Vierteljahrsfchrift, im hifto-
rifchen Jahrbuch, in der Zeitfchrift der Savignyftiftung
für Rechtsgefchichte, germ. Abt., und in der Feftfchrift
der Görresgefellfchaft f. Georg v. Hertling hier in Betrachtung
— geht das eine klar, alfo trotz aller hier und
da verruchten Einwände wiederum klar hervor, daß
man fich in der Frage nach der Entftehung des Kur-
fürftlichen Wahlrechts nicht unbedingt für die Entftehung
aus dem Stammesherzogtum oder ebenfo unbedingt für
die Entftehung aus dem Erzamt entfcheiden kann. Für
die Mehrzahl der weltlichen Kurfürften fpricht das
Stammesherzogtum, oft in Verbindung mit dem Erzamt,
für die geiftlichen Fürften und ihr Kurrecht wirkt das
Erzamt und feine theoretifche Ausweitung. Ein Typus
darf bei den ftändigem Wechfel unterliegenden Rechts-
anfchauungen des Mittelalters und dem überaus bunten,
den verfehle denften Einflüffen ausgefetzten Verfaffungs-
leben des Reichs nicht aufgeftellt werden. Von ganz
befonderem Intereffe ift da, auch für weitere Kreife, die
Entwickelung und das Aufhören der bayerifchen Kur.
Es liegt darin ein gewiffer tragifcher Zug der Gefchichte,
daß derjenige deutfche Stamm, der es immerhin in ziemlich
vollendeter Gefchloffenheit zu einem modernen deutfchen
Staat gebracht hat, die Kurwürde nur vorübergehend
und nicht unbeftritten befeffen hat, um fie dann
zu verlieren und erft wiederzuerhalten, als die Kurwürde
lediglich ein dekoratives Element war. Man dürfte in
dem Streit zwifchen Böhmen und Bayern um die fiebente
Kur fagen, daß es fich handelt um den vorwaltenden
Einfluß des Erzamtes (Böhmen, der Schenk) gegen das
Stammesherzogtum (Bayern). Aber folchen Feftfetzungen,
die mancherlei Beftechendes haben, weicht Buchner gefchickt
und in gerechter Würdigung der Aufgaben des
Hiftorikers aus.

Buchner weift nach, daß der bayerifche Stamm, vertreten
durch feinen Herzog, feit dem Ausgang des karo-
lingifchen Haufes in hervorragender Weife an der Neu-
befetzung des kgl. Throns beteiligt gewefen ift. Der
Herzog genießt ein Vorftimmrecht, er gehört zu den eli-
gentes im Gegenteil der Menge der Fürften und Edlen,
die lediglich als consentientes an der Wahl beteiligt find.
Diefes Vorrecht wird auch betätigt in Defignation der
Thronerben und in Nachwahl eines ohne bayrifche Stimme
erwählten Königs. Kritifch wird die Frage nach Berechtigung
des nach Heinrichs des Löwen Sturz zweifelhaft
gewordenen bayerifchen Wahlanfpruchs zu Ausgang
des 12. Jahrhunderts bei der Zwiekur, und noch mehr im
13. Jahrhundert, als das bayerifche Haus in Pfalz und
Bayern getrennt war. Die Zwietracht der beiden bayerifchen
Brüder hat dem Pfalzgrafen in unverftändigem
Eigennutz nicht geftattet, den Herzog in feinen Kuran-
fprüchen zu unterftützen, und Rudolf von Habsburg hat
in weifer — nicht immer einwandfreier — Reichs- und
Hauspolitik den Bayern und den Böhmen fo lange gegeneinander
ausgefpielt, bis er fich für die böhmifche Kur
entfehied und Bayern leer ausgehen ließ. Buchner ver-
fchmäht es, diefe Handlungsweife Rudolfs, die nur teilweife
durch das Verhalten des bayrifchen Herzogs berechtigt
ift, irgendwie moralifch zu werten. Hingewiefen
fei darauf, daß befonders die Erörterungen über die
Wahlen von 1237, l2S7 uncl I273 ausführlich find und
daß Buchner fich über den Braunfchweiger Fürftentag
von 1252 und die beiden dort gefundenen Weistümer
in Sachen des Wahlrechts kritifch äußert. Jedoch ift" ein
ausführliches Eingehen auf diefe Dinge hier nicht geftattet
. Es fei darum dem Verfaffer für feine nicht nur
anregenden fondern auch gehaltvollen und förderlichen
Ausführungen der wärmfte Dank ausgefprochen.
Leipzig. Otto Lerche.