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Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

11-13

Autor/Hrsg.:

Fleisch, Paul

Titel/Untertitel:

Die moderne Gemeinschaftsbewegung in Deutschland. 3. verm. u. vollst. umgearb. Aufl 1916

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 1.

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necessitate naturae bei Episcopius verbaut; hier hätte
Episcopius als Station auf dem Wege zur Gleichfetzung
des göttlichen Willens mit den Naturgefetzen gewertet
werden müffen. Es ift eben immer wieder fchade, daß
H. von der Dogmatik und nicht von der Dogmengefchichte
her an feinen Gegenftand herangetreten ift. Das gilt auch
von der Betrachtung der loci de redemptione und de trini-
tate. Sehr dankenswert hingegen find die als .Anhang'
gegebenen Erörterungen über den Utilitarismus bei den
Remonftranten und das Problem der Necessaria und Non
Necessaria in ihrer Dogmatik. Die erftere fchlägt Verbindungsfäden
zwifchen Remonftrantismus und Pietismus

— Episcopius fagt: se omnia confessionis suae membra
ad praxin Christianae pietatis direxisse und fieht den
Zweck des Kultus nicht wie Calvin in der Ehre Gottes,
fondern in der Glückfeligkeit des anfchauenden Menfchen

— die letztere zwifchen Remonftrantismus und Aufklärung,
fofern fie die Zerfetzung der Dogmen zeigt. Das Apo-
ftolikum gilt als Inbegriff der mera fides, aber den .dunkeln
Satz': niedergefahren zur Hölle ausgenommen. — Möchte
H.s Buch Anregung geben zu einer erfchöpfenden Behandlung
des wertvollen und dankenswerten Themas 1

Zürich. . Walther Köhler.

Fleifch, Stiftspred. Paul: Die moderne Gemeinlchaftsbe-
wegung in Deutichland. 3. verm. u. vollft. umgearb
Aufl. 2. Bd, 1. Tl. Die Zungenbewegung in Deutfch-
land. (XV, 261 S.) 8». Leipzig, H. G. Wallmann 1914.

M. 4 —; geb. M. 5 —

Der erfte Band, zu dem diefer erfte Teil des zweiten
gehört, ift die 1912 erfchienene, zu beträchtlichem Umfange
(XVI u. 605 S.; M. 7,50 geb. 8,50) herangewachfene
.dritte vermehrte und vollftändig umgearbeitete Auflage'
des 1903 o. J. in erfter, nur 159 Seiten füllender Bearbeitung
und 1906 oder 1907 o. J. (Vorrede vom Oktober

1906) in zweiter Auflage (VIII u. 304 S.) ausgegebenen
Buches ,Die moderne Gemeinfchaftsbewegung in Deutfch-
land'. Leider ift keine diefer Geftalten des Buches in
diefer Zeitung zur Befprechung gekommen. Nur einer
der beiden in die dritte Auflage, wenn auch nicht vollftändig
, eingearbeiteten Nachträge zur erften und zweiten
Auflage (,Die gegenwärtige Krifis in der modernen Gemeinfchaftsbewegung
', 1905; ,Die innere Entwicklung der
deutfchen Gemeinfchaftsbewegung in den Jahren 1906 und
1907', 1908), und zwar der zweite, ift im Jahrgg. 1909,
Sp. 657L angezeigt; ebenfo (Jahrgg. 1910, Sp. 753—755)
das erfte Heft der von der zweiten Auflage ab aus dem
Ganzen ausgefchiedenen Gefchichte der Heiligungsbewegung
(,Zur Gefchichte der Heiligungsbewegung' 1. Heft,
1910). — Es kann nicht meine Aufgabe fein, die Anzeige
des erften Bandes (,Die Gefchichte der deutfchen Gemeinfchaftsbewegung
bis zum Auftreten der Zungenbewegung,
1875—1907') hier nachzuholen. Aber das möchte ich
fagen, daß dies Buch, obwohl es jetzt für diefen Zweck
fall: zu umfangreich geworden ift, von jedem für das
moderne kirchliche Leben intereffierten Theologen ftudiert
werden follte. Der hier zu befprechende erfte Teil des
zweiten Bandes knüpft direkt an den erften an, wenn
auch fo — buchhändlerifche Erwägungen können das
erklären, aber nur für diefe erfte Auflage rechtfertigen
—, daß inbezug auf die Vorgefchichte der Zungenbewegung
in Los Angeles und Norwegen und in bezug
auf das Detail der gloffolalifchen Verfammlungen in Caffel
und Groß-Almerode (Sommer 1907) fowie in bezug auf
die Beurteilung, die diefe Schwärmerei in den Gemein-
fchaftskreifen erfuhr, auf den zweiten der oben genannten
Nachträge verwiefen wird.

Der gefchichtliche Stoff des neuen Buches ift La grobem Umriß
folgender: Die Hoffnnug, daß die mit der Caffeler Verfammlung (Juli

1907) in Deutfchland eingedrungene Zungenbewegung, da fie felbft bei
den Blankenburgern auf Kritik fließ, abfterben werde, ohne die deutfchen
Gemeinfchaftskreife tiefer aufzuwühlen, erwies fich bald als trügerifch.

Auf einer Verfammlung in Barmen am 19. und 20. Dezember 1907 hatten
fich die — vornehmlich in Oftdeutfchland zahlreichen — Freunde der
neuen ,Pfingftbewegung' zu einem Kompromiß verftanden. Zunächft für
ein Jahr follte die Frage des Zungenredens nicht öffentlich diskutiert
werden. Doch noch ehe das Jahr ganz abgelaufen war, kam es unter
Mitwirkung englifcher und norwegifcher Einflüffe (Polhil und Boddy;
Barrat) zu einer erften Zungenrednerkonferenz in Hamburg (8.—11. Dezember
1908), an der neben den genannten Ausländern die Evangeliften
Edel und Friemel aus Schießen, der in der Gemeinfchaftsbewegung
feit längerer Zeit fehr einflußreiche frühere Paftor Paul, der Leiter der
Hamburger Strandmiffion Emil Meyer, der pommerfche Paftor Lic.
Lettau, der Mülheimer Gemeinfchaftsleiter E. Humburg u. a. teilnahmen
. In der Theorie war man viel nüchterner, als es die Bewegung
des Jahres 1907 gewefen war, deren Fortfetzung fich hier darftellte. Diefer
Umftand und das Vorbereitetfein weiter Gemeinfchaftskreife für folchen
Enthufiasmus — neben der Gefamtftimmung und der Herrfchaft der Ver-
balinfpirationstheorie kamen infonderheit Pauls Heiligungslehre und
fcbwärmerifcbe eschatologifche Hoffnungen in betracht — erklären es,
daß die Hamburger Verfammlung ein Echo fand (erfte Mülheimer ,Pfingft-
konferenz', Juli 1909; etwa 1700 Teilnehmer), und daß felbft die Gnadauer
Konferenz von 1909 (1.—3. Juni, in Wernigerode) eine Erörterung der
brennenden Fragen nicht wagte. Doch begann innerhalb der Gemeinfchaftskreife
von anderer Seite aus in eben diefer Zeit die Polemik gegen
das Zungenreden. Und der .Hauptrufer im Streit', der Herausgeber des

; Allianzblaltes (Kühn), wußte im Verein mit anderen Blankenburgern und
einigen anderen Führern der Gemeinfchaftsbewegung bei Verhandlungen
in Berlin im September 1909 die erfchienencn ,etwa 60 Brüder aus allen
Teilen und verfchiedenen Kirchengemeinfchaften Deutfchlands' zu einer
fcharfen Erklärung (der ,Berliner Erklärung') gegen die .nicht von oben,
fondern von unten flammende' Pfingftbewegung zu beftimmen. Aber je
rückfichtslofer die .Radikalen' die Bewegung als .dämonifch' verurteilten,
defto größer war zunächft die Zahl derer, die ,neutral' bleiben wollten.
Die Entfcheidung gegen die Zungenbewegung brachte dann die Gnadauer
Konferenz von 1910 (17.—19. Mai, in Wernigerode). Denn die Ver-
ftändigungsverfuche zwifchen einigen Gruppen von .Neutralen' und den

| Freunden des neuen Pfingften (in Vaudsburg und anderorts) erwiefcn fich
bald als fruchtlos. Bei Verhandlungen in Berlin im Januar 1911 gaben

! fall alle bis dahin neutralen Führer der Gemeinfchaftsbewegung die Zungenleute
auf. Aus der Gemeinfchaftsbewegung ausgefchieden, verlor dann
die Zungenbewegung ftark an Stoßkraft. Doch hat fie, foweit das bei

| den independentiftifchen Neigungen in ihrer Mitte möglich ift, fich felb-

| Händig .organifiert'. Und dank der Rührigkeit ihrer überzeugteften Führer
(Paul, Edel, Friemel, Humburg), dank dem Einfluß, den diefe
Männer auf ihre Gemeinfchaftenund gelegentlich zahlreicher Reifen und Konferenzen
auf manche einzelne fonft auszuüben vermochten, und dank ihren
internationalen Beziehungen haben diefe Pfingftbrüder bis in das Kriegs-

! jähr hinein fich gehalten. (Fleifch's Vorrede datiert vom April 1914.J

Das Gerippe der kirchengefchichtlichen Gefchehniffe,
| das nicht überall deutlich genug hervortritt (vgl. S. 178,
i wo der Ort der wichtigen .Sitzung' vom Januar 1911 nur
im Petit-Druck fich findet) hat der Verfaffer durch viel
erzählendes Detail, durch reiche Auszüge aus urkundlichen
Quellen, durch ftatiftifche und — wenn man das Wort
■ hier ebenfogut anwenden darf wie beim Montanismus —
j dogmengefchichtliche Ausführungen (.theologie-gefchicht-
; liehe' paßte noch weniger) zu einem lebensvollen Ganzen
j ausgeftaltet. Man kann aus feinem Buche die Sache wirklich
kennen lernen.

Von deu Perfönlichkeiten, die in der Bewegung eine größere oder geringere
Rolle fpielen, gilt das nur mit großen Einfchränkungen. Ich wiederhole
deshalb für eine neue Auflage den fchon gegenüber den Perfönlich-

1 keiten der englifchen Heiligungsbewegung im Jahrgange 1910, Sp. 754,

j geäußerten Wunfeh. Im erften Bande hat der Herr Verfafler die Berechtigung
diefes Wunfehes z. T. anerkannt. Aber daß dort z. B. über S. Keller
erft S. 229 derartige Angaben gemacht werden, während er fchon vor-

| her nicht weniger als dreimal als ganz bekannte Größe eingeführt wird,
ift ebenfo wunderlich unpraktifch wie das Syftem der Bezeichnung der

I Anmerkungen — *) **) ***), f) ff) fff), *f) **+) ***t, t* +** t***
(im erften Bande kommt auch %) §§) §§§) und *§ *§§ und +§ v°r!) —1
das doch vor den Zahlen höchftens feinen Altertumswert voraus hat. Auch

I eine durchgehende klare Kennzeichnung der landeskirchlichen Paftoren,
der fonftigen ftudierten Theologen, der fchulmäßig ausgebildeten Evangeliften
, der aus Brüderanftalten hervorgegangenen Brüder und der Wilden
Evangeliften unter den hervortretenden Perfönlichkeiten wäre im kirchen-
hiftorifchen Intereffe fehr erwünfeht. Wenn der Terminus .Reichgottesarbeiter
' dabei verfchwände, fo würde das, wenn er auch praktifch fein
mag (S. 17, Anm. ***), für ein nicht auf dem Gemeinfchaftsftandpunktc
flehendes Buch m. E. nur eine Verbefferung fein. — Bei den Zeitfchriften
empföhle fich in demZeitfchriften-Verzeichniffe, fowohlimbibliographifchen

I als im kirchenhiftorifchen Intereffe, die Hinzufügung des Herausgebers,
bezw. der wechfelndeu Herausgeber, des Erfcheinungsortes und des
Gründungsjahres. Für das Regifter, das dem zweiten Teile beigegeben
werden foll (das des erften Bandes ift recht unvollkommen), bitte ich
um Aufnahme aller Namen.

Das gefunde, auf lutherifch-konfeffioneller aber an die
I Verbalinfpiration nicht gebundener Anfchauung ruhende