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Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

409-413

Autor/Hrsg.:

Fischer, Gustav

Titel/Untertitel:

Das Evangelium in Eger und im Egerlande 1916

Rezensent:

Loesche, Georg

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409 Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 18/19.

(IV, 97 S.) Lex. 8». Krakau 1915. (Wien, B. Herder.)

Kr. 3-

Selle, Pfr. DD. Friedrich: Die Förderung des nationalen
Friedens in Öfterreich und die Religion. (58 S.) gr. 8°.

Graz, Leufchner & Lubensky 1915. M. —80

Fifcher, Pfr. Guftav: Das Evangelium in Eger und im Eger-
lande. (311 S.) gr. 8°. Leipzig, A. Strauch 1915. M. 2 —

1. Seit Anton Frind's vor bald vierzig Jahren ab-
gefchloffener vierbändiger Kirchengefchichte Lohmens, die
namentlich für die älteften Zeiten ganz unwiffenfchaftlich
gehalten ift, erfchien keine zufammenhängende deutfche
Darftellung; die vor drei Jahren veröffentlichte treffliche,
wenn auch viel umftrittene Gefchichte Böhmens und
Mährens von Bertold Bretholz konnte der kirchlichen
Entwicklung nur zwei Kapitel widmen.

Deshalb ift es fehr zu begrüßen, daß ein fo kundiger,
umfichtiger und gewiffenhafter Forfcher wie Dr. Auguft
Naegle, o. Profeffor der Kirchengefchichte an der deutfchen
Univerfität in Prag, einen Neubau begonnen hat. Unter
prüfender Verwertung der maßgebenden Quellen und
weitgehender Beiziehung des einfchlägigen neueren Schrifttums
, natürlich auch des tfchechifchen, in Büchern und
Zeitfchriften, foll zunächft in einem erften Bande eine
Darftellung der Einführung des Chriftentums in Böhmen
geboten werden, der mit dem Jahre 1039 und dem hochwichtigen
grundfätzlichen, chriftlichen Bekenntnis und
Gelöbnis zu Gnefen abfchließt, wo der Böhmerherzog
Bfetislaw L vor dem Grabe des h. Adalbert fein zahlreiches
Volksheer feierlich fchwören ließ. Von diefem
erften Band liegt zunächft der erfteTeil vor mit den drei ungleich
langen Abfchnitten: Germanifche Chriften inBöhmen
vor der Einwanderung der Slawen; die erften Chriftiani-
fierungsverfuche bei den böhmifchen Slawen; der erfte
chriftliche Prager Herzog. Naegle verfichert, es handele
fich für ihn nicht um kirchliche, auch nicht um nationale
Interefien, fondern einzig und allein um die Erforfchung
und Feftlegung des Tatfachlichen, um rein gefchichtliche
Fragen, die nur von gefchichtlichen Gefichtspunkten und
nur mit gefchichtlichen Mitteln zu löfen find. Das find
keine leeren, irreführenden Prunkworte, ■— das bifchöfliche
Imprimatur darf den Lefer nicht ftutzig machen, — fondern
Verf. hat fein Wort gehalten, fich möglichfter Unparteilichkeit
zu befleißigen und die Ergebnifle unentftellt wiederzugeben
; tunlichft kommen die Quellen felbft zu Wort.
Befonders wertvoll ift es, daß er beftrebt war, fich nicht
immer nur mit den zunächft liegenden Fragen zu begnügen
, fondern feine Darlegungen bisweilen auf mög-
lichft breiter Grundlage zu gestalten.

Einige Hauptpunkte mögen zur Kennzeichnung hervorgehoben
werden. Eine fehr hohe Wahrfcheinlichkeit
fpricht dafür, daß fchon weitere Kreife der Markomannen
während ihrer Anwefenheit in Böhmen, die bis zur Wende
des fünften zum fechften Jahrhundert währte, mit dem
Chriftentum bekannt geworden find; aber ficherlich ift die
auch über Böhmen fich ergießende Flut der Völkerwanderung
, die auch die Markomannen unter das Joch der
Hunnen brachte, der Entwicklung des Chriftentums keineswegs
günftig gewefen. Mit der zeitweifen Niederlaffung
der Langobarden auf böhmifchem Boden, für die wie für
die der Markomannen von mancher Seite auch archäo-
Iogifche Funde ins Feld geführt werden, erfchien das
Chriftentum zum zweitenmale in Böhmen, wenn auch
wieder nur vorübergehend und wohl in fehr befchränktem
Maße. Mit dem Abzüge der Langobarden nach Pannonien
gaben fie auch wohl ihre böhmifchen Sitze auf. An
Stelle der deutfchen Völkerfchaften ließen fich in der
zweiten Hälfte des fechften Jahrhunderts flawifche Mafien
nieder, ohne daß germanifche Beftandteile vollftändig
verfchwanden. Daß unter den Slawen Bonifatius erfolgreich
miffioniert habe, entbehrt jeder Spur eines Beweifes,
zumal er fich höchft abfällig und verächtlich über fie

äußert, und zwar wohl nicht nur aus konfeffionellen, fon
dern auch aus völkifchen oder Raffe-Gründen. Für das
fränkifche Reich war es aber Regierungspolitik, auch die
Slawen zu chriftianifieren. Mit der Ausdehnung der Oberherrfchaft
Karls des Großen über Böhmen wurde zugleich
der Grund zur Chriftianifierung gelegt, die von der angrenzenden
bayrifchen Kirche ausging. Seit der zu
Regensburg am Hofe Ludwigs des Deutfchen auf ihren
Wunfeh erfolgten Taufe von vierzehn böhmifchen Fürften,
mit ihrem Gefolge, beftand im Weften Böhmens ein chrift-
lich-flawifcher Staatsverband, politifch im engeren An-
fchluß an das deutfche Reich und kirchlich als ein Teil
der Regensburger Diözefe. Aber infolge der politifchen
Unterordnung Böhmens unter das ftärkere Mähren mußten
auch flawifche Priefter aus der damals einen bedeutenden
Auffchwung nehmenden mährifchen Kirche vor allem in
Oftböhmen Miffion treiben.

In Mähren hatte ja Methodius, anfangs gemeinfam
mit feinem Bruder Konftantin, feine fruchtbare Tätigkeit
entfaltet und ein — freilich kurzlebiges — national-flawifches
Kirchentum mit flawifcher Kirchenfprache eingerichtet.
Zweifellos waren für den Mährenherzog Roftislaw bei
Berufung der beiden Brüder mehr als rein religiöfe kirchen-
politifche Gründe beftimmend, um fich kirchlich von den
Franken loszumachen; Byzanz war ihm nicht fo gefährlich
wie die weltlichen Nachbarn. Dagegen können für die
Brüder felbft nur religiöfe Leitbilder angenommen werden.
Man darf nicht vor ihrer Wirkfamkeit einen möglichften
Tiefftand des mährifchen Chriftentums annehmen; denn
der Miffionsweife der fränkifchen Kirche war es nicht um
eine bloß äußerliche Aufnahme zu tun, fondern um eine
forgfältige Einführung in die Glaubens- und Sitten-Lehren.
Das fog. Altkirchenflawifche, deffen fich das Brüderpaar
in Mähren und Pannonien bediente, war nicht die ein-
heimifche mährifch-pannonifche Mundart, fondern eine
füdflawifche, bulgarifch-mazedonifche. Sie ift die ältefte
flawifche, die fchriftlich feftgelegt und zur Schriftfprache
erhoben wurde, mit einer den Lauten fcharfftnnig angepaßten
griechifchen Minuskelfchrift, der Glagolica; eine
gewaltige philologifche Leiftung, vielleicht die bedeutendfte
des ganzen Mittelalters. Diefe Mundart mußte fich dem
Volk mehr einfchmeicheln als das mit Mühe angeeignete
Slawifche der deutfch-lateinifchen Priefter, die zudem
von den beiden Brüdern in fittlicher Lebensführung überragt
wurden. Die überfetzte Liturgie war zweifellos die
im Lande herkömmliche römifche; daneben wurden allerdings
fchon früh liturgifche Stücke, aus dem griechifchen
Ritus überfetzt, verbreitet. Allein die Begeifterung für
den rein flawifchen Gottesdienft erwies fich bald als
Strohfeuer, da man doch dies Kirchenflawifch als etwas
Fremdes empfand, das dann ftreng verboten wurde, vielleicht
aber noch in kleinen abgelegenen Orten fortlebte.
Viel können der flawifchen Priefter, die von Mähren zur
Einrichtung eines national-flawifchen Kirchenwefens nach
Böhmen zogen, nicht gewefen fein. Jedenfalls ift Methodius
nicht felbft nach Böhmen gekommen. Ebenfowenig
hat er den Böhmenherzog Bofiwoj getauft. Der erfte
Chrift gewordene Prager Tfchechenherzog war überhaupt
nicht Bofiwoj, fondern der mit Deutfchland politifch und
kirchlich in Freundfchaft verbundene Spitigniew. — Die
geringe Bedeutung, die die flawifche Liturgie in Böhmen
erlangte und ihre fchließliche völlige Befeitigung war für
das Land kein Unglück. Die Liturgie war vielmehr mit
ein Grund, um die ihr anhängenden Völker zu verein-
famen, fie von der weltlichen Kultur und damit von
reicheren Bildungsquellen und Bildungsmitteln abzu-
fchließen und ein allmähliches Erftarren auf allen geiftigen
Gebieten herbeizuführen; ja zu der bis heute dauernde n,
von den Slawen felbft oft beklagten Trennung des in
Europa weitverzweigten Slawentums hat die flawifche
Liturgie mächtig beigetragen.

Schritt vor Schritt bahnt fich Naegle feinen Weg
durch den Wald von Märchen und von konfeffionell wie