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Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

413-414

Autor/Hrsg.:

Schwarz, Walther

Titel/Untertitel:

Immanuel Kant als Pädagoge 1916

Rezensent:

Buchenau, Artur

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413

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 18/19.

414

ftrömen läßt. Zur Förderung des nationalen Friedens
handelt er von den religiös-fittlichen Grundfätzen über die
Bedeutung der Nationalität an und für fich, über die allgemeine
Stellung der Nationalitäten zu einander, über die
Nationalität und den öfterreichifchen Staat, über das
wechfelfeitige Verhältnis der Nationalitäten im öfterreichifchen
Staat und kommt zu folgenden Ergebniffen und
Forderungen: Nationalität ift göttliche Gabe, heißeften
Dankes, höchfter Ehre wert. Sie foll nicht einem unnatürlichen
Weltbürgertum weichen, ein Heiligtum bleiben,
aber nicht zu einem Kultgegenftand entarten. Wir follen
in Glaube, Liebe, Hoffnung an dem majeftätifchen Gefamt-
reich aller Völker arbeiten, aber auch der Sünde der
Selbftüberhebung unferes und fremden Volkstumes demütig
und erzieherifch abhelfen. Wir follen das höchfte nationale
Gut nicht im felbftändigen nationalen Staatsverband
fuchen, fondern dankbar und treu unfer Volkstum dem
von Gott gefchenkten gemeinfamen Staatsverband dienen
laffen; Staatsverband geht über Volksverband! Endlich
mögen die Slawen dem kernigen, kraftvollen Volk der
Deutfchen das göttliche Gnadenrecht der Hegemonie in
Ofterreich, des Pnmatus inter pares zubilligen; dagegen
follen die Deutfchen im Übrigen die Gleichheit aller
Nationendes Völkerftaates untereinander getreulich pflegen;
jener Vorrang wie diefe Gleichheit muß durch fittliche
Arbeit verdient werden. Überhaupt muß das Ziel des
furchtbaren Ringens — Seile fpricht nur von dem herrlichen
Krieg' — fein: höchfte Entfaltung unferer nationalen
Kraft, verbunden mit einer Mäßigung, die uns das
Vertrauen der Völker fichert. Die Religion aber darf
nicht mehr zur politifchen Stütze entweiht werden; weder
,der deutfehe Gott', noch ,die nationale Kirche', noch die
.polnifche Mutter Gottes' vertragen fich mit der unpoli-
tifchen Übernationalität des chriftlichen Glaubens. Auch
aller Konfeffionalismus mit feinen kleinlichen, furchtfamen
Kampfmitteln muß beifeite geftellt und mit der konfef-
fionellen Gleichberechtigung ernft gemacht werden.

Seile rechnet damit, daß feine Ausführungen vielen
ganz weltfremd, als Illufion, Utopie erfcheinen werden;
freundliche Stimmen im eigenen Lager haben ihm das
bereits verfichert. Mag fein, daß er zu hochgeftimmt ift
Menfchen und Dinge zu rofig betrachtet, die Macht des
.Niederträchtigen' unterfchätzt; in dem dicht gedrängten
Rat der neuen Welt- und Staatsbaumeifter ift folche
Stimme von hohem Wert.

6. Nach den bellen Hilfsmitteln gibt Fifcher eine
Überficht über die Gefchichte von Eger, um dann ausführlich
auf Grund der Kirchenakten eine Gefchichte der
evangelifchen Gemeinde zu bieten, die mit vielen künft-
lerifchen Abbildungen gefchmückt ift. Eine fchönere
Feflfchrift zur Halbjahrhundertfeier der evangelifchen
Schule konnte fich die Gemeinde nicht wünfehen.

Königsfee, O.-B. Georg Loefche.

Schwarz, Dr. Walther: Immanuel Kant als Pädagoge. (Pä-
dagogifches Magazin, Heft 607.) (VIII, 173 S.) 8°.
Langenfalza, H. Beyer & Söhne 1915. M. 2.25

In einem Briefe an Wolke fchreibt Kant: ,Ich fehe
nicht die Schulwiffenfchaft, fondern die Bildung des Menfchen
, feinem Talente wie feinem Charakter nach, als das
einzig Notwendige an'. In diefem Kernworte liegt die
Summe feiner pädagogifchenEinfichten befchloffen, die im
einzelnen auseinanderzufetzen dem Verfaffer des hier vorliegenden
Buches recht gut gelungen ift. Sch. behandelt
zunächfl Kants allgemeine Stellung zur Pädagogik und
gibt fodann eine fyflematifche Darftellung der pädago-
gifchen Anfchauungen Kants. Die Quellen find forgfaltig
und fo gut wie erfchöpfend benutzt, wenn auch vielleicht
die Bedeutung der Biographien von dem Verfaffer etwas
über fchätzt wird (f. S. VI). Schon in den vorkritifchen
Schriften Kants finden fich feine Gedanken; fo heißt es
im Jahre 1765: ,Er (der Schüler) foll nicht Gedanken,

fondern denken lernen; man foll ihn nicht tragen,
fondern leiten, wenn man will, daß er in Zukunft von
fich felbft zu gehen gefchickt fein foll'. Kants Vor-
lefungen über Pädagogik, die im Jahre 1803 hrsg. von
Rink erfchienen find, werden von dem Verfaffer genau
unterfucht und nach ihrem Haupt-Inhalte analyfiert. Bedeutungsvoll
ift befonders die Kantifche Anficht vom
Erziehungsziel (S. 77 h) Diefes ift nach Kantifcher Lehre
die Erziehung zur Sittlichkeit d. h. zu einem moralifchen
Charakter. An andrer Stelle heißt es darüber: ,Die größte
Angelegenheit des Menfchen ift zu wiffen, wie er feine
Stelle in der Schöpfung gehörig erfülle und recht verliehe,
was man fein muß, um ein Menfch zu fein' (S. 79). In
einer fpäteren Schrift (,Metaphyfik der Sitten') findet fich
die feine Formulierung, daß der Menfch fich aus der
Tierheit emporarbeiten müffe ,um der Menfchheit, die in
ihm wohnt, würdig zu fein'. Hier kommen ganz klar
die beiden entfeheidenden Gefichtspunkte heraus, daß es
fich nämlich bei der Erziehung 1. um Menfchen-Würde
handelt und daß 2. die Menfchheit ,in uns wohnt'.

Nicht fo ganz beizupflichten vermag ich den Ausführungen
des Verfaffers über Kants Lehre von der Möglichkeit
der Erziehung. Diefe foll nämlich nach Schwarz
fcheitern an Kants Lehre vom ,intelligiblen Charakter'.
Hier zeigt fich fo recht deutlich, daß mit allen Belegftellen
und biographifchen Einzelheiten das Problem: ,Kant als
Pädagoge' nicht voll zu löfen ift, daß vielmehr eine Darftellung
der Kantifchen Ethik als Grundlage zum fyfle-
matifchen Verftändnis hätte vorangehen müffen. Reiht
man bloß die Stellen aneinander, fo kommen fcheinbare
Widerfprüche heraus, die aber doch fo an der Oberfläche
liegen, daß man fie Kant lieber nicht zutrauen follte.
Hier liegt der Mangel der fleißigen Unterfuchung von
Schwarz, die darum fchließlich doch ein Gefühl der Un-
befriedigung hinterläßt, weil man nach der Lektüre nicht
recht verliehen kann, wie Kant eigentlich zum einfluß-
reichften Denker — und damit auch Erzieher — des 19.
Jahrhunderts werden konnte. Diefe Lücke auszufüllen,
bleibt der Forfchung der Zukunft vorbehalten, doch foll
das nicht hindern, die wertvollen Anregungen der Arbeit
von Schwarz dankbar anzuerkennen.

Charlottenburg. Artur Buchenau.

Neefer, D.Maurice: Le Probleme de Dieu. (V, 190 S.) 8°.

Neuchatel, Attinger Fr. (1915). M. 2 —

In der Einleitung feiner Schrift Hellt der Verf. zunächfl
das von ihm behandelte Problem vor das Forum
des Gedankens (le probleme devant la pensee). Eine
fummarifche Prüfung der hergebrachten Gottesbeweife
führt zu dem Ergebnis, daß es einen theoretifch zwingenden
Beweis (preuve imperative) für das Dafein Gottes
nicht gibt. Damit ift aber noch keineswegs die Unmöglichkeit
des Gottesglaubens (croyance en Dieu) felbft gefetzt
. Diefem ift N.s Unterfuchung gewidmet. Der erfte
Teil derfelben (27—ico) will die Grundzüge diefes Glaubens
befchreiben, wie er fich in den durch die Religions-
pfychologie und die Religionsgefchichte aufgewiefenen
religiöfen Typen darfteilt. Der Verf. handelt zunächfl
von den Auslagen über das Sein Gottes, dann von den
Auslagen über das Wie diefes Seins (manieres d'etre). Er
findet den religiöfen Trieb in dem Beftreben, die dem
Menfchen wefentlichen Güter und Werte durch den
Gottesglauben zu retten und zu verbürgen. Die Gottheit
ift die diefe Werte und Güter garantierende Macht. Der
Unterfchied zwifchen den verfchiedenen Religionen liegt
in der Artbeftimmung jener Größen, von den niedrigften
Stufen der Naturreligionen bis zum höchften Gipfel der
Geiftesreligion. In der unendlichen Mannigfaltigkeit feiner
Geftalten und Ausprägungen bewegt fich das religiöfe
Bewußtfein der Menfchheit um jene in Wechfelbeziehung
flehenden Pole der Güter und Götter. — Bei der Befchrei-
bung des Wie des göttlichen Seins unterfcheidet N. einen